In Sri Lanka folgte den Demonstrationen und dem Sturz der Regierung die gewaltsame Auflösung der Protestbewegung. Nun bietet ein Hilfspaket des IWF die Chance, erste Schritte zur Rückkehr zur Kaufkraft des Staats und damit der Grundversorgung der Bevölkerung zu machen.
Am letzten Freitag wurde bekannt, dass sich der Internationale Währungsfonds (IWF) und die srilankische Regierung auf ein Hilfspaket geeinigt haben. Im Verlauf der nächsten vier Jahre wird der Fonds der Zentralbank in Colombo Gelder in der Höhe von 2,9 Mia. US-Dollar ausschütten, um die Zahlungsfähigkeit des Landes wiederherzustellen und die Wirtschaft auf einen Wachstumskurs zu bringen. In diesem Jahr erwartet der IWF eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um knapp zehn Prozent; die Inflation liegt bei sechzig Prozent.
Sri Lanka hatte Ende April den Staatsbankrott ausgerufen und sich ausserstande erklärt, seine Schuld in der Höhe von 51 Mia. US-Dollar weiter zu bedienen. Allein die Zinszahlungen für laufende Kredite für dieses Jahr betragen 2 Mia. US-Dollar.
Standardrezept des IWF
Die wichtigsten Massnahmen zielen darauf ab, die Liquidität der Staatskasse wiederherzustellen, indem sie deren Einkünfte erhöhen und die Ausgabenbremse anziehen. Das Standardrezept des IWF für das Erste sind Steuererhöhungen. Allerdings sollen diese sozial abgefedert werden mit einer Steuerprogression statt dem bisherigen Einheitssatz. Bei den indirekten Steuern wird die Erhöhung der Mehrwertsteuer allerdings alle Bevölkerungsschichten treffen, namentlich bei Benzin und Strom.
Am Tag zuvor hatte Präsident Ranil Wickremesinghe einen neuen Haushaltsplan präsentiert, der eine Reihe dieser Massnahmen bereits vorwegnimmt. Zudem werden Staatsfirmen und -verwaltung ausgedünnt. So sollen etwa Stromerzeugung und -verteilung, die nationale Erdölfirma und die Fluggesellschaft Sri Lankan Airlines privatisiert werden. Das Pensionierungsalter wird auf 60 Jahre reduziert, um die enorme Bürokratie zu verschlanken (1,5 Millionen Staatsangestellte, gemessen an einer Bevölkerung von 22 Millionen).
China grösster Gläubiger, Indien Retter in der Not
Ob der IMF-Kredit zu fliessen beginnt, hängt allerdings davon ab, ob die ausländischen Gläubiger der Staatsschuld – Banken und Investment-Fonds, multilaterale Institutionen und Geberländer – sich über einen Zahlungsaufschub und dessen Laufzeiten und Bedingungen einig werden.
Schwierigkeiten könnte etwa der weitaus grösste Kreditgeber China bereiten. Beijing hat sich bisher aus allen Verhandlungen herausgehalten. Es wird spekuliert, dass es bilateral Sonderbedingungen anstrebt, um rascher als andere an seine Forderungen zu kommen. Indien, ebenfalls ein wichtiges Geberland, besteht jedoch darauf, dass alle Schuldner einen gemeinsamen und fairen Rückzahlungsplan erstellen.
Früher hatte sich Sri Lanka China blindlings in die Arme geworfen. Es hatte damit die – seit vielen Jahren praktizierte – Schuldenspirale beschleunigt, bis es schliesslich in der Zahlungsunfähigkeit landete. Der Sturz der Regierung – und des chinahörigen Rajapakse-Clans – erlaubt es Indien, als Retter in der Not einzuspringen. Es hat in den letzten vier Monaten mehr Kredite zu Vorzugszinsen gesprochen als das gesamte IWF-Paket vorsieht.
Damit hat sich Delhi auch in eine günstige Position gebracht, um bei der Privatisierung der Staatsunternehmen indische Unternehmer ins Spiel zu bringen. Es hat auch den Tiefseehafen von Trincomalee, über den die meisten Öleinfuhren fliessen, zugesprochen erhalten.
Schliesslich gelang es der Modi-Regierung, einige chinesische Energieprojekte auf Inseln in der Nähe der indischen Küste zu blockieren. Sie konnte aber nicht verhindern, dass ein als Forschungsstation getarntes chinesisches Schiff mit riesigen Abhör-Einrichtungen im Hafen von Hambantota Anker legte.
