Weitgehend unbeachtet von den internationalen Medien fand am Sonntag eine Volksabstimmung statt. Volksabstimmungen sind in Polen sehr selten. Die letzte fand vor 12 Jahren statt und betraf die Mitgliedschaft in der EU. Denn sie sind als letzte Entscheidungen für besonders wichtige Fragen vorgesehen. Sie werden nicht durch Unterschriftensammlungen ausgelöst, sondern durch die politische Elite beschlossen. So kann der Präsident eine Volksabstimmung vorschlagen, wobei der Senat zustimmen muss.
Auch diese Abstimmung ist so zustande gekommen. Der letzte Präsident, der liberalkonservative Bronislaw Komorowski, hatte das Referendum nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vom 10. Mai angesetzt. Zur Erinnerung: Komorowski hatte den Wahlgang nur auf dem zweiten Platz beendet, obwohl er lange unangefochten geführt hatte. Die eigentliche Sensation war aber einem totalen Aussenseiter, dem rechtspopulistischen Rocksänger Pawel Kukiz gelungen, der über einen Fünftel der Stimmen auf sich vereinigen konnte (vgl. Journal21 vom 12. Mai).
Wollt ihr ein Majorzsystem?
In einer eigentlichen Nacht- und Nebelaktion hatte Komorowski das Referendum ausgeheckt. Man wollte damit die Wähler von Kukiz im zweiten Wahlgang für sich gewinnen. So lautete die Hauptfrage, ob man für den Sejm, die Abgeordnetenkammer, ein Majorzsystem, einführen solle, ein System von Wahlkreisen mit jeweils nur einem Mandat. Das war die (ziemlich „exotische“) Hauptforderung im Wahlkampf von Kukiz gewesen, mit dem er die herrschende Elite erschüttern wollte. Dazu wurden zwei weitere Fragen hinzugefügt, die der Unzufriedenheit mit den Parteien und der staatlichen Bürokratie entgegen kommen sollten. Soll das herrschende System der Parteienfinanzierung aus dem Staatsbudget beibehalten werden – das macht rund 50 Millionen Zloty im Jahr aus (ca. 13 Millionen Franken). Und drittens: soll bei Unklarheiten in der Steuerrechtauslegung zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden werden.
Geholfen hatte Komorowski diese politische Trickserei nicht, eher war das Gegenteil der Fall. Die Wähler von Kukiz waren Protestwähler, institutionelle Fragen für sie unwichtig. Sie wählten denn auch im zweiten Wahlgang zu 60% den Herausforderer Andrzej Duda von der nationalkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit). Zudem dürfte einigen unentschlossenen Wählern der Opportunismus von Komorowski sauer aufgestossen sein.
Krebsgang der Rechtspopulisten
Seit dem 8. August hat nun Andrzej Duda das Präsidentenamt übernommen. Bereits läuft der Wahlkampf für die Parlamentswahlen vom 25. Oktober. Die PiS führt in den Meinungsumfragen deutlich mit rund 10 Prozent oder mehr Vorsprung auf die liberalkonservative Regierungspartei PO (Bürgerverständigung). Kukiz ist es zwar gelungen, eine Art politische Bewegung zu bilden, die auch an den Wahlen teilnimmt. Aber ihr rechtspopulistisches Profil ist sehr unscharf, ihre Attraktivität aufgrund einer schwachen Basis und wenig überzeugenden Kandidaten gering. So hat sie in allen Umfragen deutlich an Boden eingebüsst und erzielt noch einen Wähleranteil von knapp 10 Prozent oder weniger. Kukiz selber aber vertrauten in der zweiten Augusthälfte immerhin noch 42 Prozent, fast soviel wie Ministerpräsidentin Ewa Kopacz mit 46 Prozent. Nur Präsident Andrzej Duda lag mit 56 Prozent deutlich vorne.
Die Bewegung von Kukiz war die einzige politische Kraft, die sich dezidiert für die Wahlrechtsänderung ausgesprach. Sie brauchte dringend einen Erfolg um ihren Krebsgang zu stoppen. Die PO hat zwar eine positive Empfehlung abgegeben, aber sich wenig engagiert. In ihren Reihen gab es auch abweichende Meinungen. Selbst Komorowski äusserte in einem Interview Zweifel. Er fände ein Mischsystem, wie es Deutschland kenne, besser. Die PiS war dagegen, hielt sich aber zurück, nicht zuletzt um einen eventuellen Koalitionspartner Kukiz nicht vor den Kopf zu stossen. Die restlichen kleineren Parteien sprachen sich klar dagegen aus, da sie mit einem Systemwechsel besonders grosse Verluste hinnehmen müssten.
Ungültiges Referendum
Die breite Bevölkerung interessierte sich wenig für das Referendum. So gab gut zwei Wochen vor der Abstimmung nicht einmal ein Drittel an, sie würden sicher an der Abstimmung teilnehmen, nur gut ein Fünftel meinte, sie wüssten genau Bescheid über die Inhalte. An die letzte Abstimmungsveranstaltung von Kukiz in einer Provinzstadt kamen gerade mal um die 100 Personen.
Es war denn aber doch eine Überraschung, dass die Stimmbeteiligung nur mickrige 8 Prozent betrug. Damit lag sie meilenweit unter der 50-Prozenthürde, die für die Gültigkeit eines Referendums erforderlich ist. Viele hatten wohl bewusst auf eine Teilnahme verzichtet, um die Abstimmung zu torpedieren. Denn es bestand ein wahltaktisches Dilemma. Die Umfragen zeigten an, dass wohl eine Mehrheit für die Wahlrechtreform stimmen würde, aber kaum die Hälfte der Wählerinnen abstimmen gehen würde.
79 Prozent der 8 Prozent
Zwar sprach sich erwartungsgemäss eine klare Mehrheit für die Wahlrechtsreform aus, nämlich 79 Prozent. Noch deutlicher wurde die Beibehaltung der staatliche Parteienfinanzierung mit 17 Prozent Nein abgelehnt – auch das alles andere als eine Überraschung, stellen doch die Parteien die Institutionen dar, denen die Polen am wenigsten vertrauen. Und die Frage nach dem Vorteil bei Steuerrechtsstreitigkeiten wurde ganz klar mit 95 Prozent zugunsten der Bürgerseite beantwortet. Sie war eigentlich gegenstandslos, da das Parlament diese Frage auf dem Gesetzeswege schon so entschieden hatte.
Es drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass das direktdemokratische Instrument des Referendums mit dieser Abstimmung geschwächt worden ist. Die dominierende Wahrnehmung der Politiker als machthungrige Personen, denen alle Mittel recht sind, wenn es um ihren Vorteil geht, ist hingegen sicher verstärkt worden.
Und das Beispiel macht Schule. Auch Präsident Duda hat vor kurzem ein neues Referendum vorgeschlagen, u.a. zur Herabsetzung des Rentenalters, das – welch ein Zufall! - zusammen mit den Parlamentswahlen durchgeführt werden soll. Das wäre keine schlechte Wahlkampfmunition für seine Partei, welche die absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen anstrebt.