Schon wieder muss über die hochgradige Ansteckungspotenz angelsächsischer Wortschöpfungen berichtet werden – und je nach politischer oder kulturkritischer Perspektive kann man das bewundern oder bedauern.
Diesmal geht es um die epidemische Ausbreitung des Begriffs „Selfie“. Noch vor ein paar Jahren war diese Wortschöpfung praktisch inexistent. Doch schon im 2013 wurde „Selfie“ vom Wörterbuchverlag „Oxford Dicitionary“ zum Wort des Jahres gekürt. Würde sich dieser Siegeszug nur auf den angelsächsischen Sprachraum begrenzen, müssten wir uns in dieser Rubrik nicht damit befassen. Aber der Begriff „Selfie“ und die damit verbundenen Tätigkeiten sind inzwischen zu einem globalen Phänomen geworden.
Ein „Selfie“ ist, wie mittlerweile jeder halbwegs weltläufige Zeitgenosse weiss, ein mit dem Mobiltelefon (vulgo: Handy) geschossenes Selbstportrait, das dann mit Vorliebe via Internet auf sogenannten sozialen Netzwerken verbreitet wird. Das Leo-Wörterbuch schlägt vor, „Selfie“ mit „Schnappschuss von sich selbst“, „Selbstportrait“ oder „Selbstbildnis“ zu übersetzen.
Doch mit Verlaub, damit ist der reale Stellenwert eines „Selfies“ nicht subtil genug getroffen. Ein „Selbstportrait“ oder „Selbstbildnis“ gehört doch eher einer kulturell gehobenen Sphäre an, was von den „Selfie“-Praktiken kaum jemand behaupten würde. Gerade die verkleinernde Endsilbe –-„ie“ in „Selfie“ betone das Flüchtige, vielleicht auch das häufig etwas Banale, Narzistische oder mitunter gar Anrüchige der Selfie-Epidemie, merkt ein Internet-Kommentator an.
Übrigens gibt es innerhalb des Selfie-Booms bereits sprachliche Untergruppen, die eine deutliche Abgrenzung der verschiedenen Kategorien erlauben. Die nicht seltenen Nackt-Selfies nennt man „Nudies“, wie bei Wikipedia zu erfahren ist. Hätte der grüne Politiker Geri Müller sich mit solchen Differenzierungen auseinandergesetzt, hätte er sich vielleicht damit begnügt, nur „gewöhnliche“ Selfies zu versenden.