In den kommenden Jahren werden immer wieder europapolitische Parlamentsdebatten und Abstimmungen stattfinden. Wie bei der sog. Masseneinwanderungsinitiative könnten einige dazu führen, dass sich die Schweiz in ihrer Europapolitik weiterhin sinnlos im Kreise dreht. In der Folge werden die entsprechenden Stationen in chronologischer Reihenfolge vorgestellt und auf ihre staatspolitische Nützlichkeit abgeklopft.
RASA
Als erstes wird über die RASA-Initiative (RAus aus der SAckgasse; Streichung der am 9.2.14 eingeführten Kontingente für die Binnenwanderung von EU-Bürgern in die Schweiz) von Parlament und, falls die Initianten keinen Rückzug beschliessen, vom Volk entschieden.
Fazit: Da die vom Parlament beschlossene Umsetzung der sog. Masseneinwanderungsinitiative kompatibel mit den bilateralen Verträgen zwischen der EU und der Schweiz erfolgt, wäre eine Abstimmung unsinnig.
Erasmus
Ebenfalls bereits in diesem Jahr kommt ein „Erasmus“-Vorschlag (europäischer Austausch von Schülern und Studenten) des Bundesrates ins Parlament. Es handelt sich um eine befristete Übergangslösung.
Fazit: Nur beschränkt sinnvoll. Einerseits zwar besser als gar nichts, andererseits verunmöglicht eine solche Regelung vorausschauende Studien- und Karriereplanung für Einzelne und lässt eine endgültige Abkoppelung von diesem für den Studien- und Forschungsstandort Schweiz unverzichtbaren Austauschprogramm offen.
Selbstbestimmungsinitiative
Von ihren SVP-Promotoren wird sie „Volksinitiative Schweizer Recht statt fremde Richter“ genannt, von der breiten Oppositionsfront dagegen wohl treffender als „Anti-Menschenrechtsinitiative“ bezeichnet. Das sieht auch der Bundesrat so, stellt er doch in der eben erschienenen Botschaft dazu fest, dass die Annahme der Initiative den Menschenrechtsschutz gefährden und der Schweiz massiv schaden würde.
Entgegen ihrem Titel zielt die Initiative, die im Herbst 2018 zur Abstimmung kommen wird, auf einen Rückzug der Schweiz aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem dazu gehörenden Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, an dem immer auch Schweizer tätig waren und sind.
Fazit: Völliger Unsinn. Mit einer Annahme würde sich die Schweiz ins Lager von Putins Russland und der Türkei Erdogans schlagen.
Waffen/Schengen
Mit Blick auf die zunehmende Gefährdung durch Terrorismus und bewaffnete Kriminalität hat der EU-Ministerrat (Mitgliedsländer) und das europäische Parlament (direkte Volksvertretung) die Waffenrichtlinien für den gesamten Schengenraum verschärft. Als Mitglied muss auch die Schweiz diese annehmen, was 2018 im Parlament beraten wird.
Fazit: Sinnvoll auch für die Schweiz. Falls die angekündigte Grundsatzopposition durch aufrechte Tellensöhne dazu führen sollte, dass die Schweiz Schengenrecht verletzt, würden wir ein Eigentor schiessen, im wahrsten Sinne des Wortes: Weniger Sicherheit und weniger Zugang zu unseren Nachbarn.
Rahmenabkommen
Angelpunkt unserer Europapolitik ist die volle Teilnahme am europäischen Binnenmarkt. Diese ist unverzichtbar für ein mitten in Europa gelegenes, exportabhängiges, als Wissens- und Forschungsstandort bedeutendes, auch vom Tourismus lebendes, den Nachbarländern auf der Basis unserer verschiedenen Kulturen mit Herz und Gemüt zugeneigtes Land wie die Schweiz.
Zum Binnenmarkt gehört aber auch eine Schiedsinstanz, welche dessen Recht anwendet. Die EU kann gar nicht anders, als solch europäisches Recht vom Europäischen Gerichtshof beurteilen zu lassen. Mit Blick auf die voraussichtlich in einem Jahr stattfindende Parlamentsdebatte über das Rahmenabkommen müssen unsere Regierung und Politiker aufhören mit den angeblich „fremden Richtern“ – und anderen Sprüchen, welche der dieses Jahr gefeierte Bruder Klaus gar nie gemacht hat .
