Unfairem Steuerwettbewerb geht’s an den Kragen. Multinationale Konzerne sollen dort Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne tatsächlich erwirtschaften. Auf Drängen der USA will die OECD mit einer globalen Mindeststeuer von 21 Prozent den Gewinnverschiebungen findiger Unternehmen ein massives Hindernis in den Weg stellen.
Die Schweiz reagiert wie ein ertapptes Schlitzohr: Eilfertig gibt man sich kooperativ, doch nur, um gleichzeitig nach neuen Schlupflöchern für die steuertechnische Bindung und Anlockung von Multis zu fahnden. Selbstverständlich sind die Eidgenossen mit dieser Haltung nicht allein. Falls die neuen OECD-Regeln tatsächlich kommen, werden nicht nur die notorischen Offshore-Finanzplätze, sondern neben Irland, den Niederlanden, Luxemburg und einzelnen US-Bundesstaaten viele weitere Steuerparadiese alles daransetzen, ihre dubiosen Standortvorteile zu wahren. Exzessivem Steuersparen ist mit Moral nicht beizukommen. Der Whataboutism (und was ist mit …?) funktioniert nirgends so reibungslos wie hier.
Es bedarf nicht einmal des Blicks über die Landesgrenzen, um den Mechanismus dieses Race to the bottom zu studieren. Die föderalistische Schweiz ist ein Muster des mit dem Begriff «Steuerwettbewerb» verharmlosten Gerangels um bestmögliche Vermeidung des Steuerzahlens. Kantone und Gemeinden haben ihre weitgehende finanzpolitische Autonomie zu teils abenteuerlichen Steuersenkungen genutzt. Das Kalkül, durch Anlockung finanzstarker natürlicher und juristischer Personen die Einbussen der Senkungen mehr als nur wettzumachen, kann – wie das Beispiel Luzern gezeigt hat – zwar böse scheitern, hat aber vor allem Zug zum Boom-Kanton gemacht. Trotz des interkantonalen Finanzausgleichs divergieren die Steuerbelastungen in der Schweiz extrem. Bei einem Einkommen von 100’000 Franken zahlen Verheiratete mit zwei Kindern in Baar (ZG) über sechs Mal weniger Staats- und Gemeindesteuern als in Les Verrières (NE).
Das Dogma, wonach bei Steuern der föderalistische Wildwuchs gut und jegliche Angleichung von Übel sei, ist in der Schweiz tief verankert. Als 2013 über eine Initiative abgestimmt wurde, die mit nationalen Regeln den Wettlauf der Kantone zur Abschaffung von Erbschaftssteuern stoppen wollte, sagten 71 Prozent der Votierenden und alle Kantone Nein.
«Steuerwettbewerb» ist das Label, mit dem sich diese Politik des maximierten Eigeninteresses legitimiert. Dabei versteht man unter Wettbewerb ja eigentlich das Konkurrieren von Leistungen. Wer von Steuerwettbewerb spricht, muss sich deshalb die Frage gefallen lassen, wieweit tiefe Steuersätze noch als staatliche Leistungen gelten können und ab welcher Grenze sie zum rücksichtslosen Dumping auf Kosten der Miteidgenossen mutieren.
Diese letztere Frage wird im Schweizer Föderalismus angestrengt beschwiegen. Auf globaler Ebene ist sie jetzt auf den Tisch gekommen. Nicht ausgeschlossen, dass die internationale Debatte in der Schweiz auch innenpolitisch zünden wird.