Das Corona-Virus hat es wirklich in sich! Analog wie digital beherrscht es den öffentlichen und den privaten Diskurs. Real, surreal, irreal manifestiert es sich, flächendeckend, in mannigfachen Metamorphosen. Wegen seiner Unsichtbarkeit, Unfassbarkeit und Unberechenbarkeit wirkt es unheimlich. Es verführt Kollegen und Kolleginnen in den Medien, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, zu mutmassen, zu spekulieren – und zu schwadronieren, was das Zeug hält.
Eindrücklich, was man da seit Tagen geliefert bekommt. An Pest und Cholera wird erinnert, Gottes Strafgericht beschworen oder, diesseitiger, der Fluch der Globalisierung; das Virus ist auch ein Angst-Virus, ein Börsen-Virus. Für die am 8. März demonstrierenden Frauen in Buenos Aires war es eins zu eins auf den allgegenwärtigen Machismo anwend- und übertragbar (das Virus «patriarcado» denunzierten sie auf ihren Transparenten). Für andere unterminiert es das Vertrauen zwischen den Menschen und jemand findet, Corona sei gut fürs Klima, weil es wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse bremst und dadurch der Natur hilft, sich zu erholen.
Das mögen originelle Erzählungen und Lektüren sein – hilfreich im Umgang mit der Krankheit sind sie kaum. Statt der Wirkung des geheimnisvollen Virus entgegenzutreten, befeuern sie diese erst recht, machen sie, durch ausschweifendes Gerede, intensiver und stärker. Die Vernunft würde gebieten, den Virologen und anderen Wissenschaftern, den Ärzten zuzuhören und das Virus dort zu orten, wo es hingehört, im medizinischen Bereich. Aber die unscheinbare, die trockene Vernunft hat es bekanntlich schwer, sich gegen abenteuerliche, im Guten wie im Schlechten verführerische Fantastereien durchzusetzen.