Los geht’s ins deutsche Superwahljahr 2021. Der Startschuss fällt schon am Sonntag, 14. März, mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Am selben Tag bestimmen die hessischen Bürger über ihre künftigen Kommunalgeschicke, was ihnen ein halbes Jahr später die Niedersachsen nachtun werden.
In drei Monaten wiederum, am 6. Juni, wird in Sachsen-Anhalt über das künftige Regionalparlament entschieden und schliesslich am 26. September – zusammen mit der Bundestagswahl – über das Berliner Abgeordnetenhaus sowie über die Landtage in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Es geht also Schlag auf Schlag. Kaum Zeit für Politiker und Parteien, in Ruhe durchzuatmen. Und dann soll ja auch das Land noch regiert werden. Zumal in den Krisenzeiten von Corona.
Ein „historisches“ Datum
Natürlich bildet die Bundestagswahl im September den absoluten Höhepunkt dieses politischen Marathonlaufs. Nicht allein, weil in Berlin halt wieder einmal eine vierjährige Legislatur abgelaufen ist. Der 26. September 2021 ist ein „historisches“ Datum, weil er das Ende einer Ära markiert. Ach was, Ära! Das von Angela Merkel selbst bestimmte (und frühzeitig bekanntgegebene) Schlussdatum ihrer 16-jährigen Regierungszeit markiert eine richtige Epoche. Zu dieser gehören ein zunächst äusserst holpriger Beginn, gefährlich wackelhafte Zeiten mit Finanz- und Flüchtlingskrise, aber auch Bewunderung und internationaler Beifall sowie eine zum Schluss hohe Anerkennung im eigenen Land.
Mit dann 67 Jahren tritt Angela Merkel im Herbst also nicht noch einmal an. Man muss sich das laut vorsagen. Immerhin ist in ihrer Regierungszeit zwischen Rhein und Oder, Flensburg und Konstanz eine ganze Generation herangewachsen, die (sofern an Politik interessiert) nichts anderes kennt als eben Merkel.
Wer also soll nun das Ruder übernehmen? Wird der kürzlich zum CDU-Vorsitzenden gewählte nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet als gemeinsamer Kanzlerkandidat der Union in den Ring steigen? Oder meldet möglicherweise doch dessen bayerischer Kollege und CSU-Chef Markus Söder den Anspruch darauf an, weil ja auch ausserhalb des weissblauen Freistaats nicht wenige Parteifreunde nach ihm rufen? Allerdings hat der christsoziale Franke noch keine Wahlen gewonnen; vielmehr verknüpft sich mit seinem Namen die bislang schlimmste Landtagsniederlage in der bayerischen Nachkriegsgeschichte.
Ein lauwarmes SPD-Lüftchen
Und wer sagt denn überhaupt, dass die erfolgsverwöhnte konservative Volkspartei tatsächlich auch den nächsten Regierungschef stellen wird? Sicher, im Moment spricht nichts, aber auch gar nichts dafür, dass hinter der Anmeldung des sozialdemokratischen Bundesfinanzministers Olaf Scholz für den Berliner Spitzenthron mehr steckt als ein lauwarmes Lüftchen, zumal ihm von seinem Parteivorsitzenden-Duo Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans zwei Genossen mit einem „Regierungsprogramm“ zur Seite gestellt sind, das mit seinen eigenen Vorstellungen absolut nicht zusammenpassen will. Nun sind aber Volkes Stimmungen bekanntlich noch lange nicht deckungsgleich mit den Stimmen an den Wahlurnen. Doch lassen die Meinungsumfragen bei der SPD wirklich noch keine grossartigen Hoffnungen spriessen.
