Übernimmt in Portugal zum ersten Mal seit 1986 ein Militär das höchste Amt im Land? Im Januar 2026 muss das Stimmvolk das Staatsoberhaupt für die nächsten fünf Jahre wählen – wobei noch offen ist, wer überhaupt zur Wahl stehen wird. Starke und charismatische potenzielle Kandidaten aus der Politik sind rar. Als Hoffnungsträger erscheint da ein Admiral, der sich sogar durch konkrete Taten beliebt gemacht hat.
Alle fünf Jahre wieder dreht sich in Portugal das Karussell der Kandidaten für das höchste Amt im Staat – so auch jetzt. Zwar muss das Stimmvolk erst im Januar 2026 an die Urnen, um über die Nachfolge den Nachfolger des knapp 76jährigen Marcelo Rebelo de Sousa zu wählen. Aber bereits jetzt ist die Wahl ein wichtiges Thema in den Medien – aber nicht etwa, weil schon klar wäre, wer genau zur Wahl stehen wird und über welche zwei Alternativen das Volk in einer allfälligen Stichwahl zu entscheiden hätte. Etliche Namen sind im Gespräch, offiziell hat aber noch niemand eine Kandidatur angemeldet, was die Spekulationen ebenso nährt wie das Geschäft der Wahlforschungsinstitute.
Ein nicht nur dekoratives Amt
Portugal hat ein semipräsidiales System. Zwar hat der Präsident – oder hätte eine künftige Präsidentin – keine so weitreichenden Kompetenzen wie das Staatsoberhaupt in Frankreich. Immerhin darf er oder sie aber die Regierung entlassen, das Parlament vorzeitig auflösen und Neuwahlen ansetzen sowie ein Veto gegen Entscheidungen des Parlaments einlegen – ein Veto aber, dass das Parlament mit absoluter Mehrheit überstimmen kann. Auch erklärt die Verfassung von 1976 den Präsidenten zum höchsten Befehlshaber der Streitkräfte.
Aus den Reihen der Streitkräfte kamen 1926-86, also 60 Jahre lang (mit nur kurzen Unterbrechungen), alle Präsidenten. In diese Zeit fiel nicht nur die faschistische Diktatur von 1926-74 (geprägt indes von einem Zivilisten, António Oliveira Salazar, Regierungschef der Jahre 1932-68). Auch in den ersten 12 Jahren nach ihrem Sturz durch die «Nelkenrevolution» von 1974 wechselten sich drei Generäle ab, zwei davon ernannte das Militär, das die marode Diktatur gestürzt hatte; den dritten, General António Ramalho Eanes, wählte 1976 das Volk, das ihm 1981 für weitere fünf Jahre im Amt bestätigte. Wenige Politiker haben sich über die Jahre so viel Ansehen erworben wie Eanes, der als gestandener Demokrat und als absolut integer gilt.
Versteckspiel, Scharade und Polit-Folklore
Auf Eanes folgten vier Zivilisten, die ersten zwei aus den Reihen des Partido Socialista (PS), die anderen beiden aus denen des bürgerlichen Partido Social Democrata (PSD). Auf PS-Gründer Mário Soares (1986-96) folgte der linke Sozialist Jorge Sampaio (1996-2006). An seine Stelle trat der bieder-spröde ehemalige PSD-Regierungschef Aníbal Cavaco Silva (2006-16). Aus dem gleichen Lager stammt der 2016 erstmals gewählte und 2021 im Amt bestätigte Rebelo de Sousa, der sich im Stil radikal von Cavaco unterscheidet, weil fast täglich zu Medienleuten spricht, gern in Menschenmengen eintaucht und für Fotos posiert – was dem schlicht als «Marcelo» bekannten Präsidenten den Spitznamen «Marselfie» eintrug.
