Die Strahlkraft des schweizerischen Rechtspopulismus verblasst. 45 Jahre Erfahrung haben bewirkt, dass sich beim Volk auch jene Einsicht durchsetzt: Clevere Kooperationen statt endlose interne Kämpfe bringen unser Land weiter. Dies ist ja seit 750 Jahren das bewährte schweizerische Erfolgsrezept.
Zweigeteiltes Land – die Schweiz
Seit Jahrzehnten treibt ein geschäftstüchtiger, humorvoller Mann mit seinen Gefolgsleuten die politische Schweiz vor sich her. Unermüdlich zimmert er am Schweizer-Haus nach seinen Bauplänen. Inzwischen Besitzer von über 30 Medienprodukten (es werden jährlich mehr) ist er in der Lage, die Wahrheit über die direkte Demokratie und ihre Feinde in der Schweiz selbst zu verbreiten, ohne Einfluss des Bundesrats oder linken Medien-Störenfrieden. Sein persönliches Wirklichkeitsbild ist in Fels gehauen, dessen Spiegel das Albisgüetli auf der Rütliwiese. Daneben hat keine andere Wahrheit Platz, keine differenzierte, komplizierte Wirklichkeit. Er stürmt voran – ohne Rücksicht auf Verluste – als Bannerherr mit unserer roten Fahne und dem Schweizerkreuz. Inzwischen hat er unzählige lokale Scharmützel gegen Andersgesinnte gewonnen. Auch seine geharnischten Auftritte gegen europäische Feinde, vereint unter der blauen EU-Flagge, waren oft siegreich. In der Vergangenheit. Der Mann heisst Christoph Blocher. Bewunderter Milliardär und hochgeschätzter Mäzen. Seines Zeichens: Spaltpilz der Nation.
Unversöhnlich statt kooperativ
Während vieler Jahre verfehlten Blochers charismatischen Auftritte ihre Wirkung nicht. Seine ausserordentlichen rhetorischen Fähigkeiten und eindrücklichen Armgesten veranlassten seine glühenden Anhängerinnen und Fans landauf landab, zustimmend auf die helvetischen Stammtische zu hauen. Seine von Alphornklängen und Fahnenschwingern umrahmten Auftritte machten ihn über die Landesgrenzen hinaus zum Vorbild für Nachahmer im rechtspopulistischen Lager.
Dann begann das Internet-Zeitalter. Die neuen Medien bewirkten eine Pseudodemokratisierung in dem Sinne, dass plötzlich alle ihre ungefilterte Meinung ins Netz stellen, sich politisch involvieren und sich News explosionsartig verbreiten konnten, ungeachtet deren Qualität, Wahrheit oder Fakegehalts. Dadurch erhielt die altbekannte SVP-Haltung („nur die SVP/AUNS verteidigt unsere Freiheit gegen Aufweichungstendenzen und kämpft für unsere Selbstbestimmung“) ein neues, zusätzliches Tummelfeld. Doch jetzt realisierten besonnene Bürgerinnen und Bürger allmählich, dass die Soziale Medienwelt eine Welt voller Widersprüche ist, ein Weltspiegel mit absurden Verzerrungen, eine Bühne für Verbreitung von Lügen, masslosen Übertreibungen, Fake-News und schlicht Lächerlichkeiten.
Eigenartigerweise leitete diese Entwicklung, die in mehreren europäischen Ländern die Rechtsaussen-Populisten gestärkt hatte und sie immer arroganter auftreten liess, in der Schweiz einen gegenteiligen Trend ein.
