Die General-Audienz auf dem Petersplatz, die jeden Mittwoch stattfand, sollte eigentlich nur noch der Abschluss einer Reportage über Papst Johannes Paul II. vor seiner Reise in die Schweiz werden. Noch ein paar Fotos, noch ein paar Gespräche mit Gläubigen. Doch dieser Mittwoch wurde eines der dramatischsten Ereignisse für Journalisten.
Warten auf das „Papamobil“
Ausser dem Fotografen Dölf Preisig und mir warteten meines Wissens nur die immer anwesenden Reporter der Vatikanzeitung «Osservatore Romano» auf das Erscheinen des «Papamobils» mit dem Pontifex und seiner Entourage.
Auf dem Petersplatz standen die Menschen Schulter an Schulter, säuberlich durch Abschrankungen in Ethnien sortiert. Den Ehrenplatz nahe dem erhöhten Thron vor dem Petersdom nahmen wie immer die polnischen Pilger ein, die Landsleute des polnischen Papstes.
Kampf um bessere Plätze
Pressechef des Vatikans war ein deutscher Jesuitenpater, streng und unerschütterlich in seinen Entscheidungen. Er hatte wohl die Ewigkeit im Auge, nicht etwa die Aktualität. Jedenfalls hatte er uns nach langem Feilschen zwar handgeschriebene Zugangsbewilligungen gegeben, aber als Standort einen winzigen Balkon hoch oben in den Kolonnaden zugeteilt, der nur über eine rostige Hühnerleiter zu erreichen war.
Der Fotograf murrte bereits «Übung abgebrochen», als ich den Jesuitenpater weit unter uns heranschreiten sah. Ich kletterte hinunter und stürzte mich in den Kampf um bessere Plätze. Ein stattlicher Mann half mir dabei. Er trug Zivil, und deshalb erkannte ich den Kommandanten der Schweizergarde, einen Pfyffer von Altishofen, zuerst nicht.
Gespräch mit dem Papst auf Deutsch
Ich erklärte dem Pater, dass mir der Papst am Sonntag gesagt hatte, wie sehr er sich auf die Reise in die Schweiz freue. In der Tat: Wir waren eingeladen gewesen, an einer Messe teilzunehmen, die der Papst in seiner Eigenschaft als Bischof von Rom in einem weit entfernten Vorort zelebrieren wollte. Wir standen drei Stunden auf einem grossen Parkplatz inmitten von Menschen, die sich das Warten verkürzten, indem sie ohne Unterlass inbrünstig das Ave Maria sangen.
Als der Pontifex endlich eintraf, stellte ich mich so hin, dass er beim Bad in der Menge dicht an mir vorbeigehen musste. ich sprach ihn auf Deutsch an: «Heiliger Vater...!», und er blieb, wie erwartet, überrascht stehen. Es entwickelte sich ein Gespräch, und er erzählte, dass er sich sehr auf die Reise in die Schweiz freue, die er als junger Mann zum Skifahren besucht hatte.
Zwei Schüsse und ein Vogelschwarm
Schliesslich gab der Jesuit nach. Wir durften den Adlerhorst verlassen und sollten uns, einander gegenüber, am Rand des Platzes aufstellen. Ich handelte für den Fotografen die Seite entlang der Route des Papamobils aus.
Langsam und gemessen fuhr der offene Wagen heran, umgeben von Schweizergardisten im Kostüm und in Zivil und von Beamten der Vigilanza, der Vatikan-Polizei. Kinder wurden hochgehoben, die der Papst freundlich segnete. Der Wagen kehrte langsam um und schickte sich an, zum Petersdom zu fahren. Ich sah, wie Dölf Preisig in diesem Moment in beiden Fotoapparaten, die mit verschiedenen Objektiven um seinen Hals hingen, die Filme wechselte. Der Papst würde ihn nun von vorne buchstäblich vor die Kamera fahren.
Die Hand voller Blut
Kurz und trocken knallten in diesem Augenblick zwei Schüsse. Im gleichen Moment flog, es schien noch viel lauter, ein Vogelschwarm hoch. Ich schaute auf die Uhr, es war ein Viertel nach fünf. Das Papamobil nahm rasant Fahrt auf und wechselte die Route. Es fuhr direkt an mir vorbei. Der Pontifex sass zusammengesunken auf seinem Sitz. Die Soutane war noch immer schneeweiss. Doch die Hand, die er vor den Leib hielt, war voller Blut.
Ein Schweizergardist stürzte sich auf den Attentäter
Als der Wagen davonraste, liefen Menschen vorbei, die riefen, sie hätten alles gesehen. ich hielt sie an und liess sie erzählen, was sie erlebt hatten. Mitten auf dem Petersplatz, vorbei an den wie betäubt stehenden oder kniend betenden Gläubigen fand ich Dölf Preisig. Da waren genau zwei Minuten seit den Schüssen vergangen. Und vor allem fand ich in der Menge einen stämmigen Schweizergardisten, der sich als Erster auf den Attentäter gestürzt hatte.
Gab es wirklich eine Zeit ohne digitale Bildübermittlung, ohne Mobiltelefone und ohne Laptops? Mittlerweile war es beinahe sechs Uhr geworden. Wir mussten die Redaktion informieren. Im Laufschritt eilte ich ans Ende des Petersplatzes. An der Ecke zur Via della Conciliazione gab es ein kleines Pressezentrum mit ein paar Telefonkabinen.
In der Rocktasche trug ich den Gegenwert von etwa 30 Franken in Lire-Scheinen bei mir, und es gab damals keine R-Gespräche mehr, bei denen die Angerufenen die Kosten übernahmen. Dennoch gelang es mir, eine internationale Telefonistin zu überzeugen, mir eines zu vermitteln. Meine Information kam noch vor der Agenturmeldung an.
Wie kommen die Bilder nach Zürich?
Rom war nun ein einziges Chaos. Als wir endlich zu Fuss das Hotel erreicht hatten, erwartete mich eine Handvoll Telefonnachrichten. Römer Kollegen hatten mitgeteilt, dass auf den Papst geschossen wurde. Und die Redaktion wünschte, dass Dölf Preisig noch am gleichen Abend mit den Filmen nach Zürich fliege.
Er nahm nur seine Fototasche mit den Filmen und setzte sich vor dem Hotel in ein Taxi. Ich versuchte vergeblich, am Flughafen telefonisch für Preisig einen Platz in der letzten Maschine nach Zürich zu ergattern. So telefonierte ich der Pressestelle der Swissair, auf die wir Journalisten uns immer verlassen konnten, bat um Hilfe, und es klappte.
Fünfstündige Operation des Papstes
Am Morgen war zu erfahren, dass die Ärzte des Gemelli-Krankenhauses Papst Johannes Paul II. in einer fünfstündigen Operation das Leben gerettet hatten. Ich kaufte die Fotos des «Osservatore Romano» ein. Die Kollegen verlangten pro Aufnahme tatsächlich nur bescheidene 30 Franken.
Und ich interviewte den Kommandanten der Schweizergarde, der mir allerdings nicht sagen wollte, ob die Gardisten ausser den historischen auch moderne Waffen tragen. Am frühen Nachmittag sass ich wieder in der Redaktion an meiner Schreibmaschine. Wir publizierten ein Extrablatt, und der Papst plante erst in einem späteren Jahr eine Reise in die Schweiz.