Alle reden von der Medienkrise. Das schillernde Schlagwort zielt in erster Linie auf die Schwierigkeiten der gedruckten Medien und unter diesen wiederum hauptsächlich auf die klassischen Tageszeitungen. Seit einigen Jahren nun lesen oder hören wir von sinkenden oder stagnierenden Auflagen weltweit bekannter Titel oder regional tief verwurzelter Blätter, von drastisch reduzierten Werbeeinnahmen, von Journalisten-Entlassungen und andern einschneidenden Sparmassnahmen. Dieser Abwärtstrend, den manche Beobachter – wohl ziemlich voreilig – als unaufhaltsam einstufen, wird weit herum mit einem allgemeinen Niedergang des Qualitätsjournalismus assoziiert.
Die Internet-Revolution und ihre Folgen
Was Qualitätsjournalismus genau ist, darüber lässt sich lange streiten. Ich würde es so definieren: Qualitätsjournalismus betreiben Medien, die bestrebt sind, den Bürger möglichst verlässlich, glaubwürdig und kontinuierlich über gesellschaftlich relevante Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft zu informieren. Diese Art von Journalismus sucht und findet man traditionellerweise vor allem in der Qualitätspresse, in der die klassischen Tageszeitungen an vorderster Front vertreten sind. Trotz aller Krise: Noch immer üben diese Qualitätsmedien im politischen und gesellschaftlichen eine gewichtige Leitfunktion aus – ob sie nun auf Papier oder elektronisch gelesen werden.
Über die Gründe für die Existenzprobleme vieler Qualitätsblätter herrscht zumindest in einem Punkt breiter Konsens: Die Probleme sind in erster Linie eine Folge des atemberaubenden technologischen Wandels, konkret: der rasenden Ausbreitung des Internets. Das Internet-Zeitalter hat das herkömmliche Informationsgeschäft in einen globalen elektronischen Supermarkt verwandelt, in dem – anders als in jedem andern Supermarkt – erst noch die meisten Inhalte gratis angeboten werden. Über diese seltsame ökonomische Logik mag man heute den Kopf schütteln, doch im Rückblick ist man ja meistens klüger. Tatsache ist: Die Inhalte wurden im neuen Internet-Kosmos von Anfang an mehrheitlich kostenlos angeboten, weil die Konkurrenz das ja auch tat und man sich von dieser in Sachen Besucherandrang nicht überrunden lassen wollte. Dabei liessen die Medienhäuser sich lange Zeit von der Hoffnung leiten, dass die Kosten für die elektronisch verbreiteten Inhalte durch entsprechend florierende Werbeeinnahmen im Internet gedeckt würden.
Diese Rechnung ist, wie man inzwischen weiss, in den allermeisten Fällen nicht aufgegangen. Nun forschen die unter Auflageschwund und Kostendruck leidenden Presseverlage nach Möglichkeiten, für ihre Informationsangebote im Internet die Kunden endlich konsequenter zur Kasse bitten zu können. Es geht um die Errichtung so genannter Pay-Walls, also um Gebühren zumindest für einen Teil der journalistischen Inhalte. Einige renommierte Blätter wie das "Wall Street Journal" oder die britische "Financial Times" praktizieren diese Strategie schon seit längerem –anscheinend mit einigem wirtschaftlichen Erfolg.
Hoffnung auf neue Bezahl-Modelle
Vieles deutet darauf hin, dass in nächster Zeit eine ganze Reihe von Qualitätszeitungen ähnliche Modelle lancieren werden – die NZZ und die "New York Times" haben solche Pläne bereits angekündigt. Die London "Times" hat im Juli eine Pay-Wall für alle ihre Internet-Inhalte eingeführt – mit dem vorläufigen Folge, dass die Zahl der Website-Besucher drastisch zurückging. Der Chef des Axel-Springer-Verlages, Matthias Döpfner, glaubt dennoch, dass mit dem Vormarsch des i-Pad von Apple und anderer E-Readers die elektronische Vertreibung von Qualitätszeitungen (via Apps) auf der Grundlage von Bezahl-Systemen auch die akuten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Qualitätsmedien überwunden werden. Dass solche Hoffnungen mehr sind als neue Illusionen, ist für die Zukunftssicherung einer breiten Vielfalt von Qualitätsmedien, ohne die eine moderne Demokratie kaum funktionieren kann, durchaus erwünscht. Die Gratiskultur müsse sowohl bei den Printmedien (gemeint sind die Gratiszeitungen) als auch Online eliminiert werden, weil sonst aufgrund der Gratis-Gewöhnung beim Publikum guter Journalismus nicht mehr zu finanzieren sei, schreibt Kurt Imhof von der Uni Zürich in dem von ihm mit herausgegebenen "Jahrbuch 2010 zur Qualität der Schweizer Medien". Und nun lancieren wir mit dem "Journal21" ein neues Medienportal, das den Anspruch erhebt, Qualitätsjournalismus anzubieten – und zwar kostenlos. Wie reimt sich das mit der These zusammen, dass substanzielle Inhalte den Mediennutzern nicht gratis angeboten werden sollten, weil sonst der Aufwand für die Produktion solcher Inhalte längerfristig kaum mehr zu finanzieren ist?