Der schweizerische Rechtspopulismus hat unterschiedliche Wurzeln
In jenen Ländern – auch in den USA – (genannt „advanced capitalist democracies“) hat sich das Kräfteverhältnis „Markt gegen Politik“ immer mehr zugunsten des globalisierten Marktes verschoben. Die Folgen: Verlagerung von Produktionen in Billigländer, steigende Arbeitslosenzahlen, zunehmende Aussichtslosigkeit der persönlichen Situation. Ganze Landstriche verödeten – die Menschen liessen sich eben nicht auslagern, sondern wurden entlassen. Viele von ihnen verzweifelten in dieser Situation – und in dem Moment kommt der grosse Führer, der ihnen verspricht, dass alles besser werde, wenn sie nur ihn wählten. Er würde Tausende von neuen Arbeitsplätzen schaffen, ganze Industriebereiche für die einheimische Produktion zurückholen, Schutzzölle erhöhen. Und ganz elementar: Er werde dafür sorgen, dass die Grenzen geschlossen würden, damit Flüchtlinge und Immigranten der einheimischen Bevölkerung nicht länger die Arbeit stehlen könnten.
Der Rechtspopulismus „made in Switzerland“ kommt in die Jahre
Der Aufschwung des Rechtspopulismus hatte in der Schweiz viel früher und im Wesentlichen aus ganz anderen Gründen eingesetzt. Blochers Thesen stiessen ab 1975 u. a. bei Bauern, Handwerkern, konservativ denkenden Menschen auf grosse Beachtung. Sie alle lebten auf dem verlässlichen Boden finanziell abgesicherter Arbeitsfelder (Subventionen, Grenzschutz, Arbeitskräftemangel, Grosskonzerne etc.) und allen gemeinsam war der Wunsch, dass sich da nichts ändern sollte.
Inzwischen, 45 Jahre später, bei einer sich laufend verjüngenden Bevölkerungsstruktur, realisieren politisch interessierte Schweizerinnen und Schweizer, dass die Globalisierung und ihre Folgen für unser Land auch andere Konsequenzen hat als die von der SVP beschworenen. Seit 11 Jahren ist die Migration rückläufig statt grenzenlos. Die „Ausländer“ haben grossen Anteil an der prosperierenden Schweiz und Sozialschmarotzer gibt es auch unter den Einheimischen. Unsere Nachbarstaaten – also die EU als Verbund – sind keineswegs Feinde, die nur an unser Geld wollen; sie sind Voraussetzung für unsere erfolgreichen Handelsbeziehungen und damit ein Grund für unseren Wohlstand.
Grosse Teile des Volkes wünschen sich heute, dass Regierung und Parlament – zwar nicht fehlerfrei – jedoch möglichst ausgewogen, sinnvoll und zukunftskompatibel arbeiten. Verräter am System sind nicht auszumachen, ausser man betrachtet jene nachdenklichen Menschen als Verräter, die in schwierigen Situationen Kompromisse suchen und Lösungen vorantreiben, statt Gräben zu schaufeln.
Kompromisse statt Kämpfe
Die Erfolgsstory der Schweiz ist bekanntlich seit 750 Jahren auch das Resultat von strategisch fortschrittlichen Kompromissen unter den Beteiligten:
1291 entstand unser Bundesbrief, nachdem die verantwortlichen Bauernführer erkannt hatten, dass sie zusammenstehen und Sonderinteressen überwinden mussten
1481 vermied Niklaus von der Flühe im letzten Moment einen Bürgerkrieg, dank Vermittlung und Kompromissvorschlägen
1653 beendete ein Friedensvertrag die Bauernkriege und die blutigen Auseinandersetzungen stoppten endlich
1691 endeten die Bündnerwirren, der Villmergerkrieg (und der Dreissigjährige Krieg); Toleranzideen und Kooperationen ersetzten unseligen Hader und Kämpfe
1848 nach den Wirren und Leiden des Sonderbundkrieges entstand der moderne, föderalistische Bundesstaat – Verträge sicherten optimale Bedingungen
1918, im letzten Moment, endete der Generalstreik; dank Streikabbruch besonnener Kräfte konnte die Katastrophe Militär gegen Volk vermieden werden – als Resultat eines ganzen Bündels moderner kooperativer Vertragswerke.
Das kleine Land Schweiz tut gut daran, auf Kompromisse und Kooperationen statt Kämpfe und Alleingänge zu vertrauen.