Von einer einheitlichen und voraussehbaren Rechtssprechung, wie sie der EuGH garantiert, profitieren alle Teilnehmer am Binnenmarkt, ob EU-Mitglied oder nicht.
Fazit: Ein institutionelles Abkommen als Rahmen um die Gesamtheit der schweizerischen Beziehungen zur EU ist sinnvoll, da damit der Überblick über alle Abkommen, sowie Klarheit und Voraussehbarkeit bei deren Anwendung geschaffen wird.
Erweiterungsbeitrag
In der Schweiz wird der Ausgleich zwischen reicheren und weniger wohlhabenden Kantonen durch den eidgenössischen Finanzausgleich gewährleistet. Innerhalb der EU nennt man dasselbe Kohäsionszahlungen an die ab 2004 der EU beigetretenen Staaten Osteuropas. Seit 2007 beteiligt sich auch die Schweiz an solchen Ausgleichszahlungen. Weil wir ebenso solidarisch sind und weil wir ebenso vom so erweiterten Binnenmarkt profitieren.
Die damals mit grosser Mehrheit angenommene „Kohäsionsmilliarde“ ist zehn Jahre später aufgebraucht – und wie Überprüfungen ergeben, grösstenteils sinnvoll eingesetzt worden – die entsprechende Aufgabe bleibt aber aktuell. Die Beteiligung am gesamteuropäischen Finanzausgleich muss also fortgesetzt werden. Was keinem speziellen Entgegenkommen der Schweiz, sondern ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse entspricht.
Fazit: Die Weiterführung der schweizerischen Beteiligung am gesamteuropäischen Erweiterungsbeitrag ist ebenso sinnvoll wie nötig. Anlässlich der 2018 im Parlament stattfindenden Debatte muss dies betont werden; mit Blick auf eine allfällige Volksabstimmung wäre eine Darstellung als „schweizerisches Geschenk an Europa“ ebenso falsch wie kontraproduktiv.
Kündigung Personenfreizügigkeit
Die SVP hat kürzlich eine Volksinitiative zur Kündigung des Freizügigkeitsabkommens angekündigt. Falls sie zustande kommt, wird darüber 2019 im Parlament entschieden – und 2020 in einer Volksabstimmung. Vorabwirkungen wird sie allerdings schon früher und in verschiedener Hinsicht entfalten.
Einmal mehr wird das Abstimmungsmarketing der SVP wohl vom Ostschweizer Büro „Goal“ des Deutschen Alexander Segert – in der Schweiz dank Personenfreizügigkeit – gestaltet werden, an dessen braune Schulter sich auch die „Alternative für Deutschland“ publizistisch anlehnt. Womit wieder ein krudes Gemisch von fremdenfeindlichen Sprüchen und Plakaten zu erwarten ist, wo binnenwandernde EU-Bürger, politische Flüchtlinge aus Syrien und Armutsimmigranten aus Schwarzafrika in denselben Topf geworfen und für alle Übel in der Schweiz verantwortlich gemacht werden. Was schon einmal das politische Klima in der Schweiz weiter vergiften wird.
Eine solche Initiative wird weiter auch das Verhandlungsklima zwischen der Schweiz und der EU schwer belasten. Was soll „Brüssel“ mit der Schweiz ernsthaft verhandeln, unter einem schweizerischen Damoklesschwert der Kündigung der Personenfreizügigkeit, was notwendigerweise den Austritt der Schweiz aus dem gesamten Binnenmarkt nach sich ziehen würde.
Fazit: Die Initiative ist europapolitisch ohne jeden Sinn. Die volle Teilnahme am europäischen Binnenmarkt wird von einer klaren Mehrheit von Schweizern befürwortet, weil das Land und alle seine Bürger davon profitieren. Die Initiative ist Wahlvehikel der SVP für die Parlamentswahlen 2019 und muss als grober politischer Unfug bezeichnet werden.