Auch in der neuen EU-Kommission werden sich wieder eine ganze Reihe von Kommissarinnen und Kommissare mit der Schweiz befassen. Diese wird in der Arbeit der EU-Exekutive trotzdem nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. Inhaltliche Schwerpunkte Brüssels werden die Bedrohung der Ukraine und Europas durch Russland, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber den USA und China sowie Asyl- und Migrationsfragen sein.
Zu guter Letzt hat es doch noch rechtzeitig geklappt: Die neue EU-Kommission hat wie geplant am vergangenen 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen können. Dies, nachdem das EU-Parlament seine wochenlangen parteipolitischen Streitereien um einzelne neue Kommissionsmitglieder beigelegt und am 27. November die von den EU-Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Kommissarinnen und Kommissare bestätigt hatte. Damit hat die Europäische Union sechs Monate nach den EU-Parlamentswahlen endlich wieder eine voll funktionsfähige Exekutive.
Doch das für Aussenstehende peinliche Hickhack im Parlament hinterliess Spuren: Die Animositäten und das Misstrauen insbesondere zwischen den tonangebenden Fraktionen haben zugenommen. Die EU-freundliche Mitte-Links-Kompromissmaschine hat Sand ins Getriebe bekommen. Die Zustimmung zur neuen Kommission unter der Führung der deutschen Christdemokratin Ursula von der Leyen war denn auch mit 54 Prozent noch nie so niedrig, seit das Europäische Parlament 1993 das Wahlrecht für die EU-Exekutive erhalten hat. 370 Abgeordnete votierten für die Kommission, 282 dagegen, 36 enthielten sich der Stimme.
Sefcovic bleibt Ansprechpartner von Cassis
Aus helvetischer Sicht interessiert natürlich, mit welchen Mitgliedern der neuen Kommission die Schweiz am meisten zu tun bekommen wird – eine Schweiz, die bekanntlich drauf und dran ist, die existierenden bilateralen Verträge I und II mit der EU in einem dritten Vertragspaket zu erneuern und auszubauen. An erster Stelle ist ein alter Bekannter zu nennen: Maros Sefcovic. Er bleibt auch in der neuen Kommission zuständig für die Verhandlungen mit der Schweiz. Sefcovic wird auch in Zukunft der direkte Ansprechpartner von Aussenminister Ignazio Cassis sein. Der Slowake wurde zwar herabgestuft und ist nicht mehr Vizepräsident der Kommission. Mit «Handel und wirtschaftlicher Sicherheit» erhielt er aber dennoch ein Schlüsseldossier.
Justizminister Beat Jans wird mit dem Österreicher Magnus Brunner ins Geschäft kommen müssen. Dieser ist in der neuen Kommission für «Inneres und Migration» zuständig. Brunner obliegt es damit, die EU-Abkommen von Dublin (Asyl) und Schengen (Reisefreiheit und Schutz der Aussengrenzen) umzusetzen – zwei Bereiche, in denen die Schweiz über bestehende bilaterale Abkommen bereits assoziiert ist. Der Vorarlberger ist Mitglied der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und dürfte für die Anliegen der Schweiz ein offenes Ohr haben. Erwartet wird, dass er eine strenge Migrationspolitik anstreben wird, da in Österreich die rechtsnationale Freiheitliche Partei (FPÖ) gerade zur stärksten politischen Kraft heranwächst.
EU wird auch Parmelin beschäftigen
Gleich mehrere Gegenüber wird Wirtschafts-, Forschungs- und Bildungsminister Guy Parmelin in der neuen Kommission haben. Da ist einmal Stéphane Séjourné, exekutiver Vizepräsident für «Wohlstand und eine europäische Industriestrategie». Der Franzose ist damit gleichzeitig zuständig für den EU-Binnenmarkt, die Industriepolitik sowie die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). In diesem Bereich ist die Schweiz über das bestehende bilaterale Abkommen über technische Handelshemmnisse bereits mit der EU verbunden. Die Schweiz hat bereits mit der EU ein bilaterales Abkommen auf dem Gebiet der Forschung und Bildung. Darum kümmert sich in der Kommission neu die Bulgarin Ekaterina Zaharieva, die das Dossier «Start-Ups, Forschung und Innovation» betreut.
