„Das kommt mir spanisch vor“, sagen wir, wenn wir etwas nicht verstehen. Die Spanier selbst hingegen sagen: „Das kommt mir chinesisch vor“ wenn sie keine Ahnung haben, von was da die Rede ist. Und tatsächlich: chinesische Sprache und chinesische Schrift kommt uns Deutschsprechenden doch reichlich spanisch vor….
Viel weniger Probleme mit den fremden, chinesischen Wörtern und Schriftzeichen hat Alexandra von Przychowski. Ihr Name ist zwar ein Zungenbrecher für unser Sprachgebiet, sie selbst ist dann aber ganz unkompliziert und deutschsprachig, trotz des polnischen Namens-Ursprungs. Zum Glück. Denn wir wollen uns über chinesische Schriftzeichen unterhalten. Da kennt sie sich aus. Sie ist eine der beiden Kuratorinnen der Ausstellung “Magie der Zeichen“ im Museum Rietberg. Eine faszinierende Schau über 3000 Jahre Schrift und Sprache am anderen Ende der Welt. Durch die Globalisierung und die Öffnung und Entwicklung Chinas seit den 80er-Jahren ist uns das Reich der Mitte zwar etwas vertrauter geworden und immer mehr Menschen im Westen lassen sich auch auf Schrift und Sprache ein, aber den meisten von uns bleibt Chinesisch fremd.
Schreibkunst
Dabei sind diese Zeichen faszinierend. Selbst, wenn man die Bedeutung nicht versteht. Es sind Schriftzeichen, die eine Zeichenschrift ergeben. Es ist Schreibkunst und Kunstschrift zugleich. Nicht nur der Inhalt zählt, sondern auch die künstlerische Form, wie der Pinsel angesetzt wird und wie die Form auf dem Papier hinterher wirkt. Bis heute beschäftigen sich chinesische Künstler mit ihrer Schrift.
Alexandra von Przychowski erwähnt zum Beispiel Xu Bing, der eine eigene Schrift entwickelt hat, die zunächst chinesisch aussieht, bei genauem Betrachten aber auf lateinischen Buchstaben beruht. „Heutige Künstler benutzen oft Pseudozeichen, um sich damit absichtlich von der Bedeutung der eigentlichen Zeichen zu lösen, was ihnen eine grosse Freiheit gibt. Ein Schriftzeichen, das nicht an ein bestimmtes Wort gebunden ist, bekommt also plötzlich ein breites Bedeutungs-Spektrum.“
Dabei ist die chinesische Schrift geradezu genial, wenn sie mit echten Zeichen und tieferer Bedeutung daherkommt. Denn alle Chinesen verstehen sie, alle Chinesen lernen sie. Und das ist – weltweit - rund ein Fünftel der Menschheit. Dabei sprechen diese Chinesen so unterschiedliche Dialekte, dass sie sich mündlich untereinander kaum verständigen können. Schriftlich ist dies allerdings kein Problem. „Die chinesischen Schriftzeichen sind Laut-unabhängig, deshalb waren sie schon früher so praktisch in einem zentral-regierten, riesigen Reich, in dem so viele Dialekte gesprochen wurden und wo man ein allgemein gültiges Verständigungsmittel brauchte“, sagt Alexandra von Przychowski.
Universalschrift?
