Es klingt so plausibel. Da es „neue Herausforderungen“ gibt, muss man sich „neu erfinden“. Früher sprach man von Krisen, Katastrophen oder von Schicksalsschlägen. Heute redet jeder so, als stünde er mit seinen „Herausforderungen“ quasi auf einem Tennisplatz und wäre fast so gut wie Roger Federer. Die Suggestion wirkt: Herausforderungen sind etwas für Sieger, nur Verlierer haben Krisen.
Natürlich will keiner Verlierer sein, und deswegen erfindet er sich in Anbetracht der Herausforderungen von Zeit zu Zeit neu. Das ist weit mehr, als sich bloss neu zu orientieren, was immer ein bisschen nach verlieren klingt. Wer aber ist der Erfinder? Ist er derselbe, der vorher ein Ich oder eine Firma erfunden hat, um sie jetzt durch etwas ganz Neues zu ersetzen? Warum ist ihm das nicht schon vorher eingefallen? Dann wäre die neue Erfindung gar nicht nötig, und auch die grösste Herausforderung wäre bisher immer nur ein Klacks gewesen. Oder darf man so gar nicht fragen, weil das Ich oder die Firma gleichzeitig die Selbsterfinder sind, ohne dass man das irgendwie begreifen müsste?
Auf der Suche nach Erfindern hat sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in diesen Tagen gehörig verstolpert. Das geschah im Zusammenhang mit dem Thema der Mobilität, dem diese Zeitung offenbar mehrere hochkarätig besetzte Konferenzen gewidmet hat. In einer Annonce im eigenen Blatt bedankt sie sich nun bei den Teilnehmern, indem sie formuliert: „Städtischer Verkehr erfindet sich neu.“ – Wir haben inzwischen also nicht nur diverse Ichs und Firmen, die sich neu erfinden, sondern auch den „städtischen Verkehr“.
Diese Formulierung stellt die Vorstellungskraft vor besondere Herausforderungen. Denn beim Ich, das sich neu erfindet, kann man sich wenigstens noch eine Katze vorstellen, die sich in den Schwanz beisst und sich dabei immer schneller dreht, bis sie alles ganz neu findet. Und auch bei Firmen, die sich neu erfinden, stellen sich noch vertraute Vorstellungen ein: Da gibt es Belegschaften, die in die Wüste geschickt werden, und Berater, die von den Produkten zwar nichts verstehen, dem Management aber das Gefühl überbordender Kreativität vermitteln. Auf diese Weise entsteht der neue „Spirit“, von dem die Kunden schliesslich überwältigt werden.
Aber der Verkehr? Wir kennen den immer seltener werdenden fliessenden Verkehr und erleben um so häufiger den stockenden Verkehr. Aber noch nie haben wir beobachtet, dass sich der Verkehr neu erfindet, obwohl er im Stau dafür doch alle Zeit der Welt hätte.
Doch soll man auch nicht zu viel grübeln. Denn was die FAZ mit ihrer Anzeige zum Ausdruck bringen will, ist ein Dank an die Referenten und die Teilnehmer der Mobilitätskonferenzen. Das gelingt ihr aber nicht. Sie dankt dem Verkehr, der sich angeblich selbst neu erfindet, und nicht den Konferenzteilnehmern, die für ihn gute Ideen entwickeln. Seltsam, wo die FAZ doch sonst so stolz auf jeden "klugen Kopf" ihrer Leserschaft ist.