Nach seinem Sieg bei der Vorwahl in South Carolina, dem ersten Triumph an der Urne in einem demokratischen Präsidentschaftsrennen in drei Jahrzehnten, erinnerte Joe Biden seine Anhängerschaft daran, dass ihn nach dem miserablen Start in Iowa, New Hampshire und Nevada etliche Kreise bereits als tot abgeschrieben hatten: «Ich bin immer noch sehr lebendig.»
Was den Fernsehkomiker Trevor Noah umgehend zur Bemerkung verleitete, der frühere Vizepräsident, der bisher im Wahlkampf häufig merkwürdig abwesend und vergesslich gewirkt hat, sei wohl der einzige Kandidat, der seiner Wählerschaft mitteilen müsse, dass er lebe. Folglich schlug Noah Biden folgenden eingänglichen Wahlkampf-Slogan vor: «Joe Biden – immer noch sehr lebendig».
Auch nach seinem unerwartet guten Abschneiden bei den Vorwahlen in 14 US-Bundesstaaten hat Joe Biden die Nation erneut daran erinnert, dass er immer noch sehr lebendig sei. Zu Recht. Offenbar hat der Sieg in South Carolina seinem Wahlkampf den nötigen Schwung verliehen und viele demokratische Wählerinnen und Wähler überzeugt, die bisher noch zugewartet hatten, sich für einen Kandidaten oder einen Kandidatin zu entscheiden, der oder die am 3. November 2020 ihrer Meinung nach Donald Trump schlagen kann.
Geholfen hat auch der Umstand, dass Pete Buttigieg, Amy Klobuchar and Beto O’Rourke, alle drei wie Joe Biden vom moderaten Flügel der Partei, seit ihrem Ausscheiden aus dem Wahlkampf den früheren Rivalen vorbehaltlos unterstützen. Jetzt habe er vergeblich gelernt, den Namen Buttigieg korrekt auszusprechen, witzelte Talk Show-Moderator Jimmy Kimmel.
Derweil ist es Bernie Sanders am «Super Tuesday» nicht gelungen, seine äusserst engagierte, jedoch relativ enge Wählerbasis, unter ihnen viele junge Leute, vom linken Flügel der demokratischen Partei zu erweitern. Sanders führe zwar alles andere als einen schwachen Wahlkampf, diagnostiziert Kommentator Ezra Klein von der Websaite «Vox», aber er führe den falschen Wahlkampf. Der Senator aus Vermont trete nach wie vor als Aufständischer auf, statt zu versuchen, seine Partei um sich zu einen. Fragt sich nun, wie lange Elizabeth Warren noch weiterkämpft und, falls nicht mehr, ob sie Bernie Sanders ihre Unterstützung leiht.
Joe Biden dagegen ist es zumindest jüngst gelungen, gemässigte und traditionelle Demokraten, unter ihnen viele Afro-Amerikaner und Wohlhabende aus Vororten, hinter sich zu scharen. Ob diese Koalition hält, werden die nächsten «Tuesday»-Vorwahlen am 10. und am 17. März weisen müssen. Ein Selbstläufer ist Joe Bidens Wahlkampf noch nicht, denn seine Organisation hat sich bisher im Vergleich zum Team von Bernie Sanders als relativ schwach und uninspiriert gezeigt und sich nicht viel Fernsehwerbung leisten können – ganz im Gegensatz zum am «Super Tuesday» geschlagenen Mike Bloomberg, der eine halbe Milliarde Dollar in Anzeigen investiert hat, was ihm nicht viel nützte. Folgerichtig ist der frühere New Yorker Bürgermeister aus dem Rennen ausgestiegen und hat versprochen, künftig Joe Biden zu unterstützen.
Derzeit sieht es also so aus, als ob der demokratische Vorwahlkampf zum Duell zwischen dem gemässigten Joe Biden und dem linken Bernie Sanders wird. In etlichen Staaten, in denen Vorwahlen noch bevorstehen, hat Sanders 2016 gegen Hillary Clinton verloren, die damals vom demokratischen Parteiestablishment unterstützt wurde, wie das heute bei Joe Biden der Fall ist.
Auf jeden Fall freuen sich Donald Trumps Berater, die sich auf eine ihres Erachtens leicht zu gewinnende Auseinandersetzung mit dem «Revolutionär» Bernie Sanders und dessen radikalen Vorstellungen einer staatlichen Krankenkasse für alle, kostenfreier höherer Bildung und einschneidender Steuer für Reiche eingestellt haben, wohl zu früh. Was nicht heisst, dass «sleepy» Joe Biden, wie der Präsident ihn nennt, für den politischen Gegner nicht auch Angriffsfläche bietet.
Da sind einerseits Bidens öffentlichen Versprecher und unerklärlichen Aussetzer wie jüngst jener, als es ihm nicht gelungen ist, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung zu zitieren. Solche Fauxpas lassen den 77-Jährigen schwächer aussehen, als er sich allgemein gibt. Da ist anderseits sein Sohn Hunter, dessen üppig honorierte Tätigkeit für den ukrainischen Rohstoffkonzern Burisma nach wie vor Fragen aufwirft. All das wird Donald Trump, neben Fake News, als «stabiles Genie» skrupellos zu instrumentalisieren versuchen
In Sachen Heuchelei ist der US-Präsident Trump jedenfalls noch immer uneinholbar. Anlässlich des Treffens der erzkonservativen Conservative Political Action Conference jüngst in National Harbour (Maryland) liess es sich der Präsident nicht nehmen, die amerikanische Flagge am Mast demonstrativ liebevoll zu umarmen und zu küssen. Dabei artikulierte er tonlos: «I love you.» Selten hat sich Patriotismus so verlogen gezeigt.