Eine Schrift, in Form von Zeichen, die von Chinesen mit den unterschiedlichsten Dialekten verstanden wird. Wäre das nicht auch eine Schrift, die unabhängig von der Sprache, auf der ganzen Welt Verwendung finden könnte? „Diese Frage hat sich vor mehr als 300 Jahren auch Leibnitz schon gestellt“, erklärt von Przychowski. Es war die Zeit der Aufklärung und der Leipziger Philosoph Gottfried Wilhelm Leibnitz war fasziniert von der chinesischen Schrift und Kultur. Er korrespondierte mit französischen Jesuiten-Missionaren in China. „Der Trugschluss bestand aber darin, anzunehmen, dass das Chinesisch eine Bilderschrift ist und sich unabhängig von der Sprache entwickeln kann. Aber genau das ist das Chinesisch eben nicht! Es ist keine Bilderschrift. In der Umgangssprache setzen sich Wörter oft aus zwei oder drei Zeichen zusammen. In der klassischen Schriftsprache stehen die meisten Zeichen dagegen für sich allein.“
Etwa im 17. Jahrhundert waren die chinesischen Schriftzeichen bei uns im Westen bekannt geworden. Damals wurde ein Chinese, der mit Missionaren nach Europa gekommen war, vom französischen „Sonnenkönig“, Louis XIV, empfangen und er demonstrierte, wie die chinesische Schrift funktioniert. Von nun an war China mit Schrift und Sprache total „in“. Sprachwissenschaftler beschäftigten sich intensiv mit Chinesisch und „Chinoiserien“ waren im Rokoko als Kunstgattung äusserst beliebt.
Stenographische Bilder
In neuerer Zeit war es der amerikanische Schriftsteller Ezra Pound, der sich vor rund hundert Jahren von der chinesischen Schrift faszinieren liess. Für ihn waren die Schriftzeichen eine Art „stenographischer Bilder“ und er entwickelte eine Methode der „konkreten Poesie“, die sich an der chinesischen Schrift orientierte.
Alexandra von Przychowski hat viel Anschauungsmaterial zusammengetragen, um diese spannende Geschichte über 3000 Jahre chinesischer Schrift zu bebildern. Es lohnt sich, diesen Weg im Museum Rietberg nach zu verfolgen. Und man darf sich auch Gedanken machen, wie das so ist, mit einer universellen Schrift, die Inhalte über Sprachgrenzen hinweg vermitteln kann. Und tatsächlich gibt es im Zuge der Globalisierung wieder Ansätze, durch Zeichen allgemeinverständliche Informationen schriftlich zu verbreiten.
Von Schriftzeichen zu Pictogrammen und Emojis
Vor wenigen Tagen war es Roger Federer, der seine Fan-Gemeinde nach dem verpassten Sieg in Melbourne über sich, seine anschliessende Knie-Operation und seine Seelenlage in Zeichensprache informierte. Er verwendete Emojis dafür. Emojis? „Emoji“ ist japanisch und heisst „Bildschriftzeichen“. Ohne Emojis sind heute sms-Texte kaum mehr denkbar. Ein lachendes Smiley-Gesicht ersetzt lange Erklärungen und es wird in allen Kulturen und Sprachen verstanden. Das ehrwürdige Oxford Dictionary hat im vergangenen Jahr gar ein Emoji zum „Wort des Jahres“ erkoren, und zwar das „Tränen der Freude“-Smiley. „Emojis überwinden sprachliche Grenzen“, heisst es in der Begründung.
Gut fünfzig Jahre ist es her, seit Bildzeichen an Stelle der Buchstaben-Schrift ihren Siegeszug begannen. Der japanische Grafiker Katsumi Masaru hatte simple Bildzeichen für die verschiedenen Sportarten der Olympischen Spiele in Tokio entworfen. Daraus entwickelten sich in Windeseile Pictogramme, die seither auf allen Flughäfen und in vielen anderen Lebensbereichen den Weg weisen und für Ordnung sorgen. Jeder versteht sie, jeder hat andere Wörter dafür. Die globalisierte Zeichenschrift hat uns eingeholt. Kein Wunder, dass die „Schnürlischrift“ daneben keine Chance mehr hat und abgeschafft wurde….
Ausgangspunkt aber waren gewissermassen die chinesischen Schriftzeichen, die auch Menschen im Westen seit Jahrhunderten faszinieren und von einer universellen Schrift träumen lassen.
"Magie der Zeichen - 3000 Jahre chinesische Schriftkunst"
Museum Rietberg, Zürich
bis 20. März 2016