Präsident Wickemesinghe sprach in seiner Budgetrede von der Gefahr, dass die strategische Lage Sri Lankas sein Land zum Spielball der Rivalität ausländischer Mächte machen könnte – «das Fleisch», wie es eine Zeitung drastisch formulierte «im Sandwich von Indien und China». Es ist die Umkehrung des bisherigen Zünglein-an-der-Waage-Spiels, bei dem Colombo die beiden Rivalen gegeneinander ausspielte.
Isolierter Präsident ohne Regierung
Allerdings hat der Präsident im Augenblick andere – und grössere – Sorgen. Wickremesinghe hat sein Amt im Juli vom gestürzten Gotabaya Rajapakse übernommen, und damit auch dessen Regierungsmandat, das bis November 2024 läuft. Um diese Zeit für die schwierige Reformarbeit zu nutzen, braucht er aber eine Regierung. Seit über einem Monat versucht er vergeblich, ein All-Parteien-Kabinett zusammenzustellen; er schultert alle Schlüsselmandate selber. Er ist beinahe vollständig von der Rajapakse-Partei abhängig, die im Parlament über eine satte Mehrheit verfügt. Ranils eigene United People’s Party dagegen hat nur einen Abgeordneten – ihn selber.
Obwohl die UNP früher eine der beiden staatstragenden Parteien des Landes war – Wickremesinghe war sechsmal Premierminister – ist sie heute nur noch der Schatten ihrer selbst. Ihr Vorsitzender leidet unter dem Ruf eines Verlierers, in den Augen der Protestbewegung gar eines Verräters. Das macht es ihm schwer, eine überparteiliche Koalition zu bilden, umso mehr, als die anstehenden peinvollen Reformen alles andere als populär sein werden.
Der Präsident hatte nach seiner Amtsübernahme versucht, sich bei den Rajapakse-Parlamentariern anzubiedern, indem er überaus hart gegen die Demonstranten vorging, denen er sein Amt eigentlich zu verdanken hat. Es kam sogar zu Verhaftungen unter einem drakonischen Anti-Terror-Gesetz, das selbst die Rajapakse-Regierung selten angewandt hatte. Damit verspielte er auch in der Zivilgesellschaft viele Sympathien, just in einem Augenblick, da er neben dem Parlament auch auf die breite Unterstützung der Bevölkerung angewiesen ist.
Enttäuschte Hoffnungen der Protestbewegung
Viele Sri-Lanker hatten gehofft, dass sich aus der erfolgreichen Protestbewegung eine neue politische Kraft formen würde, die den etablierten Parteien mit ihrem Schacher von Pfründen und Beziehungen das Fürchten beibrächte. Die Exzesse des Rajapakse-Clans und deren katastrophale Folgen führten zu einem Zusammenschluss auf der Strasse und lockerten alte Identitätsbindungen. Zum beinahe ersten Mal in der Geschichte der Republik zeichnete sich eine Politik ab, die sich nicht ethnisch – tamilisch oder singhalesisch, muslimisch oder buddhistisch – definierte.
Die brutale Auflösung dieser sich formenden Gegenkraft im Umkreis der Belagerungsstätten – Zelte, Diskussionsplattformen, Erste-Hilfe-Einrichtungen, Volksküchen – durch Polizei und Armee scheint auch diese Chance in Luft aufgelöst zu haben. Die kampflose Aufgabe dieses Symbols eines Neu-Aufbruchs spiegelt aber auch den existenziellen Notstand vieler Demonstranten und ihrer Familien, die zuhause um ihr Überleben zu kämpfen haben, das auch nach dem Sieg über den herrschenden Clan nicht gewährleistet war (und bleibt).
Es ist vielleicht symptomatisch, dass Ex-Präsident Gotabaya Rajapakse, der sich im Juli aus Angst um sein physisches Überleben ins Ausland abgesetzt hatte, am 2. September wieder nach Sri Lanka zurückgekehrt ist. Statt Demonstranten erwarteten ihn am Flughafen von Colombo eine Schar von Parteigängern, die ihn mit Girlanden bekränzten, bevor er in einem Schutzkonvoi von Polizei und Militärs in ein Gästehaus des Staats geleitet wurde.