Nach Jahren der Überschüsse im Bundeshaushalt drohen Defizite. Unter dem weltpolitischen Druck der drängenden Armeeaufrüstung fordert die Gesellschaft zusätzliche Mittel, die nicht vorhanden sind. Sparen oder Schulden machen?
Sparen war einst eine schweizerische Tugend. Wo das Geld fehlte für die Erfüllung von Wünschen, musste gespart werden. Diese Tugend scheint im Bundeshaushalt (und anderswo) abhandengekommen zu sein. Die Zusatzwünsche müssen erfüllt werden (Beispiel: 13. AHV-Rente) und zwar subito. An dieser Bruchstelle des Verteilkampfes hat eine Expertengruppe des Bundes nach Möglichkeiten gesucht, dem Druck zum Geldausgeben mit Sparen zu begegnen. Sie ist – zur Überraschung vieler – fündig geworden. Sechzigmal.
Milliarden können gespart werden
Was auf den ersten Blick erstaunt, ist durch eine Expertengruppe des Bundes schwarz auf weiss belegt worden: Der Sparmöglichkeiten sind viele (genau 60) – vor allem dort, wo der Bund unsinnige Begehren seit Jahren erfüllt, obwohl sie übergeordneten anderen Zielen widersprechen. Angesichts des drohenden jährlichen Fehlbetrags im Bundeshaushalt von mindestens 2,5 Milliarden Franken lohnt es sich, diese Vorschläge genauer anzusehen. Die aus dem Parlament lancierte Idee, dafür die Schuldenbremse einfach zu ignorieren beziehungsweise auszusetzen, ist klar die schlechteste aller Möglichkeiten. Ziemlich ignorant oder zumindest egoistisch.
Warum fehlt in der Bundeskasse plötzlich so viel Geld, um die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben zu erfüllen? Betrachten wir die Sozialausgaben: Die demografische Entwicklung gibt die Antwort, an der wohl nicht zu zweifeln ist: Es gibt immer mehr Rentnerinnen und Rentner, die zudem immer älter werden. Da kann nicht gespart werden. Dazu kommen die Gelder für die AHV oder auch die Krankenkassen-Verbilligungen – auch da steigt die Ausgabenlast jährlich.
Schon heute ist absehbar, dass die Interessengruppen bei Diskussionsrunden im Parlament viele der potenziell sinnvollen und möglichen Sparvorschläge blockieren werden. Unter Interessengruppen sind zu verstehen: die Phalanx der Lobbyisten und Verbände, die wenig konsensbereiten politischen Parteien, die Kantone. Die Gesamtheit dieser Truppenvertreterinnen und -vertreter beeinflusst die Schweizer Politik längst in einem Ausmass, das die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger («wir sind das Volk») in der föderalistischen Schweiz erstaunen müsste.
Das Sparpotenzial
Fünf Milliarden Franken könnten gemäss der oben erwähnten Expertengruppe jährlich eingespart werden, wie ihr Leiter sagt, der Ökonom Serge Gaillard, ehemaliger Direktor des Eidgenössischen Finanzverwaltung, früher Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Fünf Milliarden.
Unter dem Eindruck, dass der Einsatz der Bundesgelder bisher ineffizient war, wird Folgendes vorgeschlagen (teilweiser Auszug aus dem Gesamtkatalog):
- Kürzungen beim Tourismus, in der Landwirtschaft, bei der Presseförderung und der Förderung des Güterverkehrs
- Kürzungen beim Bahninfrastrukturfonds durch die Re-Evaluation des Kosten-Nutzen-Verhältnisses
- Erhöhung der Studiengebühren, Studierende (auch ausländische) sollen mehr bezahlen
- Kürzung diverser Subventionen, vor allem dort, wo der Verwaltungsaufwand grösser ist als der Nutzen für die Empfänger
- Einfrieren der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit
- Sparpotenzial bei der Bundesverwaltung, dort, wo sie in den letzten Jahren zu stark gewachsen ist
- Subventionen für Klimapolitik: Lenkungsabgaben und Vorschriften sollen die politische Förderung ersetzen
- Asylpolitik: stärkere und schnellere Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt.
