Noch findet die Kultur bei der SRG einen Platz. Er dürfte grösser sein, grossherziger mit Mitteln ausgestattet und da und dort grossartiger gepflegt. So begründbar die Ausbauwünsche sind, so sehr droht ihnen die Gefahr, traurigerweise gegenstandslos zu werden. Die SRG könnte in jenen kulturellen Nullbereich rutschen, in dem sich die privaten Radio- und Fernsehstationen längst und ohne das geringste schlechte Gewissen eingerichtet haben. Dieses Szenario würde mit aller Wahrscheinlichkeit dann Wirklichkeit, wenn Volk und Stände die „No Billag“-Initiative gutheissen und die Empfangsgebühren aufheben. Bis zum Abstimmungstermin in frühestens anderthalb Jahren bleibt die unbedingt zu nutzende Zeit, um mit guten Argumenten den Kahlschlag zu verhindern.
Wut im Bauch
Zeitungs-Leserinnen und -Leser können ihrer Verärgerung über eine journalistische Missliebigkeit Luft verschaffen mit der Kündigung des Abonnements. Diese Ventilfunktion fehlt bei der SRG. Es besteht die unentrinnbare Gebührenpflicht, und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die SRG-Programme genutzt werden.
Das ist eine administrativ einfache, aber medienpolitisch vorgestrige und psychologisch fatale Lösung. Sie befördert bei Unzufriedenheit mit der SRG die Versuchung für Tabula-rasa-Aktionen. Entsprechend ist „No Billag“ von der Wut im Bauch geleitet und von der Lust getrieben, mit Brachialgewalt etwas zu veranstalten, was sich nur mit schwarzem Humor als Medienpolitik bezeichnen lässt.
Ohne Gebühren verliert die SRG 1,2 Milliarden oder rund zwei Drittel ihrer Einnahmen. Weil eine Kompensation – zumal unter Wahrung einer maximalen Autonomie – undenkbar ist, würde das Programm ausgedünnt. Die Sparmassnahmen träfen sicher vor der Unterhaltung und dem Sport die Kultur. Sie verlöre eine wertvolle kritische Instanz und einen wichtigen Resonanzverstärker.
Zurück zum Normalmass
Die SRG entwickelte sich – oder verwickelte sich – zu einem hybriden Medienunternehmen. Es wird einerseits mystifiziert als Garantin für die schweizerische Identität, den nationalen Zusammenhalt und die objektive Berichterstattung und anderseits abgestraft als Anstalt zur Verbreitung linksextremer Meinungen und zur Boulevardisierung noch der letzten geistigen Zuckungen. Das absolute Lob liegt so daneben wie der absolute Tadel. Und das Selbstverständnis der SRG als „Idée suisse“ ist fauler Marketingzauber.
Die SRG ist weder das von Heidi umsorgte Landi-Dörfli noch ein Hort volksverblödender Finsterlinge. Das Herunterschalten auf Normalmass tut not. Was dazu die mediale Epochenwende schon beitrug, wartet dringend auf den Nachvollzug durch die SRG selber und die Politik.
Die SRG ist unser grösstes Medienunternehmen, besitzt eine enorme Erfahrung und beherrscht es summa summarum, den – politisch mit der üblichen Neigung zur Detailfreude und Widersprüchlichkeit formulierten – Programmauftrag zu erfüllen.
Diese Leistung berechtigt zu Stolz. Aber der Anspruch auf Denkmalschutz ist genauso so abwegig wie jener auf arrogante Kritikresistenz und auf monopolistische Expansionsgelüste zu Lasten der Presse und der privaten Anbieter elektronischer Programme. Nimmt sich die SRG in diesen sensiblen Feldern klug und rasch zurück, gräbt sie der „No Billag“-Initiative das Wasser ab. Greifbare Taten statt schaumschlagender Worte.
Falschgeld im Umlauf
Die Kultur braucht eine starke SRG. Keine übermächtige, sondern eine, die nicht in die Kommerzialisierung gedrängt wird und dort mit dem Service public unter die Räder gerät.
Eine ramponierte SRG verbessert den privaten Rundfunk nicht. Die Fundamental-Gegner der öffentlichrechtlichen Sender verkaufen uns das Wunder als bare Münze. Es ist Falschgeld.