Seit zwei Jahrzehnten zählt Brad Mehldau zu den ganz Grossen im Jazz. Tritt er nicht solistisch auf, so spielt er im Duo oder Trio. Die Kleinformation, das intime Zusammenspiel ist seine Domäne. Und obschon er auch mal richtig loslegen kann und seine musikalischen Partner in ungestümen Improvisationen neben sich her treibt, so sind es doch eher die introviertierten, lyrischen Stücke, die den Mehldau-Stil ausmachen. Da ist unverkennbar ein Intellektueller am Werk, ein an Coltrane und Bach, an Monk und Schumann geschulter Pianist. Seine Arrangements gehören zum Raffiniertesten, was im Jazz zu finden ist, und immer wieder entlockt er seinem Instrument Harmonien und Klangfarben, die man noch nicht gehört hat.
Ungewöhnliche Duo-Formation
Und nun also das Duo mit der Bluegrass-Gitarre. Nur schon die zwei Instrumente auf der Bühne des Theaterhauses Gessnerallee in Zürich: der mächtig-orchestrale Konzertflügel und die banjoartig scheppernde Klampfe. Mit Brad Mehldau und Chris Thile aber trafen sich am Donnerstagabend zwei musikalische Genies, die mit ihren unterschiedlichen Temperamenten eine Balance zwischen Spannung und Einklang fanden und ein Feuerwerk von Einfallsreichtum und Virtuosität, von Witz und Formvollendung boten.
Chris Thile behandelt die Jazzgitarre ihrer Bestimmung gemäss ebenso als Rhythmus- wie als Melodieinstrument, und das in geradezu unfassbarer Virtuosität. Die Bluegrass- oder Hillbilly-Spieltechnik treibt er dabei zum rasenden Wirbel, der auch in der ekstatischen Steigerung nicht um Haaresbreite von der rhythmischen Prägnanz und melodischen Präzision abweicht. Die meisterliche Beherrschung des Instruments könnte man zwar für ein gemeinsames Auftreten mit Brad Mehldau als selbstverständliche Voraussetzung sehen. Was dieses Duo aber heraushebt über das, was auf diesem musikalischen Niveau halt die Norm ist, das steckt im Spiel mit Genres und Stilen.
Gipfeltreffen
Als «Bluegrass meets Bebop» kündigte Mehldau eine der Nummern an. Das Stück wurde zum Gipfeltreffen zweier Künstler, die zwar je in einer dieser musikalischen Welten grossgeworden, aber nun in der Lage sind, auch reflektierend «über» ihre Herkunft zu musizieren. Das Meeting kulminierte in einem minutenlangen hals- oder vielmehr fingerbrecherischen Unisono von Gitarre und Klavier in einer nicht enden wollenden Bebop-Linie.
So herausragend der Gitarrist (ursprünglich Mandolinist) Chris Thile sich in Szene setzte: in den glanzvollsten Stücken trat er als Sänger in Erscheinung, einmal sogar sekundiert von Mehldau als Backgroundsänger. Thile vermag alle Register von Rauheit und Geschmeidigkeit zu ziehen, lässt die Linien ausschwingen oder abbrechen und bewegt sich dabei vollkommen intonationssicher vom Bariton bis in hohe Kopfstimmlagen.
Als Gesangssolo mit Klavierbegleitung legten die beiden eine alte Sinatra-Nummer hin, derart aufreizend verlangsamt und von Mehldau mit einer lasziven, in Schwebungen, Verschiebungen und Auslassungen irrlichternden Harmonik unterlegt, dass die Schnulze zum Paradestück geriet. Thile und Mehldau borgten sich den hypnotischen Wohlklang bei diesem Song der vierziger Jahre nicht, um wohlig darin zu baden, sondern sie zergliederten und überdehnten ihn bis dicht an die Grenze, an der er zerbrochen wäre. Keine Retro-Musik also, sondern die akzentuiert heutige Lesart eines noch immer eingängigen Songs.
Jazz zum Mitdenken
Eben daher rührt Mehldaus Ruhm als eines der wichtigsten Exponenten des heutigen Jazz. Er nimmt Einflüsse von allen Seiten auf, aus Barock und Romantik, vom Jazz in seinen verschiedenen historischen Formen, aus dem breiten Strom des Pop und vom amerikanischen Song der Dreissiger- und Vierzigerjahre. Das lässt seine Musik vordergründig vielleicht eingängig klingen. Doch Mehldau macht keinen Easy Listening Jazz, denn da ist immer etwas Sperriges, eine Brechung. Seine Stücke sind durchgeformt, gebaut wie Fugen, Sonatensätze oder Sinfonien, und sie verlangen genaues Hören und Mitdenken.
Auch beim jüngsten Auftritt zusammen mit Chris Thile war das Publikum konzentriert bei der Sache. Die in der Jazzszene sonst gewohnte Lockerheit – man applaudiert in den Stücken, feuert mal einen Spieler an, fotografiert, holt sich ein Bier – macht bei Mehldaus Konzerten einer geradezu «klassischen» Diszipliniertheit Platz. (Der Meister soll bei davon abweichendem Verhalten auch schon kapriziös reagiert haben, nämlich mit Abbruch der Veranstaltung.) Die gespannte Ruhe und Aufmerksamkeit im Saal war jedoch von niemandem angeordnet, sondern ganz einfach der Aufführung von Mehldau und Thile adäquat. Dem Publikum war schon beim ersten Stück klar, dass es einer Sternstunde beiwohnte.