Die Unkenrufe kommen aus allen Ecken. Das Ende der Globalisierung wird prognostiziert. War es einst die Geschichte, deren Ende für Diskussionen und Umsätze sorgte, ist es jetzt die Covid-19-Pandemie, die als Auslöserin von vorschnellen Urteilen herhalten muss.
Wetterleuchten als Vorwarnung
Tatsächlich war der steigende Protektionismus vieler Länder Ankündigung des Gewitters. Am Tag, als Donald Trump gewählt wurde, brachen Blitz und Donner über die Verfechter der Globalisierung herein. Eine der ersten Twitter-Botschaften des grossen Märchenerzählers an der Spitze der «grössten» Nation war – wir erinnern uns: «Make America great again!» Dass die darauf folgende (Handels-) «Kriegserklärung» des Selbstdarstellers an China eher das Gegenteil der versprochenen neuen Ordnung zur Folge hatte, ist mittlerweile bekannt. Als Aufmunterung zur Nachahmung ähnlich denkender Staatspräsidenten anderswo setzte sie aber ein fatales Zeichen: Allein sind wir stärker. Nationalismus pur, Auslöser unheilvoller Entwicklungen seit Jahrhunderten, bestens bekannt und dokumentiert.
Folgen der Covid-19-Pandemie
Mehr Harm, als die vereinigten Populisten-Staatsführer dieser Welt es je herbeireden könnten, tut die jetzige Covid-19-Krise dem Welthandel an. Schätzungen gehen davon aus, dass direkte Investitionen um 30 bis 40 Prozent zurückgehen, internationale Geldtransfers um 20 Prozent, der Handel um einen Drittel schrumpfen könnte. Der Hauptgrund: drastischer Nachfragerückgang weltweit. Die Schwierigkeiten der nationalen Fluglinien stehen exemplarisch für ein weiteres Problem: Die Gefahr, dass Staaten «ihre» Fluglinien finanziell über Wasser halten wollen – «koste es, was es wolle» – und sie damit die einstigen Regelwerke der Flugindustrie zusammenkrachen lassen.
Diese Entwicklung erinnert, gemäss dem «Economist», an die Periode unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bevölkerung hat Angst. Das ist eine starke Rechtfertigung für Protektionismus. Dass China vor der Krise z. B. 42 Prozent des Weltexports von persönlichen medizinischen Schutzausrüstungen tätigte, in Italien drei Viertel der Blutverdünner und in Japan 60 Prozent aller Antibiotika aus China stammten, lässt aufhorchen. Diese Situationen werden, im Nachhinein, als äusserst ungesund empfunden. Im Nachhinein. Dies ist eine der Erkenntnisse aus der Krise. Die Globalisierung hat da und dort absolut untragbare Abhängigkeiten hervorgebracht. Wer ist dafür verantwortlich?
Zukunftsszenarien
Solche Situationen könnten dazu führen, dass viele Länder auf Eigenproduktion gewisser Artikel umstellen, dies umso mehr, als immer mehr Roboter den Weg in traditionelle Produktionshallen finden und auf diese Weise die rationelle Herstellung grosser Mengen längerfristig tatsächlich billiger käme als deren Import aus China.
Doch scheint auch in dieser Situation die «Alles-oder-nichts-Lösung» in die Irre führend. Nicht alles an der Globalisierung ist schlecht. Nicht alle Panikreaktionen würden eine bessere Lösung herbeiführen. Wer sich jetzt berufen fühlt, das Ende der Globalisierung auszurufen, läuft das Risiko, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Wer sofort mit Schuldzuweisungen an Politiker oder Wirtschaftskapitäne auffährt, verhaspelt sich nicht selten in parteipolitischen Ideologiegebilden.
