Rebecca Horn, 1944 im Odenwald geboren, wurde durch eine schwere, durch giftige Dämpfe ausgelöste Lungenvergiftung gezeichnet, welche sie über ein Jahr ans Bett fesselte. Die damals 23-jährige Kunststudentin hatte den Unfall selber ausgelöst, da sie an Polyesterskulpturen und Fiberglas gearbeitet hatte, ohne ihre Atemwege zu schützen. Im Krankenbett begann sie zu zeichnen, zu schreiben und Projekte zu skizzieren.
Die Erforschung des Körpers
In vielem erinnert Rebecca Horns durch körperliches, frühes Leiden gekennzeichneter Weg dem Leidensweg der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo. Wo diese jedoch im rein Bildnerischen verharrte (durch Krankheit verharren musste), wandte sich Rebecca Horn nach ihrer Genesung der Erforschung des eigenen Körpers und dessen Extensionen zu. Dreidimensionale Metamorphosen, schwebende, ausdauernd in möglicher Bewegung verharrende Körperhaftigkeit: das wurde ihre Welt. Ausgangspunkt aber war immer das Wort, die Erinnerung an die damalige, einzige Befreiungsmöglichkeit im Krankenzimmer – ihre in Bruchstücken flirrenden Gedanken, Poesie, Rätselhaftigkeit: Das sollte ihr niemals ruhendes, immer bebendes und schönheitshungriges Werk ihr ganzes Leben bis heute begleiten.
Befreiung durch Kunst
Der Erfolg ihres frühen multimedialen Werkes, dem die Basler Ausstellung gewidmet ist, begann 1972 mit einem fulminanten Performance-Auftritt an der von Harald Szeemann kuratierten, legendären documenta 5 in Kassel. Sie war dort die jüngste Künstlerin der Ausstellung. Neben vielen Auszeichnungen, welche im Laufe ihres heute 75-jährigen Lebens noch folgen sollten, stach die Einladung auf drei weitere documenta-Schauen hervor. Wenn man – wie ich – den Weg der Künstlerin durch die Jahrzehnte hindurch fasziniert verfolgen konnte, blieb bei aller Bewunderung und Verblüffung über deren unerschöpflichen Ideenreichtum immer ein Eindruck vorherrschend, der mit „Befreiung durch Kunst und die Kraft des Gedankens“ umschrieben werden kann. Ob bei der Erforschung des eigenen Körpers und dessen ins Mechanische überführbaren Maschinenhaftigkeit, ob in den ab 1978 einsetzenden kinetischen, nachdenklich-witzigen Objekten und Skulpturen: Fast immer ist eine fast intime, zärtliche Poesie im Spiel, welche dem Betrachter Raum für eigene Assoziationen frei gibt, ja, beflügelt.
Transformationen
Flügel sind ein gutes Stichwort zu einigen der aufsehenerregendsten Objekte Rebecca Horns in ihrer frühen Schaffensperiode. Ob am Körper befestigtes, sich aus Stoff oder Federn entfaltendes Objekt, ob transformiert zu (auch) bedrohlich wirkenden Metallstäben, welche im Raum hängend sich ruckelnd öffnen und schliessen: Fliegen, Sehnsucht nach Befreiung aus der Starre, aber auch hinreissend schöne Objekte sowie grossflächige Zeichnungen, wie im Fluge entstanden oder aus einer kinetischen Zeichenmaschine an die Wand geworfen, kennzeichnen diesen Lebensabschnitt.
Einen wichtigen, das frühe Werk erschliessenden Teil der von Sandra Beate Reiman mit ebensoviel Subilität wie Fachwissen kuratierten Schau bildet der filmische Komplex „Berlin – Übungen in neun Stücken“ von 1974/75. Dabei werden die bestimmenden Antriebe der Künstlerin deutlich: Auseinandersetzung mit Eingeschlossensein, Ausgeliefertheit, Liebe und Sex, Suche nach Ergänzung im Anderen, Ausdehnung des eigenen Körpers im Raum, meist auch erfüllt von einem Unterton latenter Gefahr.
Doppelausstellung Metz und Basel
Erfreulich ist die Zusammenarbeit mit der Zweigstelle des Centre Pompidou im lothringischen Metz, wo im gleichen Zeitraum unter dem Titel „Theater der Metamorphosen“ Rebecca Horns vielfältiges Thema der Verwandlung unter animistischen, surrealistischen und mechanistischen Gesichtspunkten behandelt und insbesondere auch die Rolle des Films als eigentliche Bühne ihrer Skulpturen hervorgehoben wird.
Beide Ausstellungen, in Metz und in Basel, werden von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet www.tinguely.ch
Museum Tinguely Basel: Rebecca Horn: Körperphantasien,
5. Juni-22. September 2019.