Qualität und doch gratis – fünf Argumente
Dazu erstens: Die neue Internet-Welt, also die technische Innovation, macht Unternehmungen wie die Lancierung von Medienplattformen, auf denen Informationen und Meinungen weltweit verbreitet werden können, ohne grossen finanziellen Aufwand möglich. Jeder Blogger profitiert von diesem Internet-Phänomen.
Zweitens: Warum sollen gestandene Journalisten und Akademiker, die mehrheitlich über jahrzehntelange Erfahrung im Medienbereich verfügen, aber nicht mehr auf ein laufendes Lohneinkommen angewiesen sind, solche Möglichkeiten nicht zu einem gemeinsamen Projekt nutzen? Es gibt ihnen Gelegenheit, ihre Einschätzungen, ihr Wissen, ihre Recherchen, zu aktuellen Themen und hintergründigen Entwicklungen, ihre Lektüre-Erfahrungen oder Hobby-Beschäftigungen dem Internet-Publikum auf einer gemeinsamen Plattform anzubieten. Als Medienprofis wissen wir, was Qualitätsjournalismus ausmacht und sind bestrebt, dessen Anforderungen gerecht zu werden. Ob ein solches Angebot im Internet genügend Interesse findet, werden die Klick-Zahlen und das Leser-Echo zeigen.
Drittens: Es liegt auf der Hand, das ein Projekt wie "Journal21" im riesigen elektronischen Medienmarkt keine Chance hat, eine substanzielle Zahl von Lesern und zu finden, solange die Mehrheit der im Internet auftretenden Qualitätsmedien ihre Online-Inhalte immer noch gratis anbieten. Wenn sich zeigt, dass die jetzt von vielen Qualitätsmedien angepeilten oder bereits existierenden Bezahl-Systeme sich auf breiter Front durchsetzen, wird "Journal21" seine Haltung zu dieser Frage neu überprüfen.
Beispiel "Huffington Post"
Viertens: "Journal 21" versteht sich nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Qualitätsmedien im Internet, sondern als Ergänzung und Belebung. Kein "Journal21"-Leser wird sich davon abhalten lassen, sich nicht mehr für die Online-Angebote etablierter Qualitätsmedien wie etwa die "New York Times", NZZ, FAZ oder den "Spiegel" zu interessieren. Eher im Gegenteil: Meinungs- und Informationsvielfalt auf dieser Ebene ist geeignet, die Debatte über seriöse Themen zu stimulieren – nicht zuletzt durch gegenseitige Verweise oder Verlinkungen. Nicht jedes kostenlose Medienangebot im Internet muss zwangsläufig den Trend zur "Kultur der Banalität" (Kurt Imhof) verstärken. Auch von der erfolgreichen amerikanischen Gratis-Internetzeitung "Huffington Post" kann man das – trotz der boulevardartigen Aufmachung – in Bezug auf die Lebendigkeit und Substanz der politischen Debatten nicht behaupten. Fünftens schliesslich: Ungeachtet der Klagegesänge über die Gefährdung der gedruckten Qualitätsmedien und den angeblichen Niedergang des seriösen Journalismus durch die Internet-Revolution darf man feststellen, dass im Zeitalter der Massenmedien noch kein neues Medium je ein altes völlig vom Markt verdrängt hat. Die gedruckten Medien haben das Aufkommen des Radios und später des Fernsehens gut überlebt – mit den notwendigen Anpassungen. Sie werden vermutlich noch lange Zeit neben und mit dem Internet ko-existieren. Auch die Gattung des seriösen, substanziellen Journalismus ist trotz der – vorläufig noch – weit verbreiteten Gratiskultur in der Medienwelt nicht zum Untergang verurteilt. Denn in unserer global vernetzten Welt, in der die Bürger von News und Infotainment überflutet werden, gibt es wohl mehr denn je ein vielseitiges Bedürfnis nach einem orientierenden, einordnenden und glaubwürdigen Journalismus. Ohne kommerzielle Absichten gehört es zum Ziel von "Journal21", dazu in bescheidenem Rahmen einen Beitrag zu leisten.