«Laut Bildungsexperten ist Spass am Lernen die entscheidende Voraussetzung für den Schulerfolg. Denn was man gerne macht, macht man meistens gut.» Diese Sätze liest man im Internet bei einem Online-Magazin für Eltern. Die Weisheit zuhanden der Eltern mag gut gemeint sein, aber inhaltlich kann sie nicht überzeugen. Meinen die zitierten Bildungsexperten im Ernst, dass Lernen in der Schule immer mit Spass verbunden sein soll?
Hier geht es offenbar um eine falsche Begriffsverwendung. Der Duden definiert das Wort Spass als «ausgelassene, lustige Äusserung oder Handlung, die auf Gelächter und Heiterkeit abzielt» und als «Scherz». Bei Wikipedia erfährt man, dass Spass vom italienischen «spasso» abgeleitet ist, was so viel wie Zerstreuung, Zeitvertreib, Vergnügen bedeutet.
Wer meint, Lernen liesse sich immer mit Spass verbinden, muss entweder eine unerschütterliche Frohnatur sein, hat nicht viel Zeit in einem Schulzimmer verbracht oder noch nie versucht, sich als Digital Immigrant auf Anhieb mit einem neuen Computerprogramm zurechtzufinden. Zum Lernen als positive, nützliche Tätigkeit passt sehr viel besser der Begriff Freude. Freude hat eine tiefere und nachhaltigere Bedeutung als der kurzfristige und eher oberflächliche Spass. Man kann Freude am Lernen haben und gleichzeitig wissen und akzeptieren, dass damit auch allerlei Frusterfahrungen einhergehen. Der Lernfreudige muss nicht ständig Spass empfinden.
Dennoch scheint seit einiger Zeit der Spassbegriff gegenüber der älteren und vielschichtigeren Freude-Vokabel im Vormarsch zu sein. Ein Blick ins Internet und ein wenig Aufmerksamkeit für die Alltagssprache legt den Schluss nahe, dass die Spass-Rhetorik stärker im Trend liegt als die Freude-Beschwörung. Das gilt nicht zuletzt für das Marketing-Gewerbe in der gerne als besinnlich apostrophierten Vorweihnachtszeit. Gibt man bei Google Weihnachtsfreuden oder Weihnachtsgeschenke ein, stösst man bald einmal auf Kauf-Empfehlungen wie «Weihnachtsspass auf vier Pfoten» oder «Weihnachtsspass mit Disney» oder auf eine finnische Tourismuswerbung mit dem Motto: «Weihnachten sicher und mit Spass feiern – trotz Corona».
Gewiss gibt es zwischen den Begriffen Spass und Freude auch mancherlei inhaltliche Bedeutungsüberschneidungen. Der Spass steht dem Wort Vergnügen nahe, das Erich Fromm als kurzzeitiges Hochgefühl beschreibt. Freude dagegen, meint der Psychoanalytiker, sei ein Gefühl, das man auf dem Weg hin zur menschlichen Selbstverwirklichung verspüre.
«Freude herrscht», der berühmt gewordene Satz von Altbundesrat Ogi, kann man wohl in guten Treuen sowohl der simplen Spasskultur als auch der anspruchsvolleren Freude-Sphäre zuordnen – je nach Kontext.
Mit Sicherheit aber lässt sich Schillers Ode an die Freude («Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium») nicht durch den inflationären Spass-Begriff ersetzen. Dieser Stilbruch müsste eigentlich selbst dem abgebrühtesten Spassmacher zu weit gehen.