Mattel bringt neu eine Barbie mit Hidschab auf den Markt. Die Reaktionen sind heftig. Zu Recht?
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Annina Oggier wurde im Jahre 2001 geboren und besucht das neusprachliche Profil des Realgmynasiums Rämibühl in Zürich. In ihrer Freizeit widmet sie sich am liebsten der Musik. Sie spielt Harfe und nimmt Gesangsstunden.
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Die Sensation war gross, als der Puppenhersteller Mattel bekannt gab, im Rahmen seiner Shero-Kollektion eine Barbie mit Hidschab nach Vorbild der US-amerikanischen Säbelfechterin Ibitihay Muhammad auf den Markt zu bringen. Die Hidschab-Barbie gehört zu Mattels Kollektion der sogenannten „Shero“-Puppen. Diese Bezeichnung setzt sich aus den englischen Wörtern She (sie) und hero (Held) zusammen und soll auch genau das verkörpern: ein weibliches Vorbild, das junge Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt inspirieren soll.
Es sind bereits einige Puppen dieser Reihe auf dem Markt, unter anderem eine von Ashley Graham, einem bekannten Plus-Size-Model, und eine andere von Misty Copeland, der ersten afroamerikanischen Primaballerina des American Ballett Theater: beides Frauen, die Aussergewöhnliches erreicht haben, aus der Menge herausstechen und mit Anfeindungen unserer zuweilen immer noch diskriminierenden Welt zu kämpfen hatten und haben.
Im Internet häuften sich schnell sowohl positive als auch negative Stellungnahmen. Oft kam der Vorwurf, Mattel würde mit dieser Puppe die Zwangsverschleierung und Unterdrückung der Frau verniedlichen. Und selbstverständlich geht es gar nicht, unterdrückende, frauenfeindliche Zustände als Normalität anzusehen. Doch genau hier liegt der springende Punkt: Über Jahrzehnte war es völlig normal, eine „kranke“, magersüchtige Barbie mit viel zu schmaler Taille, einem ewig kindlichen, unschuldigen Puppengesichtchen und langen (künstlich) blonden Haaren zu einem (unerreichbaren!) Vorbild für kleine Mädchen hochzustilisieren und damit jahrzehntelang Generationen von Frauen zu unterdrücken. Man (und frau) muss sich zumindest die Frage stellen, was „die Frau“ letztlich mehr entwürdigt: der Zwang zur sexualisierten Körperlichkeit der (fast) nackten „Ur-Barbie“ oder das Verhüllen des Körpers bei einer Hidschab-Barbie?
Ungeachtet davon gehört die US-amerikanische Säbelfechterin Ibitihaj Muhammad zu den Frauen, die guten Grundes eine Leitfigur darstellen: Sie war eine der ersten Frauen, die 2016 – mit Hidschab – zu den Olympischen Spielen in Rio antrat und Bronze gewann. Doch nicht nur aus diesem Grund stellt sie ein Vorbild dar: In muslimischen Ländern setzt sie sich ausserdem für Bildung und sportliche Aktivitäten junger Mädchen und Frauen ein und kämpft somit ganz bewusst gegen die Unterdrückung der Frau. Wieso also eine Frau mit einem so bemerkenswerten Engagement wie Ibitihaj aus dieser Kollektion, die Frauen in ihrem Glauben an sich selbst stärken soll, ausschliessen? Die Vize-Präsidentin des Marketings bei Mattel äussert sich folgendermassen zu den Zielen der von Ibitihay Muhammad inspirierten Barbie: „Indem wir ihre Geschichte ehren, hoffen wir, alle Mädchen mit Kopftuch zu erinnern, dass sie alles tun und sein können, was sie wollen.“
Der Vertrieb einer solchen Barbie hat aber auch für nicht-muslimische Kinder einen Nutzen.
Gerade in der heutigen Zeit, in der insbesondere rechte politische Parteien wie der Front National in Frankreich, die FPÖ in Österreich, die AfD in Deutschland oder hierzulande massgebende Vertreter der SVP versuchen, Hass zu schüren und die Kommunikation mit Menschen anderer Kulturen oder Religionen zu unterbrechen, ist es von grösster Wichtigkeit, einen Dialog zu suchen. Am Beispiel einer Kopftuch-Barbie haben Kinder die Möglichkeit, spielerisch mit anderen Kulturen in Berührung zu kommen und zu lernen, dass es viele verschiedene respektable Lebensarten gibt, und – vorausgesetzt, dass die grundlegenden Menschenrechte gewahrt werden – in unserer westlichen Welt keine Kultur, Lebensart oder Religion als minderwertig angesehen oder benachteiligt werden sollte. Diese Werte spielerisch zu verinnerlichen, kann mithelfen, die Angst vor Andersartigem in Zukunft zu minimieren.
Natürlich muss man sich fragen, ob Mattel die Barbie mit Hidschab wirklich (allein) aus den genannten Gründen lancieren will oder ob es ihnen nicht vielleicht doch vielmehr darum geht, nach kapitalistischen Denkmustern neue Absatzmärkte für ihr Produkt zu finden. Doch trotz der Ironie, dass ausgerechnet die Firma Mattel, welche lange Zeit diktierte, wie die „freie“ Frau der westlichen Kulturen auszusehen habe, nun eine Offenheit fordert, die sie dann wiederum gewinnbringend nutzen kann, sehe ich einen klaren Mehrwert in den Möglichkeiten dieser Puppe. Die Barbie mit Kopftuch stellt eine Chance für die heutige und zukünftige Gesellschaft dar: Sie fordert Offenheit, Individualität und das Überwinden starrer Denkmuster. Von daher ist es wünschenswert, weiterhin möglichst diverses Spielzeug zu produzieren, welches die individuelle und kulturelle Vielfalt unterstreicht. Ich kann mir gut auch ein Playmobilmännchen mit Kippah vorstellen. Vielleicht liegt es ja bereits nächstes Jahr unter dem Weihnachtsbaum.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch