Die SVP wärmt seit Jahrzehnten die gleichen unverdaulichen Initiativen neu auf und drückt sich um die Verantwortung. Statt Inhalte verkauft sie narzisstische Selbstinszenierung.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Cyrill Dankwardt ist 18 Jahre alt und lebt in Zürich. Er besucht die sechste Klasse des Realgymnasiums Rämibühl und interessiert sich unter anderem für Geschichte und Politik.
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Jetzt schimpfen sie wieder, die Initianten der Begrenzungsinitiative rund um die SVP. Bern und Brüssel, das seien doch die Schlimmsten, die Bilateralen Verträge, das sei doch das Schlimmste, ekelhaft und Landesverrat! – die altbekannten Floskeln eben. Dieses Mal, heisst es wieder einmal, gehe es um die Wurst. Denn, so posaunt «Volkspartei» in alle Landesteile: Hinter ihrer Vorlage verberge sich die Lösung aller Probleme. Ob sich die SVP jedoch um die Arbeitsplätze, die Sitzplätze im ÖV oder die Schweizer Umwelt sorgt, ist allerdings fragwürdig. Die Begrenzungsinitiative reiht sich ein in eine Tradition allesamt destruktiver «Volksbegehren», denn tatsächlich ist die Begrenzungsinitiative nur begrenzt originell. Grund genug für ein bisschen Zweifel.
Wer den Ausgangspunkt der Initiativ-Plage kennen möchte, der wühle sich in die 1970er-Jahre, als die Schwarzenbach-Initiative an der Urne scheiterte. James Schwarzenbach servierte den Schweizer Stimmbürgern ein frisches Filet Fremdenhass, reaktionär gewürzt. Im ersten Anlauf verschmäht, kam das Stück doch immer wieder auf den Abstimmungstisch. Bis 2014 der SVP das gelingt, was Schwarzenbach verwehrt blieb: Die Annahme der «Masseneinwanderungsinitiative». Delikat! Anscheinend lässt sich beliebig häufig über die gleichen Vorlagen abstimmen, bis dann das Ergebnis gefällt. So verwurstet man die direkte Demokratie und die Metzger dürfen sich sogar noch in ihrem Triumph suhlen. Dass am Ende nicht einmal zwanzigtausend Stimmen den Unterschied machten, dass nicht einmal 60 Prozent ihre Stimme abgaben, wird gerne unter den Tisch gerückt. Nein, das Resultat ist ein Erdrutschsieg, eine Sensation, die geballte Macht des Schweizer Volkes! Dass Bundesrat und Parlament die Initiative nicht eins zu eins nach der Rezeptur der Initianten umsetzten, ist doch Verfassungsbruch, oder etwa nicht?
Wohl kaum. Denn mit der Umsetzung sind das Parlament und die Regierung betraut, nicht die Initianten. Wenn sie sich mit Kompromissen zwischen extremen Forderungen und deren Durchsetzbarkeit hindurchschlängeln müssen, dann ist dies nur demokratisch und recht. Dafür wird ein Parlament schliesslich gewählt, und dafür wurde es auch wiedergewählt. Der Vorwurf von Verfassungsbruch ist völlig aus der Luft gegriffen – und ist trotzdem zur Schweizer Dolchstosslegende des 21. Jahrhunderts schlechthin avanciert.
Dennoch beruft sich die «Schweizer Volkspartei» noch immer auf dieses Resultat und spricht in dessen Zusammenhang gar von «Verrat am Volkswillen». Es ist ihr eigenes narzisstisches Gehetze, das die Schweizer Volkspartei im Glauben lässt, alleinig den Volkswillen zu vertreten. Lässt es sich denn anders als mit deren überhöhtem Selbstvertrauen erklären, weshalb Schwarzenbachs Gammel-Steak mit der «Begrenzungsinitiative» wieder an der Urne landet? Das Unvermögen, Niederlagen und Kompromisse zu akzeptieren? Oder gehört es zur Selbstinszenierung einer Partei, die in Wirklichkeit gar keine eigenen Inhalte vertritt?
Denn auch andere prominente Initiativen der Blocher-Partei spielen mit Variationen der Hass-Grillade Schwarzenbachs. Fleischreste-Recycling sozusagen, den Grünen voraus? Da wäre beispielsweise die «Ausschaffungsinitiative», 2010 angenommen und gegen die vermeintlich «bösen» Ausländer gerichtet, die «Durchsetzungsinitiative», 2016 abgelehnt obwohl inhaltlich fast exakt gleich. Die «Selbstbestimmungsinitiative», 2018 abgelehnt, richtete sich gegen völkerrechtliche Bestimmungen, die Menschen ohne Schweizer Pass vor der Willkür des SVP-konformen «Volkswillens» schützen. Althergebrachte Demokratie-Verwurstung, frisch verpackt und eingeschweisst; B-B-Bündnerfleisch.
«Wir gegen den Rest der Schweiz», heissen die künstlichen Aromen der trojanischen Pferdefleisch-Lasagne, «Wir gegen die Politiker in Bundesbern». Die stärkste Partei der Schweiz, seit Jahrzehnten in der Regierung vertreten, spielt Opposition. Und nach diesem Schema funktionieren alle diese Initiativen. Denn hätten diese Initiativen einen Inhalt, so müsste man der SVP nahelegen, sie solle ihre Verantwortung darüber wahrnehmen. Wäre aber auch zu blöd! Es bleibt eben Pferdefleisch-Lasagne.
Nichtsdestotrotz präsentiert die SVP ihre «Begrenzungsinitiative» als Wundermittel. Wie viel von James Schwarzenbach in dem Gebräu verkocht ist, sei dahin gestellt. Die Initiative als letztes Mittel gegen knappen Wohnraum und steigende Mieten zu preisen, sich aber mit Händen und Füssen gegen den sozialen Wohnungsbau zu wehren (und auch keine anderen Lösungsansätze zu präsentieren), ist abstrus, wenn nicht bigott. Ebenso, wenn die SVP die Einwanderung als Ursache des Platzproblems an Schulen verortet. Gehört sie nicht dem Flügel an, der seit Jahren auf einer restriktiven Sparpolitik in der Bildung beharrt? Man könnte auch eine vernünftige, zumindest seriöse Umweltpolitik vorantreiben, statt sich mit Ausländern als Sündenböcken selbst auf die Schulter zu klopfen.
Um «Begrenzung» geht es bei der Initiative gar nicht, vielmehr um «Abgrenzung». Statt Verantwortung zu übernehmen, wie es von der wählerstärksten Partei der Schweiz zu erwarten wäre, grenzt sie sich von dieser ab. Statt offen zu ihrer rechten, neoliberalen Politik zu stehen, grenzt sie sich unter der Speckschicht restriktiver Migrationspolitik von den anderen Parteien ab. Hinter dem Bild, das sie von sich als ewige Oppositionspartei, als «Verteidigerin» vor der unkontrollierten Einwanderung geschaffen hat und wofür sie gewählt wird, besitzt die SVP unheimliche Narrenfreiheit. Für eine Politik, für die sie nimmer geradestehen muss. Gefährlich.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch