Die Frage ist wirklich nicht einfach zu beantworten: Soll man sich besser kaputtlachen über die absurden Bemühungen (und den dahinter steckenden Glauben), mithilfe der Umbenennung von Strassen und Plätzen die Welt und deren Bewohner besser, friedvoller sowie von gegenseitigem Respekt und stets freundlicher Achtung geleitet zu machen? Oder muss man sich nicht, umgekehrt, allmählich fürchten vor jenem geradezu epidemisch grassierenden Missionierungs-Trieb, mit dem immer aggressiver auftretende Minderheiten im Lande einen veritablen Sprach-Terrorismus ausüben? Geduldet wird dort nur noch die rechte (also eigentlich linke und im Sinne von „richtige“) Gesinnung. Fundierte Bildung oder gar objektiv nachweisbares besseres Wissen? Spielt keine Rolle! Nur das eigene Weltbild zählt! Die Welle rollt, und sie trägt auch einen Namen – politische Korrektheit.
Berliner Schilder-Posse
Diese „Korrektheit“ geht Hand in Hand mit einer sprachlichen wie, mitunter, auch handwerklichen Schilderstürmerei. Nehmen wir als jüngstes Beispiel die Posse um die Umbenennung der Berliner U-Bahn-Station „Mohrenstrasse“. Sie heisst jetzt „Glinka“-Station. Denn der über viele hundert Jahre anstandslos gebrauchte Begriff „Mohr“ gilt seit einiger Zeit als „rassistisch“. Weil er angeblich Menschen mit nicht weisser Hautfarbe beleidige. Das führt auch anderswo zu Real-Burlesken wie dieser: Auf Druck eines – natürlich selbst ernannten – „Interkulturellen Solidaritätszentrums“ mit angeschlossenem „Anti-Rassismus-Telefon“ in der Ruhrgebiets-Metropole Essen hat dort der Besitzer einer 1970 von einer Frau namens Mohr gegründeten und seitdem weithin als „Möhrchen“ bekannten und beliebten Eisdiele seinem Eisbecher-Angebot (Mohren-Kuller und Mohren-Birne) neue Bezeichnungen gegeben. Er hatte ganz einfach Angst vor Anfeindungen und wirtschaftlichem Ruin bekommen. Ein klarer Fall von Korrektheitspanik.
Bevor wir, am Beispiel des „Mohren“, einen notwendigen Ausflug in die Geschichte von Namen, deren Entstehen und Veränderungen machen, noch einmal zurück zur Berliner Farce um die U-Bahn-Station. Sie heisst, wie oben bereits erwähnt, jetzt „Glinka-Straße“. Dagegen wäre, abgesehen von dem „politisch korrekten“ Mohren-Meucheln, im Prinzip nichts zu sagen. Handelte es sich bei besagtem (Michail Iwanowitsch) Glinka (1804–1857) schliesslich um einen im 19. Jahrhundert berühmten russischen Komponisten. Wären da nur nicht die „antirassistischen“ – also nur das Gute wollenden – Dummköpfe die Triebkräfte gewesen. Denn der geniale Musikfreund Glinka war Zeit seines Lebens auch ein handfester Antisemit. Genau wie ja, übrigens, der nicht minder weltberühmte Richard Wagner. Als eine „weise Entscheidung“ bejubelten die „politisch korrekten“ Medien der selbstverliebten deutschen Hauptstadt diese namentliche „Überarbeitung“. Endlich habe die BVG (Berliner Verkehrs-Gesellschaft) „Zeichen gesetzt“. Tatsächlich, indessen, war den Berliner Schilderstürmern ihre – aus eigener Sicht natürlich einzig richtige – Gesinnung wichtiger als so spiessbürgerliche Nebensächlichkeiten wie Bildung und Wissen. Vor einer dermassen heroischen Tat vielleicht einen Blick in die Musikhistorie werfen? Wozu denn? Nichts überflüssiger als das! Vorausgesetzt, man verfügt über die notwendige, ideologisch gefestigte, „Moral“.
Moritz und Mauritius
Nun zum „rassistisch“ belasteten und damit als „unmöglich“ gestempelten Mohren. Der Name leitet sich ab vom heiligen Mauritius. Dieser, in der Tat dunkelhäutig, war zu Zeiten des römischen Kaisers Diokletian (284–305) Kommandeur der so genannten „ägyptischen Legion“ und sollte in der heutigen Westschweiz widerspenstige Christen töten. Weil er aber selbst und auch die meisten seiner Soldaten dem neuen Glauben angehörten, verweigerte er den Befehl und wurde deshalb in Agaunum (dem heutigen St. Maurice im Wallis) geköpft. Seither wird Mauritius als Märtyrer verehrt. Im Magdeburger Dom ist eine fast lebensgrosse Skulptur des „Schwarzen Heiligen“ zu sehen, in Coburg ziert sein, leicht als „Afrikaner“ zu erkennendes, Konterfei das Stadtwappen, im Emblem des Bistums München und Freising ist er als Schutzheiliger abgebildet, über den eidgenössischen Halbkanton Appenzell-Innerrhoden wacht er als Schutzheiliger. So gesehen ist Mauritius – Maurus – Mohr in Wirklichkeit eigentlich ein Ehrentitel und keinesfalls eine Schandbezeichnung mit diskriminierender Wirkung.
