Wir schreiben fehlerhaft. Oder nach eigenem Belieben richtig. Genitiv und Dativ geht es an den Kragen. Dafür vermehren sich die Kommas wie die Kaninchen und tauchen auf, wo sie nicht hingehören. Gross- oder Kleinschreibung ist ein Würfelspiel. Krude Orthografie und wirre Sätze verstärken den Eindruck, der Sprachgebrauch setze ein Denkverbot voraus.
Gleichzeitig mit der Kapitulation vor den Regeln betreiben moralisierende Ordnungskräfte eine Aufrüstung. Die vom Duden vertretene Sprach-Kirche verliert an Einfluss, eine Sprach-Sekte weitet ihn aus. Ihr Ziel ist die political correctness, deren Fundamentalisten für eine deutsche Fremdsprache missionieren. Sie drückt nicht mehr aus, was Sache ist, sondern verharmlost, überzuckert und beschönigt die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit. Slavoj Žižek nennt es „Euphemismus-Tretmühle“.
Im Schutz der lobenswerten Absicht, Diskriminierungen durch Sprache zu vermeiden, holen Hohepriester tief Luft und bestimmen, welche Themen mit welchen Begriffen ideologisch mustergültig erörtert werden dürfen. Es handelt sich um eine biedermännisch getarnte, aber gleichwohl brandstiftende Zensur.
Die Wirkung ist unheimlich. Denn der maliziöse Schönsprech wird als Wille derer „da oben“ verstanden, dem Volk Sand in die Augen zu streuen und es für dumm zu verkaufen. Die Moralapostel verhelfen den Populisten zum Erfolg.
„Red, was wahr ist“, forderte Martin Luther. Das beginnt mit der Klarheit und schliesst das Schreiben ein. Auf die sorgfältige und die Regeln beachtende Sprache kommt es an, um Irritationen und Missverständnisse zu vermeiden. Ein verbreitetes Sprachbewusstsein wäre überdies geeignet, den Slang der Hitzköpfe, Frömmler und Schwärmer in die Schranken zu weisen.