Die Europawahlen haben bereits in den Niederlanden, Grossbriannien, Irland, Lettland, Malta, der Slowakei und Tschechien stattgefunden. Heute Sonntag folgen die restlichen Staaten, unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Spanien, Portugal und die Nordischen Staaten.
Erste Exit Polls, Hochrechnungen und Ergebnisse werden ab 18.00 Uhr erwartet.
Das EU-Parlament in Strassburg ist die weltweit einzige, direkt vom Volk gewählte sopra-nationale Institution. Zusammen mit dem Rat der 28 Mitgliedstaaten (Grossbritannien ist noch immer dabei) ist das EU-Parlament der Gesetzgeber der EU. Im Rat bestimmen die Staats- und Regierungschefs die Strategie der EU-Politik, die dann vom Parlament abgesegnet werden muss.
Im Rat gilt nach wie vor das Prinzip der Einstimmigkeit. Das ermöglicht populistischen Regierungen, wie der ungarischen und der polnischen, wichtige Vorhaben und Entscheide mit ihrem Veto zu blockiern.
Das Parlament zählt zurzeit 751 Sitze. Nach dem Brexit werden es noch 705 sein.
Erwarteter Vormarsch der Rechtspopulisten
Am meisten Gewicht im Europa-Parlament hat Deutschland mit 96 Sitzen, gefolgt von Frankreich mit 74 und Italien mit 73 Sitzen. Auch das austretende Grossbritannien verfügt über 73 Mandate.
Prognosen zu stellen ist schwierig. Allgemein werden den Christdemokraten und Sozialdemokraten Verluste vorausgesagt. Demgegenüber könnten die Rechtspopulisten zulegen. Unklar ist, ob und wie sich der Strache-Skandal auf die Wahlen auswirkt.
Erstmals wurde das Europäische Parlament, das seinen Hauptsitz in Strassburg hat, aber ab und zu auch in Brüssel tagt, 1979 direkt gewählt. Seither, bis heute, verfügten die Christ- und Sozialdemokraten über die absolute Mehrheit, die sie jetzt verlieren könnten.
Gesamteuropäische und nationale Bedeutung
Bei den Europawahlen handelt es sich um 28 Einzelwahlen. Das heisst: Die Kandidaten und Kandidatinnen werden jeweils „nur“ von den Wählerinnen und Wählern ihres eigenen Landes und nicht gesamteuropäisch gewählt. Deutsche können also zum Beispiel nicht spanische oder französische Kandidaten wählen – und umgekehrt.
Zu den ersten Aufgaben des europäischen Parlaments gehört es, einen neuen EU-Kommissionspräsidenten zu wählen. Die fünfjährige Amtszeit von Jean-Claude Juncker läuft im Herbst ab. Die Staats- und Regierungschef werden es sein, die einen oder mehrere Kandidaten vorschlagen. Die Vorstellungen von Angela Merkel und Emmanuel Macron gehen auseinander.
Die Wahlen haben deshalb nicht nur gesamteuropäische, sondern vor allem auch nationale Bedeutung. Sie gelten als Stimmungstest in den einzelnen Ländern. Sollten zum Beispiel die deutschen Sozialdemokraten sehr schlecht abschneiden, könnte der Stuhl von SPD-Chefin Andrea Nahles wackeln. Oder sollte in Italien die rechtspopulistische Lega obenauf schwingen, könnte Lega-Chef Salvini das Bündnis mit den Cinque Stelle kündigen und Neuwahlen verlangen.
Sieben Bündnisse
Die (noch) 751 Parlamentssitze teilen sich auf sieben Allianzen auf:
- EVP: Christdemokraten, Konservative. Dieses Bündnis war bisher mit 217 Sitzen die klar stärkste Gruppe im Europa-Parlament. Ihr gehören unter anderem die CDU/CSU, die ÖVP, die französischen Répuclicains, die italienische Forza Italia und der spanische Partido Popular an. Die EVP-Mitgliedgliedschaft der ungarische Fidesz-Partei war im März dieses Jahres suspendiert worden. Damit verlor Fidesz ihr Stimmrecht sowie das Recht, an EVP-Treffen teilzunehmen. Spitzenkandidat des Bündnisses ist der stellvertretende CSU-Parteivorsitzende Manfred Weber.
- S&D: Sozialdemokraten und Demokraten (Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten). Sie verfügte bisher über 186 der 751 Sitze. Ihr gehören unter anderem an: Die SPD, der französische Parti Socialiste, der italienische Partito Democratico, die SPÖ, der spanische Partido Socialista Obrero und die Labour Party. Spitzenkandidat des Bündnisses ist der Niederländer Frans Timmermans.
- EKR: Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer. Sie verfügte bisher über 76 Abgeordnete aus 16 Ländern. Ihr gehören unter anderem die britischen Tories, die polnische PiS und die italienischen Fratelli d’Italia an.
- GUE/NGL: Fraktion der Vereinten Euroäischen Linken und Nordische Grüne Linke (bisher 52 Sitze). Ihr gehört die deutsche Partei Die Linke, Jean-Luc Mélenchons Front de Gauche und die spanische Podemos sowie mehrere kommunistische Parteien, unter ihnen der italienische Partito Comunista Rifondazione an. Auch die schweizerische PdA ist mit dem Bündnis liiert, obwohl die Schweiz kein EU-Mitglied ist.
- ALDE/Renaissance/Liberale: Fraktion der Liberalen und Demokraten. Sie verfügte bisher über 68 Sitze. Neu gehört dieser Allianz die Bewegung „En Marche“ von Emmanuel Macron an. Im Hinblick auf die Europawahlen taufte er die Liste um: Sie heisst jetzt in Frankreich „Renaissance“. Mitglieder waren bisher unter anderem die deutsche FDP, die österreichischen NEOS, die spanischen Ciudadanos und die britischen Liberal Democrats.
- Die Grünen/Europäische Freie Allianz (bisher 52 Sitze). Mitglieder dieses Bündnisses sind unter anderem die deutschen und österreichischen Grünen.
- Allianz der Rechtspopulisten. Sie hat sich in jüngster Zeit neu formiert und ist das Nachfolgebündnis der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“. Zu ihr gehören unter anderem Marine Le Pens Rassemblement National, Salvinis Lega, die FPÖ, die Schwedendemokraten und die niederländische Partij voor de Vrijheid. Mitglieder sind auch die deutsche AfD und die Brexit Party. Ob die italienischen Cinque Stelle weiterhin zu dieser Gruppe gehören wollen, ist unklar. Die Rechtspopulisten besassen bisher im Parlament 37 Sitze. Laut Prognosen könnten sie diese Sitzzahl verdoppeln.
(Als 8. Gruppe gelten die „Sonstigen/Fraktionslosen“, der unter anderem die deutsche NPD und die satirische deutsche Partei Die Partei“ angehört.)
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Gleichzeitig mit den Europawahlen findet in Bremen, dem kleinsten deutschen Bundesland, die Wahl zur 20. Bremischen Bürgschaft statt. Den Sozialdemokraten werden schwere Stimmenverluste vorausgesagt. Die SPD war 73 Jahre ununterbrochen an der Macht und könnte jetzt erstmals nicht mehr stärkste Partei in der Freien Hansestadt werden. Zurzeit regiert sie zusammen mit den Grünen.
(J21)