Die Skisaison ist eröffnet. Das wurde am letzten Wochenende in den Radionachrichten bekannt gegeben. Man könnte die Wahrheit der Meldung bezweifeln angesichts der trockenen sonnigen Bergwiesen und der hohen Föhntemperaturen. Doch die Pressefotos räumen jeden Zweifel aus. Zum Beispiel: Die oberen Parsenn-Lifte in Davos sind in Betrieb. Pünktlich mit der Umstellung der Uhren auf Winterzeit startet in den renommierten Wintersportzentren der Pistenbetrieb. Woraus sich erneut ableiten lässt, dass wir uns weder von der sogenannten Natur noch von Sankt Petrus oder sonst irgendeinem Spielverderber ins touristische Wintergeschäft dreinreden lassen.
Im Wald an der Strasse zum Flüelapass ist es noch grün und trocken. Doch mitten durch den Wald zieht sich ein weisses Band aus Schnee: die Loipe. Seit letzter Woche ist sie präpariert. Auf einer Schlaufe von vier Kilometern brettern die ersten Langläufer ihre Runden. Der Schnee auf dieser Loipe stammt vom letzten Winter, er wurde unter Sägemehl gelagert und hat so den Sommer überdauert. Snowfarming nennt man dieses Wunder menschlichen Erfindungsgeistes.
Schnee machen, verpacken und lagern
Die Davoser haben seit ein paar Jahren Erfahrung gesammelt mit dem Anlegen von Schneedepots über den Sommer. Das Eidgenössische Institut für Schnee-und Lawinenforschung geht das Problem wissenschaftlich an. Mittlerweile gehen beim Snowfarming nur noch 20 Prozent des im Depot gelagerten Volumens verloren.
Jetzt wird mit grosser Kelle angerichtet. Zwanzigtausend Kubikmeter Schnee sollen künftig im Flüelatal bei Davos gelagert werden. Für diesen grossen Berg Schnee wird ein grosses Loch gebaut. Die Baumaschinen sind am arbeiten. „Wir bauen für Ihre Zukunft“, steht auf der Hinweistafel im Wald. Implenia und die einheimische Prader-Gruppe wirken hier unter Leitung des Ingenieurbüros Caprez. Bauherren sind die Gemeinden Davos und Klosters.
Der Schnee fürs Snowfarming kommt aus den Schneekanonen. „Ohne Kunstschnee könnten wir zu machen,“ sagt Markus Good, technischer Leiter der Bergbahnen. „Anders kann ein Skigebiet sich nicht mehr wirtschaftlich tragen.“
Die Schneekanonen-Steuerung ist mittlerweile hochentwickelt. Good zeigt am Computer die Positionen der zahlreichen Schneemaschinen im Skigebiet Parsenn. Jede hat ihren festen Standort am jeweiligen Hydranten. Die Anlage funktioniert vollautomatisch. Fällt die Temperatur auf einen bestimmten Wert unter Null, beginnen die Kanonen selbständig Schnee auszuwerfen. Die Feinjustierung der einzelnen Kanone kann vom PC oder Handy aus gesteuert werden. Die Operator Crew kann theoretisch am Büroschreibtisch in Davos sitzen, während sie ihre Schneekanonen da oben in den Bergen kontrolliert: Hightech vom Feinsten.
Ohne „technischen Schnee“ geht nichts mehr
Egal ob Langlauf-Loipe oder Skipisten, Tourismus Davos geht davon aus, dass das Kunstschnee-Business nötig ist, um im hart umkämpften Wintersportmarkt bestehen zu können. Die Winter werden wärmer, der Franken ist zu stark. Kleinere Bergbahnen und Lifte rentieren nicht mehr, die Grossen treten die Flucht nach vorn an. Sie sind zum gnadenlosen Wettbewerb verdammt, wohl wissend, dass dies gesamtwirtschaftlich keinen Sinn macht. Denn jede zusätzliche Tageskarte, die in Davos und Klosters verkauft wird, fehlt an einer anderen Skistation. Der Markt stagniert.
Da man ohnehin „technischen Schnee“ einsetzen müsse, sei es vernünftiger, den ersten Kälteeinbruch zu nutzen und schon im Oktober Pisten zu präparieren, gibt Markus Good zu bedenken. Denn so gewinne man Zeit und könne Leute beschäftigen, die in der Vorsaison nicht viel zu tun hätten.
Nun hofft man, mit früh präparierten Loipen die Spitzenläufer zum Herbst-Training nach Davos zu bringen. Swiss Ski macht sich dafür stark, nationale Fördergelder sollen fliessen. In einer Sonderbeilage der Sonntagszeitung wirbt Olympiasieger Dario Cologna für Davos. Ihn fasziniert an Davos, „dass der Schnee schon im Oktober fällt und bis April liegen bleibt.“
Schön wärs. Der Schnee fällt eben meist nicht im Oktober, sondern er kommt aus den Maschinen. Und für diese Maschinen werden grosse Wasserspeicher in die Landschaft gebaut und Leitungen verlegt. Umweltschützer kritisieren seit langem, dass der Schneekanonen-Zauber unter der Etikette „Neue Regionalpolitik“ zu einem guten Teil von den Steuerzahlern finanziert wird und eine solide Kosten-Nutzenrechnung bislang nie vorgelegt wurde. Das Lawinenforschungs-Institut (SLF) arbeitet nach eigenen Angaben daran, „die wirtschaftlichen und ökologischen Vor- und Nachteile zu beurteilen“ und kündigt an, demnächst Ergebnisse zu publizieren. Zu hoffen ist, dass mit neuen Entwicklungen wie den Schneilanzen der Energieverbrauch bei der Schneeproduktion stark reduziert werden kann.
Künstliche Erlebniswelten
Tatsache ist, dass die künstliche Herstellung der Erlebniswelt Schneesport am Ende dazu geführt hat, dass wir Skifahren im Grünen. Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Zerstörungen zu dokumentieren, die der Massentourismus anrichtet , spricht von „maschinen-industrieller Kriegsführung gegen die Natur“.
„Ou sont les neiges d’antan?“ fragte François Villon, und er konnte sich nicht träumen lassen, dass der „Schnee von gestern“ einmal unter Sägemehl verpackt Bestand haben würde. Seit der industriellen Revolution vom Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Glaube an die technische Machbarkeit aller materiellen Dinge trotz vieler Rückschläge und Enttäuschungen ungebrochen. Dass der Mensch Schnee und Eis machen kann, ist bekannt seit es Vanilleglace und Kühlschränke gibt. Dass diese Fertigkeit eines Tages weiter entwickelt würde, um Skipisten herzustellen, war erwartbar. Und dennoch: Hätte man einer Marie-Theres Nadig oder einem Bernhard Russi 1972 in Sapporo gesagt, dass der Schnee zum Skifahren einmal nicht mehr vom Himmel käme, sondern aus einer Maschine namens Schneekanone, sie hätten es wohl für einen sehr dummen Witz gehalten.