Gemäss der breit angelegten, weiterhin geheimgehaltenen Studie eines Marktforschungsinstituts würden die SBB von der Öffentlichkeit nicht als dienstleistungsorientiert und kundenfreundlich wahrgenommen, hat deren Sprecher gegenüber der "Sonntags-Zeitung" einräumen müssen. 64 Prozent von 2780 Befragten des "Tages-Anzeigers" fanden, die Leistungen der Schweizer Staatsbahn hätten sich in den letzten zehn Jahren verschlechtert, ein Viertel sogar "stark verschlechtert".
Die Antworten waren von einer Flut von Leserkommentaren begleitet, die sich zu einem erheblichen Teil gegen den seit 2007 amtierenden CEO Andreas Meyer richten, während die ihre Unkenntnis der Bahn alle drei Wochen in der Kolumne eines Boulevardblatts verratende Chefin Personenverkehr offenbar nicht ernst genommen wird. Dass Meyers nur gut halb so teurer Vorgänger Benedikt Weibel bei solcher Stimmung auf seinem Posten ausgeharrt hätte, ist schwer vorstellbar.
Welches Personal?
Den meisten Kundinnen und Kunden der SBB fällt es erkennbar schwer, ihre Unzufriedenheit verständlich zu begründen , was teilweise an den Fragestellungen der Umfragen liegt. So diskutiert man breit über die Freundlichkeit des Personals, obwohl weder an den Schaltern kleinerer und mittlerer Bahnhöfe noch auf den Perrons selbst grosser Bahnhöfe heutzutage Kundendienst-Mitarbeitende anzutreffen sind und alle Regional- und S-Bahn-Züge und mehr und mehr sogar Schnellzüge ohne Zugspersonal verkehren.
Das Problem reduziert sich auf die Frage, ob die Stichkontrolleure ihre Bussen freundlich genug verteilen oder – ernsthafter – die Automatisierung der Bahn nicht in gewissen Bereichen zu weit getrieben worden sei. Das oft gehörte Argument, dass die von der Politik formulierten Rahmenbedingungen dem Management keine andere Wahl liessen, greift zu kurz, waren doch die Züge der SBB bis 1971, die Infrastruktur inbegriffen, eigenwirtschaftlich unterwegs.
Die fast instinktive Abneigung mancher Reisender gegenüber Beschlüssen, Massnahmen und Unterlassungen der Administration Meyer lässt sich mit Fakten untermauern. Wesentlich ist die sinkende Zuverlässigkeit der Bahn aufgrund zu vieler Stellwerk-, Fahrleitungs-, Fahrzeug- und anderer Störungen als Folge zu sparsamen Unterhalts. Wenn ein Leser schrieb, dass man sich früher auf eine Bahnfahrt freute (und heute nicht mehr, wie sich daraus ergibt), so hängt dies mit dem Zustand des Rollmaterials zusammen. Während die SBB zuvor in Bellinzona, Chur, Zürich und Olten Reisezugwagen revidierten, geschieht dies jetzt nur noch an letzterem Ort, und Hauptrevisionen, einst etwa alle zehn Jahre üblich, wurden gleich ganz abgeschafft.
Wenig entscheidungsfreudig
Mit einer Erneuerung der trostlos grau-violetten Innenausstattung der Doppelstock-Intercity-Wagen von 1997 ist erst etwa ab 2020 zu rechnen, weil mit dem viel zu lange nicht bestellten und von der Industrie zu spät gelieferten neuen Rollmaterial nicht eher in genügender Zahl zu rechnen ist. Seit Jahren verschoben wird der Auftrag für Triebzüge im internationalen Verkehr, die bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016 nicht einmal als Prototyp zur Verfügung stehen werden. Vorauszugehen hätte eine Einigung darüber, ob die SBB nach Venedig und Rom oder nur nach Mailand fahren wollen, was mit Höchstgeschwindigkeiten von 200, 300 oder 360 km/h und mit oder ohne Neigezugseinrichtug unterschiedliche Fahrzeuge erfordert.
Über die Unfälle dieses Jahres haben sich die Spitzen der SBB zwar erschüttert gezeigt, doch zuvor trotz wachsenden Zugszahlen nichts unternommen, das von den Vorgängern fahrlässig abgeschaffte Vier-Augen-Prinzip bei der Zugsabfertigung wieder einzuführen. Von einer raschen flächendeckenden Ausweitung des relativ kostengünstigen ZUB-Sicherungssystems als technischem Ersatz ist nichts zu hören, wohl aber von "blinden" Abfahrten aus dem grössten Bahnhof des Landes, weil im Rahmen eines Milliarden-Ausbaus die Versetzung von Signalen für immerhin mehrere Jahre eingespart wurde . . .
Überrascht stellt man fest, wie überrascht die SBB waren, dass ihre Gleise bei Schwerzenbach und, nach wenigen Jahren schon, auf der Neubaustrecke Mattstetten–Rothrist förmlich zerbröselten und ein englisches Spezialfahrzeug einen schlechten Zustand weiterer Strecken diagnostizierte. Im Februar nächsten Jahres werden die Stimmberechtigten über einen 6,4 Mrd. Fr. teuren Ausbau der Bahn entscheiden, den nicht Fachleute der SBB konzipierten, sondern Regionalpolitiker. Der Bundesrat hatte eine nur etwa halb so teure Investition vorgeschlagen, und den SBB ist es nicht gelungen, ihre Bedürfnisse überzeugend darzulegen.
Wettbewerbselemente
Die schlechten Umfrageergebnisse sind ein weiteres Indiz dafür, dass es bei den SBB Änderungen, allenfalls auch personeller Art, braucht. Ein Vorbild darf dabei keinesfalls die bei der deutschen Bevölkerung verhasste DB bilden, deren hochrangiger Mitarbeiter Andreas Meyer war. Echte Denkanstösse kann, Jahre nach den überwundenen Wirren der Privatisierung von 1997, das britische Bahnsystem mit seiner staatlichen Infrastruktur und einer Reihe streng beaufsichtigter privater Gesellschaften im (indirekten) Wettbewerb vermitteln. Wer daran zweifelt, möge einmal die Pendolini von London Euston nach Birmingham, Liverpool, Manchester und Glasgow mit den Cisalpini der Gotthardstrecke vergleichen. Den Betrieb beispielsweise der Linie Romanshorn–Zürich–Bern–Spiez–Brig und, als Ergänzung dazu, Brig–Lausanne–Genf im Rahmen des Taktfahrplans einer anderen Unternehmung zu übertragen, könnte interessante Ergebnisse liefern.