Unausgewogene Urteile bringen uns nicht weiter
Wenn also Rudolf Strahm im «Tages-Anzeiger» hart ins Gericht geht mit den Anhängern der Globalisierung und ihnen gleich die Zerstörung derselben in die Schuhe schiebt, ist das marktschreierisch. Seine Kritik an den neoliberalen Exekutiven in Zeiten der Globalisierung mag in vielen Fällen berechtigt sein, dies allein genügt jedoch nicht für eine ganzheitliche Würdigung. Wer über die Millionen von Arbeitnehmenden in westlichen Demokratien, die durch die Globalisierung ihren Job verloren hätten, berichtet, müsste auch über die Hunderte von Millionen vormals mittelloser Menschen in den neuen Produzentenländern reden, die gemäss OECD dadurch der bitteren Armut entronnen sind. Und es gehörte auch dazu, darauf hinzuweisen, wie viele der vorübergehend Arbeitslosen in Europa inzwischen einen neuen Job gefunden haben, in einer Welt, die sich rasend schnell verändert – mit oder ohne die Globalisierung.
Wer die «rasante liberale Globalisierung mit den sichtbaren Folgen von sozialem Abstieg den Ultraglobalisierern» anlastet, letztere ebenso verantwortlich macht für die Rückschläge in den multilateralen Kooperationen und die «nationalistischen Wellen» in einzelnen Staaten, der verkennt wohl schlicht die wahre Motivierung der Staatschefs in Ungarn, Polen, Tschechien, der Türkei und den USA.
Wer kennt schon das Ende der Geschichte?
Zweifellos hat die Globalisierung das System der Wertschöpfungsketten effizienter, günstiger, aber auch fragiler werden lassen. Diese «Qualität» ist jedoch im IT-Zeitalter auch durch andere Trends Tatsache geworden. Die Swisscom mit ihrer Folge von Breakdowns – wir alle kennen das und sind davon betroffen. Die Fragilität unserer modernen Institutionen muss also mehrere Gründe als nur die Globalisierung haben. Somit ist wohl das in der NZZ verkündete «Ende vom Ende der Geschichte» etwas herbeifabuliert, denn auch die Zäsur der Pandemie ist nicht Auslöser, sondern Beschleuniger einer Entwicklung, die schon vor mehr als zehn Jahren begonnen hat. Die Phase der Hyperglobalisierung endete ja mit der Finanzkrise 2008 und dem anschliessenden Rückgang der Weltwirtschaft. Die Verletzlichkeit unseres «Systems» wurde plötzlich sichtbar, die Unsicherheit nahm schon damals zu.
Als nächstes begannen sich einzelne Nationen abzuschotten. Sie führten neue Zölle ein gegen ausländische «Dumpingpreise» und schützten gleichzeitig ihre Landwirtschaft. 2016, lang bevor Donald Trump seine Keule zu schwingen begann, zählte die Welthandelsorganisation 1263 zusätzliche Schutzmassnahmen (ZEIT). Später twitterte Trump sein Vorhaben in die Welt, wonach die USA (das heisst Trump persönlich) sich von der WTO verabschieden werden. Diese nationalistische Politik ist Gift für den Welthandel, an erster Stelle auch für die US-Wirtschaft.
Globalisierung: wie weiter?
Wenn wir uns darauf einigen können, dass es sich lohnen würde, einzelne negative Auswüchse oder kontraproduktive Folgen des Systems zu entfernen und gleichzeitig die positiven Aspekte dieser internationalen Zusammenarbeit nach Kriterien der Nachhaltigkeit zu stärken, dann – ja dann bräuchte es Regierungen mit intakter Durchsicht. Wir sind aufeinander angewiesen – die Krisen des 21. Jahrhunderts sind nicht im nationalen Alleingang zu überwinden.
Es braucht zur Überwindung temporärer Hindernisse eine Welt, die gemeinsam anpackt. Die erkannt hat, dass Isolationismus die Idee kleinkarierter Egoisten ist, die sich als Führer ihrer Nationen aufspielen. Interessanterweise sind es ja auch diese Typen, die als Klimaleugner auftreten. Und auch dieses grosse globale Problem kann nur durch internationale Kooperation und generöse Solidarität bekämpft werden.
Wie eine «resiliente» Welt nach Corona auszusehen hat (NZZ) steht in den Sternen. Wir wissen es ganz einfach nicht. Oder besser: ich weiss es nicht.