Wer folgt auf ihn? Wer wird zur Wahl stehen? Wie so oft erlebt Portugal ein Mix aus Versteckspiel, Scharade, Pantomime und Polit-Folklore. Frauen und Männer, die sich für ein Amt interessieren, sich aber zu schnell und weit aus dem Fenster lehnen, geraten auch im eigenen Lager leicht in die Schusslinie. Sie sollten sich daher diskret vortasten. Wer die Frage nach allfälliger Bereitschaft erst einmal rundweg verneint, ist in Portugal noch lange nicht unbedingt aus dem Spiel.
Wer nicht vorpreschen will, muss aber Wege finden, um von sich reden zu machen. InteressentInnen können eine Kandidatur «erwägen», diese «nicht ausschliessen», noch «reflektieren» wollen oder ihre Familien befragen müssen. Gescheiterte oder abgewählte Politiker können eine Zeit in der Versenkung verbringen, ehe sie sich bei einer Veranstaltung ihrer Partei plötzlich wieder zeigen, die Neugier der Medien wecken und dann Pläne für ein Comeback weder bestätigen noch dementieren. Es gilt dann, die Reaktionen und die Umfragewerte abzuwarten.
Der Admiral, das «Impfwunder» und der Strick
Charismatische Figuren aus der Politik, die sich als natürliche Kandidaten anbieten und ausserhalb des eigenen Lagers nicht sofort auf Antikörper stossen, sind derzeit rar. In Umfragen erschien als beliebtester möglicher Kandidat ein Militär, nämlich der 64jährige Admiral Henrique Gouveia e Melo. Er ist seit 2021 Chef des Generalstabschefs der Marine, wo seine Amtszeit am Jahresende abläuft. Und die Tatsache, dass er kürzlich eine Erneuerung des Mandats abgelehnt hat, gilt als Indiz für ein Interesse an einer Kandidatur für das Präsidentenamt.
Was macht ihn beliebt? Im Jahr 2021, als die Covid-19-Pandemie das Land im Griff hatte, ernannte ihn die sozialistische Regierung zum Koordinator der nationalen Impfkampagne. Er mag diese nicht allein geplant haben, sie war aber effizient, und bald bekundeten ausländische Medien reihenweise Neid um das portugiesische «Impfwunder». In dem Land, wo das Vertrauen in die politische Elite bröckelt wie anderswo, zählen vollbrachte Taten an den Urnen womöglich mehr als politische Ideen.
Wie der Admiral diesbezüglich tickt, ist nur schemenhaft bekannt. Er sah sich einmal als Vertreter einer «pragmatischen Mitte», der einige eher linke und andere eher rechte Ideen vertreten könnte. Ganz rechts räumte erst die xenophobe Partei Chega ein, dass sie ihn unterstützen könnte – obwohl ihr einige seiner bekannten Positionen nicht gefallen dürften. So befürwortete der Admiral die Einwanderung und sah einmal die Demokratien «in einem kritischen Moment», mit dem Hinweis auf «viele Opportunisten», die mit falschen Versprechen und mit falschen Lösungen an den Grundpfeilern der Demokratie rütteln könnten. In dieser Woche schrieb die Tageszeitung «Público» derweil über Sympathien für den Admiral im sozialistischen Lager, angesichts seiner Beliebtheit. Vielleicht verkörpert er, wie einst Eanes, den Wunsch nach unparteiischer Amtsführung mit militärischer Loyalität und menschlichem Antlitz.
Noch im Herbst 2021 hatte Gouveia e Melo kurioserweise einen Wechsel in die Politik abgelehnt. Für den Fall, dass er dieser Versuchung erliege, wünschte er sich in humorvollem Ton einen Strick, um sich erhängen zu können. Man sagt dem amtierenden Präsidenten, Rebelo de Sousa, derweil Vorbehalte gegen den Admiral nach, wegen angeblicher Befürchtungen, dass dieser zu einem «autoritären Populismus» neigen könne. Unterdessen möchten sowohl PS als auch PSD, also die zwei stärksten Parteien im Land, das Präsidentenamt möglichst mit einer Figur aus den eigenen Reihen besetzen.
