Es war 1975. Rebecca Horn schuf eine Skulptur, zwei Meter hoch, kokonförmig, aus glänzend schwarzen Vogelfedern. Leise bewegten sich die Federn, der Kokon öffnete sich sachte, ein schmaler Spalt gab den Blick auf einen nackten Frauenkörper frei, den der Kokon in sich barg. Federn haben etwas Schützendes und Wärmendes. Beides bleibt über den Tod des Vogels hinaus. Federn haben aber auch etwas Starres und Befremdendes. Berühren Federn unsere nackte Haut, verbinden wir damit Zärtliches, aber zugleich Stichelndes, vielleicht gar Kratzendes.
Schutz und Entblössung
Rebecca Horns schwarze Federnskulptur „Paradieswitwe“ signalisiert beides: In ihrer Bewegung löst sie gegensätzliche Emotionen aus: Schutz und Entblössung. In der Ausstellung im Basler Tinguely-Museum, in dessen Räumen die Kuratorin Sandra Beate Reimann unter dem Titel „Körperphantasien“ wesentliche Teile von Rebecca Horns Lebenswerk zur Geltung bringt, steht diese Figur.
Der performative Aspekt fehlt jedoch, das heisst: Er ist auf die dokumentarische Fotografie reduziert. Das unterstreicht einen gewichtigen unausweichlichen Nachteil des Unternehmens vor allem in Bezug auf das Frühwerk der Künstlerin. Dieses Frühwerk ist stark von der Körperpräsenz der damals jungen Frau geprägt, die wegen Einatmens giftiger Kunststoffdämpfe während ihren ersten künstlerischen Experimenten schwer erkrankte und einen langen Sanatorium-Aufenthalt absolvieren musste.
Möglich, dass das ihr Verhältnis zum eigenen Körper und ihr Körperbewusstsein stark prägte, bis zum Niederschlag in der skulpturalen Arbeit. Diese unterscheidet sich allerdings von jener der vier Jahre älteren Valie Export, die in jener Zeit mit aggressiven feministischen Attacken die Öffentlichkeit schockierte. Demgegenüber ist Rebecca Horns Werk klassisch-distanzierter und ruhiger, doch in seiner Wirkung nicht weniger deutlich und nachhaltig.
Genuin weiblich geprägtes Werk
Deutlich und zugleich nachhaltig: Am Eingang zur Ausstellung steht, gewissermassen als Prolog oder Leitlinie für eine Interpretation des Ganzen, die Skulptur „Messkasten“ von 1970. Es handelt sich um das schwarze Metallgerüst eines zwei Meter hohen Kastens. Durch die zahlreichen Bohrungen im Rahmen sind lange spitze Metallstifte so weit eingeführt, dass sie den Körper der Frau, die in diesem Kasten stand, nicht verletzten, sondern nur berührten.
Auch das belegen, analog zur „Paradieswitwe“, lediglich Fotos. Im in Basel gezeigten Objekt wird dieser weibliche Körper lediglich als Hohlraum sichtbar – und das erweckt in der Betrachterin und im Betrachter bei entsprechender Sensibilität ein widersprüchliches, zwischen Zärtlichkeit und Stichelei pendelndes Körpergefühl. Mit anderen Worten: Rebecca Horns mit fragloser Selbstverständlichkeit genuin weiblich geprägtes Werk verlangt nach Empfindung und Einfühlung. Vorherrschend mag schon sein: Wer in diesem „Messkasten“ steht, fühlt sich gefangen – im eigenen Körper oder in der gesellschaftlich-politischen Situation, in der er/sie steckt.
Pfauenmaschine
Die Vogelfeder steht als Zeichen für mehr als für die eben erwähnten Elemente Schutz und Befremdung. Die Vogelfeder steht für den Tod des abwesenden Vogels, aber ebenso für die Leichtigkeit und den eleganten Schwung seines Fluges und für den (eitlen) Prunk seiner Selbstdarstellung.
In der „Pfauenmaschine“ (1981) schlägt der Pfau eitel und stolz sein Rad. Eine perfekt funktionierende Maschine bewegt die weissen Pfauenfedern in langsamem Rhythmus. Das Sich-Spreizen des Pfauenrades ist überdies ein häufiges Motiv bei Rebecca Horn, wobei Speere die weichen Federn ersetzen können, was das Aggressiv-Spitze der Installationen unterstreicht. In „Zen der Eule“ (2010, Bild ganz oben) ist es ebenfalls eine Maschine, welche die vorerst gebündelt nach unten gerichteten Eulenfedern langsam zum wunderschönen Rad werden lässt; in einem Zwischenstadium erweckt das Wandobjekt tatsächlich den Eindruck einer ihre Flügel ausschwingenden Eule.
