Die Bilder vom Einzug der 115 Kardinäle in die Sixtinische Kapelle wurden auf zwei riesigen Bildschirmen auf dem Petersplatz übertragen. Doch das Interesse draussen war zunächst gering. Es regnete, war kühl und leichter Nebel kam auf. Nur etwa 300 Regenschirme konnte man zählen. Um 17.43 Uhr wurde die Tür der Sixtina abgeschlossen. Das Konklave begann.
Der grösste italienische Fernsehkanal, RAI 1, blendete kurz darauf immer wieder Schrift ein: „Aspettando la fumata bianca“ – Wir warten auf den weissen Rauch. Gegen 19.00 Uhr füllte sich dann der Platz – trotz neuem Regen.
Doch kaum ein ernsthafter Vatikan-Beobachter erwartete, dass in diesem ersten Wahlgang schon ein neuer Papst gewählt würde. Und so kam es auch.
Ein vierminütige schwarze Rauchfahne
Um 19.42 Uhr quoll schwarzer Rauch aus dem winzigen Kamin auf der Sixtinischen Kapelle. Da wurde kräftig mit Chemikalien nachgeholfen, denn 115 verbrannte Stimmzettel können nicht eine vierminütige Rauchfahne erzeugen. Bei früheren Wahlen war ab und zu nicht klar, ob der Rauch schwarz oder weiss war. Solche Unklarheiten wollte man diesmal verhindern.
Von jetzt an wird man vier Wahlgänge pro Tag durchführen, zwei am Vormittag und zwei am Nachmittag. Viele Vatikan-Beobachter rechnen mit einem kurzen Konklave. Doch konkrete Hinweise darauf gibt es nicht. Bis weisser Rauch aufsteigt, haben die „Vaticanisti“ Hochkonjunktur. Das sind Leute, die sich jahrein, jahraus mit dem Innenleben des Vatikans beschäftigen. Sie gehen Mittag- oder Abendessen mit Priestern, Bischöfen und manchmal mit Kardinälen. Sie interpretieren dies und das. Und ihre Prognosen sind oft so falsch, wie es einst die Prognosen der Kremologen waren.
Kein wirklicher Favorit
Die Fernsehstationen reissen sich um die Vaticanisti. Die meisten lassen sich für ihre Interpretationen bezahlen. Wer mehrere Sprachen spricht, kann in diesen Tagen viel Geld verdienen. Jede grosse italienische Zeitung hat ihren Vaticanisto.
Was sagen die Vaticanisti heute? Die Wichtigste ist: Sie sind erstaunlich vorsichtig. Falsche Prognosen beschädigen ihren Ruf. Offenbar gibt es keinen wirklichen Favoriten wie im Jahr 2005, als dann Joseph Ratzinger gewählt wurde.
Jeden Tag gibt es andere Spekulationen. Als möglicher Favorit wird noch immer der Mailänder Erzbischof Angelo Scola gehandelt. Doch die Erfahrung zeigt: Frühe Favoriten wurden oft nicht gewählt. Scola hat zudem einen einflussreichen Feind: Tarcisio Bertone, der Kardinalstaatssekretär und damit der zweite Mann im Vatikan. Immer wieder wurde gemunkelt, Bertone werde alles versuchen, um eine Wahl von Scola zu verhindern. Wird ihm das gelingen?
Umfragen im anglikanischen England
Scola gilt als strammer Konservativer. Er ist eng verbunden mit der umstrittenen Laienbewegung Communione e Liberazione, der auch Berlusconi nahe steht. Mit Scola würde sich im Vatikan wohl wenig ändern.
Doch die Vaticanisti lassen sich nicht auf die Äste hinaus. Sie nennen mindestens zwölf weitere gut platzierte Kandidaten.
Die Turiner Zeitung La Stampa publiziert eine sogenannte Meinungsumfrage des von England aus operierenden Instituts namens Youtrend. Befragt wurden offenbar Vatikan-Spezialisten im In- und Ausland. Danach liegt Angelo Scola mit 34 Prozent vor dem Amerikaner Timothy Dolan (10,6 Prozent), dem Kanadier Marc Oullet (9,3 Prozent) und dem Erzbischof von Sao Paolo, Odilo Scherer (8,7 Prozent).
Solche Umfragen sind wertlos. Doch da niemand etwas weiss, werden sie weltweit verbreitet. Gerüchte werden so lange wiederholt, bis sie als Gewissheit erscheinen. Dass man im anglikanischen England auf einen ganz bestimmten katholischen Papst wettet, hat seinen Charme.
Was ändert sich für uns?
Und wieso glauben die Vaticanisti, dass das Konklave kurz sein werde? Die katholische Kirche wird inzwischen von deftigen Skandalen geschüttelt. Deshalb wolle man, so sagen die Beobachter, rasch einen neuen Papst wählen – um sich durch lange Streitereien nicht noch weitere Blössen zu geben: um zu zeigen, dass man nach wie vor geeint und stark ist.
Etwas muss man der katholischen Kirche lassen. Ihr Sinn für Inszenierung ist unübertrefflich. Doch, so darf man sich angesichts dieses Spektakels fragen: Ist es eigentlich wichtig, wer neuer Papst wird? Vielleicht für die ärmeren Länder. Wenn der Papst weiterhin Kondome für unchristlich hält, werden weitere Hunderttausende mit Aids angesteckt. Aber im Westen? Sind Homosexuelle plötzlich noch Homosexuelle, nur weil Kardinal Angelo Amato sagt, Homosexualität sei „vom Teufel“?
Ob es nun einen leicht progressiven oder weiterhin einen weltfremden Papst gibt – das ändert wohl nichts am Leben eines westlichen Erdenbewohners.