Wie erwartet: Die korrupten guatemaltekischen Machthaber, die die Wahlen verloren haben, geben nicht auf. Mit Hilfe der korrupten Justiz will die reiche Oberschicht verhindern, dass der Sozialdemokrat und Korruptionsjäger Bernardo Arévalo sein Amt als neuer Staatspräsident antritt. Schon verbucht das «Kartell der Korrupten» einen Erfolg.
Er kam aus dem Nichts und gewann. Vor dem ersten Wahlgang lag er in Umfragen noch weit abgeschlagen an achter Stelle. Dann, zur völligen Verblüffung der regierenden Elite, gelang ihm der Einzug in die Stichwahl am 20. August. Das «Kartell der Korrupten», wie die Machthaber genannt werden, stand vor einem Scherbenhaufen. Die Mächtigen im Land, die seit Jahrzehnten Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und Armee infiltrieren und dominieren, mussten plötzlich um ihre Pfründe fürchten. Denn: Der 64-jährige Arévalo war mit dem Versprechen angetreten, die Korruption endlich zu bekämpfen.
In der Stichwahl gewann der gemässigte Sozialdemokrat 60,9 Prozent der Stimmen. Sandra Torres, seine Gegenkandidatin, kam auf 39,9 Prozent. Sie gehört der reichen, weissen Oberschicht an, ist eine ehemalige Präsidentengattin und in mehrere Korruptionsskandale verwickelt. Das guatemaltekische Oberste Wahlgericht (Tribunal Supremo Electoral, TSE) hat den klaren Sieg Arévalos jetzt offiziell bestätigt. Hunderte nationale und internationale Wahlbeobachter konnten bei den Wahlen keine Unregelmässigkeiten feststellen.
Kriegserklärung an die weisse Elite
Doch schon wenige Minuten nachdem die Stimmen am 20. August ausgezählt waren, wurde befürchtet, dass die Machthaber die Niederlage nicht akzeptieren würden.
Jetzt schreiten sie zur Tat, und zwar mit Hilfe der korrupten Justiz, namentlich der korrumpierten Staatsanwaltschaft. Sie spricht von «Wahlbetrug» und ficht das klare Ergebnis an.
Bernardo Arévalo, einst Diplomat und Aussenminister, der lange Zeit in Genf lebte, ist Mitglied der 2017 gegründeten sozialdemokratischen Partei Semilla (Deutsch: Saatgut). Sie hat den Kampf gegen Korruption und Armut auf ihre Fahnen geschrieben. Damit hat sie der weissen Elite den Krieg erklärt, die überall die Finger im Spiel hat, die Politiker, Minister, Generäle, Polizisten besticht – und die auch vor Morden nicht zurückschreckt. Guatemala gehört zu den Ländern mit den meisten politischen Morden.
Semilla suspendiert
Doch Semilla dümpelte lange Jahre vor sich hin. Bis zum vergangenen Sommer, als Arévalo in die Stichwahl einzog. Um kandidieren zu können, muss eine Partei laut guatemaltekischem Gesetz die Unterschriften von mindestens 25'000 Bürgerinnen und Bürgern bei der Wahlbehörde einreichen. Das tat Semilla.
Doch Arévalos Gegner behaupten, 5’000 der eingereichten Unterschriften seien ungültig, gefälscht oder stammten von Toten. Semilla habe also nicht die nötigen 25'000 Unterschriften eingereicht, folglich hätte Arévalo gar nicht kandidieren dürfen. Semilla spricht von einem «billigen Manöver» und weist die Vorwürfe zurück.
Doch eine Behörde, die dem Wahlgericht angeschlossen ist, hat nun Semilla suspendiert. Die Mitgliederlisten seien gefälscht, erklärte der zuständige Richter.
Die korrupte Generalstaatsanwältin
Die sehr rechtsstehende Partei von Sandra Torres, der unterlegenen Kandidatin, spricht offen von «Wahlbetrug». Semilla sei eine «illegale Partei», das Wahlergebnis sei «betrügerisch manipuliert» worden. Das Oberste Wahlgericht habe nicht «über die notwendige Computerkontrolle» beim Eingang der Wahlzettel verfügt.
Eine wichtige Rolle spielt die 70-jährige Generalstaatsanwältin Maria Consuelo Porras. Sie lässt nichts unversucht, um den Sozialdemokraten Arévalo zu verhindern. Im vorletzten Jahr hatte das amerikanische Aussenministerium Porras auf eine Liste «undemokratischer und korrupter» Beamten gesetzt. Sie steht eindeutig auf der Seite der Machthaber und hat nach Angaben Washingtons Korruptionsermittlungen «aktiv untergraben».
Mit ihr im Boot ist unter anderem auch Rafael Curruchiche, der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit, der den Antrag gestellt hatte, Semilla zu suspendieren.
«Weg mit den Putschisten»
«Wir sind Zeugen eines langsamen, schleichenden Staatsstreichs, bei dem das Justizsystem benutzt wird, um die Gerechtigkeit zu verletzen», sagte Arévalo auf einer Pressekonferenz. Dieser Staatsstreich werde «Schritt für Schritt» durchgeführt.
Der Versuch, Arévalo und die als Vizepräsidentin gewählte Professorin und Soziologin Karin Herrera zu verhindern, hat in den USA, Europa und Lateinamerika Bestürzung und ungewöhnlich heftige Proteste ausgelöst. In der Hauptstadt Guatemala demonstrierten Tausende und riefen «Weg mit den Putschisten».
Der amerikanische Aussenminister Antony Blinken hatte Arévalo zu seinem Wahlsieg gratuliert. Er verurteilt jetzt «die fortgesetzten Aktionen jener, die versuchen, Guatemalas Demokratie zu untergraben». «Ein solch undemokratisches Verhalten, einschliesslich der Bemühungen der Staatsanwaltschaft und anderer Akteure, die politische Partei des gewählten Präsidenten zu suspendieren und die Wahlbehörden einzuschüchtern, unterläuft den eindeutigen Willen des guatemaltekischen Volkes», sagt Blinken.
«Neuer demokratischer Frühling»
Auch die EU warnt davor, das Wahlergebnis zu kippen und die «Rechtsstaatlichkeit zu untergraben». Dies würde sich unweigerlich auf die internationalen Beziehungen Guatemalas, auch zur EU, auswirken. Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) schlägt laute Töne an. Die Suspendierung der Semilla-Bewegung widerspreche den Prinzipien der repräsentativen Demokratie. Consuela Porrea wird aufgefordert, die Bürgerrechte zu achten und sich nicht in den demokratischen Prozess einzumischen.
Arévalo erklärte inzwischen: «Nichts kann uns rechtlich daran hindern, unser Amt am 14. Januar 2024 anzutreten, so wie es die Verfassung vorsieht. Dies ist ein historischer Moment für ein Volk, das an die Urnen und dann auf die Strassen und Plätze des ganzen Landes gegangen ist, um den Beginn eines neuen demokratischen Frühlings zu feiern.»
Das Leben zur Hölle machen
Doch selbst wenn der gewählte Präsident die jüngsten Manöver seiner Gegner überstehen sollte: Ihm drohen schwere Zeiten. Trotz ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen bleiben die bisher Regierenden die eigentlichen Machthaber im Land. Sie ziehen überall die Fäden und werden dem Präsidenten, der im Parlament nur über eine kleine Machtbasis verfügt, das Leben zur Hölle machen.
Und guatemaltekische Journalisten weisen darauf hin, dass auch in Guatemala, wie überall in Lateinamerika, die Gefahr von Attentaten lauert.