Dass die «cancel culture», der Zensurwahn, der Wunsch selbst ernannter Sprachpolizisten nach «sauberen» Kulturtexten, dass dieser Trend immer üppigere Blüten treibt – daran wird man sich gewöhnen müssen. Jüngstes Beispiel: Eine Schulbehörde in Tennessee nimmt Art Spiegelmans berühmten Comic «Maus» vom Lehrplan, weil er «nudity» und «bad language» enthalte, was den Schülern nicht zuzumuten sei. In «Maus» thematisiert Spiegelman auf eindrückliche Weise den Holocaust, lässt Juden als Mäuse, Nazis als Katzen auftreten und stützt sich auf Erinnerungen seines Vaters, der Auschwitz überlebt hat.
Die «Maus-Zensur hat dazu geführt, dass das Buch 36 Jahre nach seinem Erscheinen noch einmal zum Bestseller und zum Gegenstand lebhafter Debatten wurde. In einer Spiegelman und dem Holocaust gewidmeten Talkshow wandte sich die populäre Film- und Theaterschauspielerin Whoopi Goldberg zwar gegen die Zensurmassnahme, nervte dann aber die Gesprächsrunde mit der penetrant vorgetragenen, spitzfindigen Behauptung, der Holocaust habe nichts mit Rassismus zu tun, weil es ja Weisse gewesen seien, die Weisse umgebracht hätten. Dass die Nazis in den Juden eine «minderwertige Rasse» sahen, die es zu vernichten gelte, was hundertfach belegt ist, schien sie nicht zu wissen. Nicht verwunderlich, dass sich eine grosse empörte Öffentlichkeit als Sprachpolizei betätigte, indem sie sich gegen Goldbergs Schwachsinn wandte und eine Berichtigung, eine Entschuldigung verlangte.
Ein ebenso schreckliches wie eindrückliches Beispiel von Sprachmanipulation in Zusammenhang mit dem Holocaust vermittelt einem Matti Geschonneks Film «Die Wannseekonferenz». Er wurde am 24.Januar im ZDF ausgestrahlt, spielt unter 15 höflichen, gebildeten, an einem Tisch sitzenden Beamten, SS-Gruppenführern, Diplomaten, die den staatlich verordneten Massenmord an Millionen europäischer Juden planen. Der Film beruht auf einem Sitzungsprotokoll aus dem Jahr 1942. Ob der speziell für den geplanten Massenmord entwickelten technoiden Sprache, die den Holocaust in Worte fasst und gleichzeitig hinter Worten zu verstecken sucht, kommt einen das kalte Grausen an.