Der Krieg in der Ukraine stellt Journalisten wieder vor die Frage, welche Bilder sie ihrem Publikum noch zumuten können. Klare Grenzen gibt es nicht mehr. Auch Bilder von Toten werden publiziert. Was will man überhaupt mit den Bildern erreichen?
Fotos von Gewalt und Zerstörung sollen dazu dienen, die Welt zur Umkehr zu bewegen, also dem Schrecken der Kriege ein Ende zu bereiten. Das war und ist noch heute die Motivation der meisten Kriegsfotografen. Es gibt vereinzelte Beispiele dafür, dass mit Fotos etwas Derartiges erreicht wurde. Berühmt ist das Bild der verzweifelt vor einem Napalm-Angriff fliehenden Kinder in Vietnam von 1972. Der Fotograf Nick Út hat damit nachhaltig auf die Anti-Kriegs-Bewegung in Amerika gewirkt.
Aber es wäre sehr kühn zu behaupten, dass Kriege in dem Masse unwahrscheinlicher würden, wie über Bilder ihre Schrecken der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt werden. Robert Capa, der bis heute wohl berühmteste Kriegsfotograf, stellte schon vor Jahrzehnten nüchtern fest: «The most horrible war pictures will never end wars.»
Kriegsfotografen, aber auch die unzähligen Zeitzeugen, die mit ihren Handys Bilder vom Grauen aufnehmen, werden trotzdem in ihrer Mehrzahl auf ein Ende der Gewalt hinwirken wollen. Der gute Wille ist da, aber sind Bilder die geeigneten Mittel? Ungewollt können sie kontraproduktiv sein. Denn jede Kriegspartei hat Bilder, die aus ihrer Sicht belegen, dass die Gegner skrupellos die grössten Untaten begegnen. Gewollt oder ungewollt werden Bilder zu Mitteln der Kriegspropaganda und dienen zur Rechtfertigung der eigenen Gewalt.
Den westlichen Medien wiederum darf man in ihrer Mehrzahl unterstellen, dass sie Propaganda vermeiden möchten. Aber auch sie ergreifen Partei, und die Bilder, die sie zeigen, sollen ihren Standpunkt untermauern. Ihre mit Bildern unterlegten Berichte führen dazu, dass sich westliche Politiker zur Lieferung von immer mehr Waffen zugunsten der Angegriffenen entschliessen. Die Evidenz der Bilder lässt ihnen keine andere Wahl.
Ganz offensichtlich fehlt den Bildern vom Grauen die Eigenschaft, auf die immer wieder vergeblich grosse Hoffnung gesetzt wurde und wird: dazu zu motivieren, Wege aus der Gewalt zu finden. Es ist eben nicht so, dass Menschen, die mit den «Schrecken des Krieges», wie Goya seine Grafiken, die zwischen 1810 und 1814 entstanden, genannt hat, konfrontiert werden, zu Pazifisten werden und von ihren Politikern eine absolut pazifistische Politik verlangen. In diesem Sinne bewirken Schreckensbilder keinen Bewusstseinswandel.
Deswegen ist die Behauptung der Medien, sie wollten mit den Bildern eine Art Umkehr bewirken, eine Lebenslüge. Als die New York Times am 7. März 2022 ein Titelfoto brachte, das tote Zivilisten zeigte, hatten die Redakteure vorher diskutiert, ob man solche Bilder den Lesern zumuten dürfe. Unausgesprochen steckt dahinter auch ein kommerzielles Interesse: Man möchte mit diesen Bildern Leser «ansprechen», also behalten und nicht verlieren. Es wäre ehrlicher, wenn dieser kommerzielle Aspekt, der die gesamte Verwertungskette der Schreckensbilder bestimmt, klar benannt würde.
Bilder vom Krieg sind unverzichtbar, denn ohne sie hätten wir keine Vorstellung von dem, was Kriege anrichten – in diesem Fall in der Ukraine. Bilder machen uns zu Zeugen, aber sie machen uns nicht zu Pazifisten. Ganz im Gegenteil spannen sie ihre Betrachter gewollt oder ungewollt in eine Denkweise ein, in der die Gewalt ein akzeptiertes Mittel ist.