Mit anderen Worten: Auch hier hätte Nachlesen und sich informieren dem Wissen und der Bildung der „antirassistischen“ Eiferer nicht geschadet. Zumal das zu der sorgenvollen Frage führt, wie denn in jenem aufrechten Fähnlein der Namensreiniger Männer weiterhin „Moritz“ heissen können. Schliesslich leitet sich auch dieser Vorname von dem dunkelhäutigen römischen Ex-Soldaten und späteren Heiligen Mauritius ab. Ob die mit „Moritz“ Gebeutelten möglicherweise jetzt eine Anleihe an der mittlerweile in der „fortschrittlichen“ und „antirassistischen“ Sprachschickeria gängigen, ebenso abenteuerlichen wie absurden Begriffs-Reform „M-Wort“ nehmen? Etwa so: „Mein Name ist M...z“? Und was soll mit den mehr als 150 „Mohren“-Apotheken geschehen, was mit den ungezählten Gasthäusern und Hotels?
Von Shakespeare zum M-Wort
Wie geht es nun wohl weiter? Bereiten die antifaschistischen Stationsnamen-Bekämpfer nach der erfolgreichen Berliner Mohren-Schlacht jetzt vielleicht eine Attacke auf die klassische Literatur vor? Würde Shakespeares „Mohr von Venedig“ über eine diskriminierende sprachliche Befreiung jubeln, oder würde er sich ihr gar entgegenstemmen? Hat der Mohr – wie Friedrich von Schiller in der „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ den Schwarzen Muley Hassan grummeln lässt – seine Arbeit (nicht Schuldigkeit!) getan und kann nun gehen? Immerhin hat die Fortschrittsfront das Problem geistesmächtig mit dem Buchstabentrick des M-Worts gelöst. Oder vielleicht doch nicht?
Selbstverständlich nicht. Denn in den Sprachen der Welt – also keineswegs nur in der deutschen – existiert ja, ebenfalls seit vielen hunderten von Jahren, noch ein anderer Begriff als Bezeichnung dunkelhäutiger Menschen, gegen den sich „Mohr“ inzwischen geradezu puppenhaft niedlich ausnimmt. Jedenfalls nach Meinung vieler Zeitgenossen. Nämlich: „Neger“. Interessanterweise lässt sich genau daran nahezu schulbuchmässig festmachen, wie Ausdrücke, Formulierungen oder Zuschreibungen in ihren Inhalten künstlich verändert werden. Anders formuliert: Nicht die Begriffe und Namen selbst sind beleidigend, herabsetzend oder gar diskriminierend. Vielmehr sind es die ihnen von interessierter Seite jeweils zugewiesenen Bedeutungen. „Nigger“ – ja, dieses aus der Zeit der Sklaverei stammende Wort war von Anfang an erniedrigend, demütigend und entwürdigend; sollte es auch sein. Dem Begriff „Neger“ hingegen wurden diese Attribute erst im Zuge der „politischen Korrektheit“ zugewiesen. Michael Endes, von der Augsburger Puppenkiste genial aufgeführte, wunderbare Geschichte von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer hat Kinder und Erwachsene über viele Jahre begeistert und keinerlei negativer Spuren hinterlassen, obwohl Lukas darin ein „Neger“ war.
Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Die Erkenntnis ist alt: Nicht immer ist gut gemeint auch gut gemacht. Insbesondere dann nicht, wenn wie in Beton gegossene Heils- und Weltverbesserungs-Überzeugungen die Triebkräfte sind. Zum Glück weigerte sich der Stuttgarter Thienemann-Esslinger-Verlag, den Text von Michael Ende sprachlich zu „ent-rassen“. Anders, als es leider Ottfried Preusslers „Kleine Hexe“ erleben musste. Kurz vor seinem Tod stimmte der Autor tatsächlich zu, dass aus seinem Text das Wort „Negerlein“ politisch korrekt (?) ersetzt wurde. Und die Folge? Angeblich dienen die „Bereinigungen“ der Sprache der Desinfizierung des Denkens. Im Klartext: Man muss zunächst einen bis dahin inhaltlich „unbelasteten“ Begriff auf den Index des von nun an „Unsagbaren“ setzen und danach auf seine Beseitigung drängen. Oder zumindest seine Unkenntlichmachung. Im Falle von „Neger“ ist das, ohne Zweifel, gelungen. Selbst Gazetten, die normalerweise auf ihre Seriosität pochen, verwenden zunehmend die idiotische Buchstaben-Konstruktion „N-Wort“. Hat das zu einem Mobbing-Stopp etwa an deutschen Gymnasien, von Anpöbeleien Farbiger auf der Strasse oder Hasskommentaren bei Facebook geführt? Mitnichten!
Bleibt die Frage, warum bei all diesem ideologisch-inquisitorischen Eifer scheuen sich die Säuberungskommandos der – ja keineswegs nur in Deutschland wütenden – neuen Sprachpolizei, Hand anzulegen an wirkliche „Klassiker“, was mit Sicherheit hohe internationale Aufmerksamkeit erregen würde. Zum Beispiel an den Sklavenroman „Onkel Toms Hütte“, mit dem Harriet Beecher-Stowe Mitte des 19. Jahrhunderts wesentlich zum Ende der Sklaverei in den USA beitrug. Oder an die historische Rede von Martin Luther King („I have a dream“). In beiden ist unverändert von „Negern“ die Rede. Sehr seltsam. Aber genauso seltsam ist – warum lässt sich unsere Gesellschaft diesen Unsinn gefallen?