Natürlich wollen die gebeutelten Sozialdemokraten in Zukunft ja ohnehin alles andere als noch einmal eine Neuauflage der für sie ja schon längst nicht mehr „grossen“ Koalition. Aber wäre für die SPD – immerhin Deutschlands älteste und im historischen Kontext in der Tat ruhmreichste Partei – denn wirklich jede andere Konstellation besser? Wäre für sie eine Position als Juniorpartner der zurzeit mächtig auf der Überholspur daherkommenden Grünen oder – schlimmer noch – in Abhängigkeit der Linken vorzuziehen? Mithin eine Koalition mit der Nachfolgeorganisation der DDR-SED, mit der die SPD einstmals zwangsvereinigt worden war? Und in welcher Phalanx werden sich die demokratischen Parlamentskräfte möglicherweise einer im Laufe des Jahres noch weiter anwachsenden rechtsradikalen „Alternative für Deutschland“ entgegenstemmen müssen?
Zwei Paukenschläge am Sonntagabend?
All diese Fragen und Probleme werden sich stellen oder gestellt werden im Zuge der jetzt anstehenden Welle von Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen. Und zwar gleich von Anfang an. Denn wenn nicht alle Vorzeichen total täuschen, könnten am Sonntagabend die Wahlstudios sowohl in Stuttgart wie in Mainz mit Paukenschlägen aufwarten. Oder aber mit Nackenschlägen. Vor allem für die CDU. Das würde diese umso mehr schmerzen, als schliesslich beide Bundesländer einmal fest in christdemokratischer Hand waren.
Im „Ländle“, wo zu Zeiten der Ministerpräsidenten Lothar Späth und Erwin Teufel Wahlergebnisse unter 45 Prozent als eher schmachvoll gewertet wurden, rangiert die CDU heute in Umfragen bei 25 (!) Prozent. Waren die Christdemokraten schon vor vier Jahren von den Grünen knapp überholt worden und mussten sich deren populärem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als Juniorpartner andienen, so rangieren diese jetzt sogar bei 32 Prozent.
Da in der Politik des Sängers Höflichkeit, die zu schweigen habe, nichts gilt, muss halt auch erwähnt werden, dass sich die südwestdeutsche SPD in der demoskopischen Wählergunst bei 10 (in Worten: zehn) Prozent und damit sogar noch einen Punkt unter den Freien Demokraten bewegt.
Gesetzt den Fall, der Wahlausgang in Baden-Württemberg würde ungefähr den Vorhersagen entsprechen: Welche Folgen hätte das für Armin Laschet und dessen Chancen auf die Kanzlerkandidatur der Union? Er könnte gewiss nicht als Triumphator in Berlin auftreten. Andererseits fiele es auch seinen inner- und ausserparteilichen Gegnern nicht leicht, ihn direkt für das deprimierende Ergebnis verantwortlich zu machen. Zumal ja die Grünen – von grossen Teilen der Öffentlichkeit bewusst ignoriert – durchaus ihre Schwierigkeiten haben, das persönlich hohe Ansehen ihres Ministerpräsidenten und dessen massive Querelen mit der Partei zu erklären. Der im Prinzip ausserordentlich doktrinäre und ideologisch durchdrungene grüne Landesverband hat schliesslich mehr als nur einmal zu erkennen gegeben, dass ihm der parteiübergreifend beliebte, bodenständige Landesvater mit seiner Popularität ein richtiger Dorn im Auge ist.
Politischer Glücksfall Corona
Und Rheinland-Pfalz? Dieses nach dem Krieg vor allem aus der Pfalz (dem einstigen „Rheinbayern“), dem ehemals zum Grossherzogtum Darmstadt gehörenden linksrheinischen Rheinhessen und Teilen von Hessen-Nassau zusammengestückelte Bundesland, war ebenfalls zu Zeiten von Ministerpräsidenten wie Helmut Kohl und Bernhard Vogel fest in christdemokratischer Hand. Das ist seit dreissig Jahren Historie. Und die seit 2013 in Mainz regierende Malu (Marie-Luise) Dreyer (SPD) hat, wie es scheint, auch jetzt alle Trümpfe in der Hand, eine der ganz selten gewordenen politischen Konstellationen in Deutschland hinzubekommen, nämlich eine Landesregierung unter sozialdemokratischer Führung.