Erwartungsgemäss wird nun dieser Bericht von SP und Grünen frontal angegriffen. Sie scheinen bestürzt darüber zu sein, dass – anstelle der Erfüllung ihrer Ausgabenwünsche – nun plötzlich Sparen angesagt wäre. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth warf den Bericht medienwirksam, aber typisch für einen egoistischen, nicht kompromissbereiten Politiker, in den Papierkorb, während die FDP von einem Befreiungsschlag sprach.
Nur ein finanziell stabiler Staat kann ein sozialer Staat sein
Der in der NZZ am Sonntag als «nationaler Sparpapst» bezeichnete Chef dieser Expertengruppe, Serge Gaillard, erinnerte die Kritik übende Linke daran, dass «nur ein finanziell stabiler Staat ein sozialer Staat sein könne und dass heute, in schwierigen Zeiten, Prioritäten gesetzt werden müssen».
Die Expertengruppe ist der Meinung, dass zuerst schwer zu rechtfertigende Steuervergünstigungen abzuschaffen wären, bevor man die Steuern erhöht. So wäre die privilegierte Besteuerung von Kapitalbezügen aus der zweiten und dritten Säule zu streichen. Da der heutige Satz für eine Einmalauszahlung tiefer ist als bei regelmässigen Rentenbezügen, schafft man gewisse Gefahren. Ist das angesparte Kapital weg und jemand wird pflegebedürftig, muss der Staat Ergänzungsleistungen bezahlen.
Auf die Frage, warum der Riesenbrocken von drei Milliarden Franken Direktzahlungen an die Landwirtschaft nicht angetastet werde, lautet die Antwort: «Die Landwirtschaft funktioniert nicht marktwirtschaftlich. Ein grosser Teil der Einkommen der Bauern stammt aus den Direktzahlungen.» Ist das allein schon eine diskutable Antwort, ist der ergänzende Nachsatz auf die Frage, ob diese drei Milliarden volkswirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden, noch fragwürdiger: «Die Kommission hätte dazu die ganze Landwirtschaftspolitik infrage stellen und analysieren müssen. Das hätte den Rahmen des Auftrages überstiegen.»
Das Studium an ETH und Universitäten ist zu billig. Deshalb kommen viele Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz zum Studieren. Auch im internationalen Vergleich sind wir zu billig, eine Verdoppelung der Studiengebühren ist verantwortbar (1500 statt 730 Franken an der ETH).
Und abschliessend die Antwort auf die Frage: Wirft der Staat da Geld zum Fenster hinaus? «Definitiv.»
Ohne direkten Bezug zu dieser Diskussion steht die Frage, warum der Bund hier fördert, was er dort gleichzeitig bekämpft? Es macht einfach keinen Sinn, wenn der Bund hier Fleisch, Tabak, Mineralöl subventioniert, wenn er dort gleichzeitig deren negative Folgen mit Steuergeldern verhindern will. Als Beispiel: Der Bund fördert den Verkauf von Fleisch (genannt Absatzförderung) mit jährlich 34 Millionen Franken, obwohl Fachleute und weitere Kreise davon abraten. Darf das kritisiert werden?
Sparen bei den Wirtschaftssubventionen?
Die offizielle Antwort auf die Frage, ob bei den Subventionen für die Landwirtschaft nicht der Rotstift anzusetzen wäre, kommt (als Beispiel) ohne Verzögerung. «Die Landwirtschaft ist durch die Verfassung geschützt.» Was heisst das? 1884 unterstützte der Bund die Landwirtschaft mit rund 230’000 Franken (NZZ). 1894 wurden die Subventionen auf nominal 1,52 Millionen erhöht. Heute beträgt die Unterstützung jährlich rund 3,5 Milliarden pro Jahr, obwohl Landwirtschaftsbetriebe und -flächen in all diesen Jahren stark zurückgegangen sind.
Die Werbung für den Schweizer Tourismus geht auf Wunsch der Tourismusbranche zurück. Es sind andere Zeiten heute, in denen sich viele Tourismus-Destinationen der Touristen kaum mehr erwehren können und sogar Eintrittsgelder verlangen. Kontraproduktive Subventionen?
Und obwohl die Subventionen des Bundes in nur zehn Jahren um ein Drittel gestiegen sind, wissen wir längst, dass die allgegenwärtigen Lobbys dafür sorgen werden, dass sich das nicht so bald ändern dürfte.
Sparen oder weiter fordern? Eigentlich müsste die Antwort klar sein.