Viele Namen, wenig Gewissheit
Gute Umfragewerte erzielt im PSD-Lager der 60jährige Pedro Passos Coelho, Regierungschef der Jahre 2011-14. Er fände aber wenig linke Sympathien, musste Portugal in jenen von der Finanzmarktkrise geprägten Jahren doch ein unpopuläres Hilfsprogramm der internationalen «Troika» umsetzen. Er sei «troikanischer als die Troika», war damals oft zu hören.
Was eine mögliche Kandidatur angeht, hält er sich noch bedeckt – ganz im Gegensatz zu seinem 67jährigen Parteifreund Luís Marques Mendes, der in den Jahren 2005-7 mit mässigem Erfolg den damals oppositionellen PSD anführte. Als «Prä-Kandidat» geht er so vor wie der jetzige Präsident, ehe er sich zur Wahl stellte, und profiliert sich als TV-Kommentator. Im Fernsehsender SIC wird dem Publikum vor der Sendung mitunter «die Meinung, die zählt» angekündigt (als ob andere Meinungen nicht zählen würden). Und dann spricht die Moderatorin nicht nur aktuelle Themen an, sondern fragt den Kommentator auch nach eigenen Ambitionen. Und da liess sich Marques Mendes im August letzten Jahres herauskitzeln, dass er kandidieren könne, wenn er eines Tages finde, dass er damit «dem Land nützen könne». Marques Mendes wäre, nach Rebelo de Sousas zehn Jahren im Amt, am ehesten ein Mann der Kontinuität. Auch dürfte er keinen strammen rechten Kurs fahren, sondern – wie Rebelo de Sousa – ein Mann des Ausgleichs sein wollen.
Ein Mann, der sich nicht zweimal bitten lassen würde, ist der 68jährige Pedro Santana Lopes, ein ehemaliger PSD-Vorsitzender mit dem Ruf eines enfant terrible und einem absolut schillernden Werdegang. Er ist derzeit Bürgermeister der Hafenstadt Figueira da Foz, 200 Kilometer nördlich von Lissabon. Er war vorher Präsident des Fussballclubs Sporting Lissabon und Bürgermeister der Hauptstadt, 2004/5 führte er als Ministerpräsident dann eine kurzlebige nationale Regierung, die Präsident Sampaio aber angesichts chaotischer Zustände absetzte. Er bekam den Spitznamen «Santana Flopes». Santana glaubt ausdrücklich, den Admiral in einer Stichwahl besiegen zu können, er müsste vorher aber ein grosses Misstrauen im Lager des PSD besiegen.
Traumkandidaten nicht verfügbar
Noch weniger klar ist alles bei den Sozialisten. Aus ihrem Dunstkreis schneidet niemand in Umfragen so gut ab wie der knapp 58jährige parteilose Mário Centeno, der unter Regierungschef António Costa als Finanzminister gedient hatte. Er ist das Gesicht des «Haushaltswunders», gelang es unter ihm doch, das Blatt der Austerität zu wenden und dennoch das Staatsdefizit zu drücken. Im Gespräch sind etwa im PS-Lager unter anderem auch der 67jährige António Vitorino, einst Verteidigungs- und Präsidialminister unter Regierungschef Guterres, später EU-Kommissar für Inneres und Justiz, sowie Augusto Santos Silva, 68 Jahre alt, ehemaliger Aussenminister und später Parlamentspräsident, und António José Seguro, 62jähriger früherer Generalsekretär der Partei.
Der 63jährige António Costa selbst wäre vielleicht ein guter Kandidat, ist gerade aber in Brüssel zum Vorsitzenden des EU-Rates aufgestiegen. Ein Traumkandidat für die Sozialisten wäre der 75jährige Ex-Regierungschef António Guterres, derzeit Generalsekretär der Vereinten Nationen, dessen Amtszeit dort aber erst Ende 2026 abläuft. Für ihn käme die Wahl daheim also zu früh. Ob er nach seinen langen Jahren auf der weltpolitischen Bühne überhaupt den Nerv hätte, auf die Bühne der portugiesischen Pantomime abzusteigen, steht auf einem anderen Blatt.