Dass darauf eine Menge hindeutet, hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens Malu Dreyer als Person. Und zweitens die Pandemie. Die SPD-Dame regiert seit 2016 ohne grosse Nebengeräusche mit einer rot-grün-gelben Koalition. Tatsächlich jedoch ist der sozialdemokratische Wahlkampf ganz und ausschliesslich auf sie zugeschnitten. „Wir mit ihr“ lautet der Slogan. Und wer auf den Plakaten die Buchstaben SPD erkennen will, muss schon sehr genau hinschauen.
Trotzdem lagen die Sozis vor einem Jahr mit 24 Prozent (CDU damals: 29 Prozent) im Keller. Dann kam das Virus – und entpuppte sich für die rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten und deren Regierungschefin als wahrer Glücksfall. Heute ist Malu Dreyer auf allen Kanälen, täglich. Und sie hat immer etwas zu berichten: Beatmungsgeräte für schwere Covid-19-Krankheitsfälle – made in Rheinland-Pfalz. Der erste wirksame Impfstoff von Biontech – made in Mainz/Rheinland-Pfalz. Zwei Milliarden Ampullen für die Anti-Virus-Stoffe – made bei Schott-Glas in Rheinland-Pfalz. Da kann sich der CDU-Spitzenkandidat und Herausforderer, der Pfälzer Rechtsanwalt Christian Baldauf, noch so sehr anstrengen – gegen diese Frauen- und Corona-Power dürfte nur sehr schwer anzukommen sein.
Wie viele Briefwahlstimmen?
Traut man den Umfragen, so liegt Dreyer mit ihrer SPD im Schlepptau bei 33 Prozent der Wählergunst. Ob sich das am Ende auch in den Wahlurnen so widerspiegelt, kann man noch nicht sagen. In diesem Jahr ist erheblich mehr per Briefwahl abgestimmt worden als in der Vergangenheit – wegen der Corona-Pandemie. Das bedeutet, die Briefe wurden abgeschickt, bevor die beiden Fälle der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten bekannt geworden sind, die sich die Vermittlung für die Herstellung von Masken gut bezahlen liessen. 33 Prozent! Was für eine Zahl im Vergleich zu den 16 Prozent, an denen sich die Berliner Genossen in der Bundesparteizentrale täglich „erfreuen“ dürfen. Und, mehr noch, im Vergleich zu den sogar nur 10 Prozent der SPD im Nachbarland Baden-Württemberg …
Die Beliebtheit Malu Dreyers in Rheinland-Pfalz, aber durchaus auch darüber hinaus, hat natürlich Gründe. Die Ministerpräsidentin hat nie Feindschaften jenseits der eigenen Parteigrenzen gesucht. Mit Angela Merkel pflegte sie stets ein gutes (manche sagen sogar „freundschaftliches“) Verhältnis, auch wenn jetzt im Wahlkampf der Ton etwas rauer geworden ist. Sie verkörpert zudem das, was man gern als „bodenständig“ bezeichnet, und sie verabscheut jede ideologische Verbohrtheit. Fast unvorstellbar, dass die beiden „Berliner“ Parteivorsitzenden Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans – einzeln oder gar zu zweit – in den heimischen Wahlkampf eingreifen dürften. Und dann ist da auch noch die Sache mit ihrer tückischen Krankheit. Malu Dreyer leidet seit Jahren an multipler Sklerose. Das überspielt sie nicht, sondern geht offen damit um. Das bringt ihr fraglos zusätzliche Sympathien ein.
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind die beiden ersten Runden in einem regelrechten Wahlmarathon in diesem Jahr, das Deutschland durch die Viren-Krise in vielfacher Hinsicht durcheinandergewirbelt hat. Gesellschaftlich, aber auch politisch. Und jeder dieser Volksentscheide wird gewertet werden als ein Test auf das wichtigste Ereignis: die Bundestagswahl. Ohne Angela Merkel.