Parmelin ist in der Schweizer Landesregierung auch noch für die Wettbewerbspolitik zuständig. Auf Seite der EU-Kommission ist dies Sache der Spanierin Teresa Ribera, exekutive Vizepräsidentin für «einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang». Staatliche Beihilfen sind auch ein wichtiges Thema in den Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel über die Bilateralen III.
Neue Gegenüber für Rösti und Baume-Schneider
«Nur» zwei Ansprechpartner hat Verkehrs- und Energieminister Albert Rösti in der neuen EU-Kommission. Dort ist Apostolos Tzitzikostas für den Land- und Luftverkehr zuständig – die Schweiz verfügt hier bereits über zwei bilaterale Abkommen. Der Aufgabenbereich des Griechen heisst «nachhaltiger Verkehr und Tourismus». Um «Energie und Wohnungswesen» kümmert sich der Däne Dan Jorgensen. In diesem Bereich verhandelt die Schweiz im Rahmen der Bilateralen III über ein Stromabkommen mit der EU.
Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider wird es mit Oliver Varhelyi zu tun bekommen. In der neuen Kommission ist der Ungar für «Gesundheit und Tierschutz» zuständig. Die Bilateralen III sollen gemäss dem Wunsch der Schweiz auch ein Gesundheitsabkommen mit der EU enthalten.
Neue Schwergewichte in der EU-Kommission
Auch wenn sich viele Kommissarinnen und Kommissare mit der Schweiz beschäftigen, wird diese in der Arbeit der neuen EU-Exekutive nur eine Nebenrolle spielen. Inhaltliche Schwerpunkte der zweiten Kommission von der Leyen werden die Unabhängigkeit der Ukraine und der Kampf Europas für Freiheit und Demokratie, die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten, die Erreichung der strategischen Unabhängigkeit der EU von den USA, die Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China sowie Asyl- und Migrationsfragen sein – dies angesichts des Erfolgs rechtsnationaler, migrationskritischer Parteien in der EU und weltweit.
Neben den bereits erwähnten Stéphane Séjourné (Industriepolitik) und Magnus Brunner (Asyl und Migration) werden in diesen Bereichen auch die Estin Kaja Kallas (Vizepräsidentin und «Hohe Vertreterin der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik»), die Finnin Henna Virkkunen (exekutive Vizepräsidentin für «Sicherheit, Demokratie und Werte») und der Litauer Andrius Kubilius («Verteidigung und Raumfahrt») eine gewichtige Rolle spielen.
Schwieriger Job für drei Nordosteuropäer
Damit sind die Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU künftig in den Händen von Leuten, deren Heimatländer alle eine direkte Grenze mit Russland und in der Vergangenheit unter russischer Aggression und Besatzung gelitten haben. Mit der Vergabe dieser Dossiers an durch eine solche Geschichte und Gegenwart geprägte Persönlichkeiten zeigt von der Leyen, dass sie – und mit ihr die ganze EU-Kommission – die Bedrohung Europas durch Russland ernst nimmt und gewillt ist, in die Verteidigung der Unabhängigkeit der Ukraine und die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten Zeit, Politik und Geld zu investieren.
Das Dreiergespann aus Nordosteuropa hat es dabei nicht leicht. Denn in der Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU können Beschlüsse nur mit Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten gefasst werden. Diese wachen eifersüchtig über ihre Prärogativen in diesen Bereichen und lassen sich deshalb von der Kommission nur ungern dreinreden. Das hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass die Kommission mit ihren forschen Vorschlägen auflief und Entscheide nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner getroffen wurden.