In Rebecca Horns Werk tauchen Federn immer wieder auf. In „Federn tanzen auf den Schultern“ (1974, ebenfalls nur in Fotos, Filmaufnahmen oder in aufbewahrten Objekten belegt) heftete Rebecca Horn Federn wie Flügel an ihre Schultern und liess sie flattern. Das Fliegen und die damit verbundene Leichtigkeit des Daseins als Traum: 1972 schuf sie sich aus Stoff und Metallstäben einen „Weissen Körperfächer“, der sich so kreisförmig ausbreiten liess, dass ihre Brust den Kreismittelpunkt und ihr Körper den Radius markierten.
Bewegung als Kunstelement
Das Werk der Künstlerin, wie es unter dem Titel „Körperphantasien“ in Basel gezeigt wird, ist breit angelegt. Das Ertasten von Räumen und, damit verbunden, die Ortung des eigenen Köpers in seiner Umgebung, ist ein weiteres wichtiges und wiederkehrendes Motiv in ihrem Schaffen. Dazu setzte Rebecca Horn oft handschuhartige extreme Verlängerungen ihrer Finger ein, was der Performerin den Charakter einer Spinne verlieh. Dass die Künstlerin sich auch mit Organisch-Fliessendem auseinandersetzt, überrascht bei all den Körperbezügen in ihrem Werk nicht. Ein Beispiel ist „Überströmer“ (1970), eine Art Kleid aus Schläuchen, durch die eine rote Flüssigkeit pulsiert.
Ebenso spielt Bewegung als Element der Kunst eine grosse Rolle, was Rebecca Horns Präsenz im Tinguely-Museum mehr als rechtfertigt. (Die beiden sollen sich auch in den 1980er Jahren im Kunsthaus Zürich, wo sie beide Ausstellungen hatten, persönlich kennen und schätzen gelernt haben.) Und nicht nur bei Tinguely, sondern auch im Werk Rebecca Horns gibt es zum Beispiel Mal-Automaten: 1991 mischte die Künstlerin in „Les Amants“ schwarze Tinte und Champagner und liess den „Liebestrank“ über motorenbetriebene Düsen als Malerei auf die Wand spritzen. 2006 entstand Rebecca Horns „Sonnenseufzer“. Da spielt, wie bei Tinguely häufig, Musikalisches mit. Die hoch unter der Decke angebrachte Objektcollage aus Violine samt Bogen, Glas, gelbem Farbgefäss und Motor stösst in regelmässigen Abständen einen wehmütigen Seufzer aus.
Surrealistische Einflüsse
Rebecca Horn setzte sich intensiv mit der zeitgenössischen Kunst auseinander, mit der Arte Povera zum Beispiel. Ausserdem beschäftigte und beschäftigt sie sich stets mit Literatur – ob mit dem Theologen Johann Valentin Andreae aus dem 17. Jahrhundert zum Beispiel, der als ein Urheber der Rosenkreuzer-Legenden gilt und sich mit jüdischer Kabbalistik befasste, oder mit Raymond Roussel, jenem einzelgängerischen französischen Autor und Vorläufer des Surrealismus, der selber eine Lesemaschine für die Lektüre seiner verschachtelten und kryptischen Texte entwickelte. Surrealistisches spricht denn auch aus manchen ihrer mitunter hermetischen und zugleich spielerischen Werke.
1972 wurde Rebecca Horn zur von Harald Szeemann geleiteten Documenta 5 in Kassel eingeladen. Es folgten viele weitere Documenta- und Biennale-Teilnahmen sowie sehr frühe Ausstellungen im Museum of Modern Art in New York. 1992 erhielt sie als erste Frau den Goslarer Kaiserring. Im vergangenen Jahr konnte sie in Duisburg den Wilhelm-Lehmbruck-Preis enzgegennehmen. Beide Preise gehören zu den prestigeträchtigsten Auszeichnungen Deutschlands.
Tinguely-Museum Basel, bis 22. September. Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Centre Pompidou in Metz, das Rebecca Horn zeitgleich unter dem Motto „Theater der Metamorphosen“ vorstellt. In Metz sind auch Werke von Künstlerinnen und Künstler einbezogen, die in einem Dialog mit Rebecca Hon gesehen werden können.