Er hebt die Augen, der Körper zuckt – noch mehr als üblich – an allen Ecken und Enden, und die Kiefer scheinen zu bersten, als er zwischen zusammengebissenen Zähnen die Sätze ausspeit : „Was für eine Unwürdigkeit. Ich dachte, wir sind im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Schämen sie sich nicht?“
So antwortet ein Nicolas Sarkozy auf die Frage eines Fernsehmoderators, was er denn dazu zu sagen habe, dass in der so genannten Libyenaffäre um die mutmassliche Finanzierung seines Präsidentschaftswahlkampfs 2007 durch Ghadafi der langjährige Mittelsmann, Ziad Takiedine, gegenüber dem Internetportal Mediapart und inzwischen auch vor dem Untersuchungsrichter folgendes ausgesagt hat: Er, Ziad Takiedine, habe Ende 2006 nach seiner Rückkehr aus Tripoli dreimal Koffer, gefüllt mit druckfrischen 500-Euro-Scheinen im Gesamtwert von fünf Millionen Euro, ins französische Innenministerium getragen. Die Koffer habe er zweimal dem dortigen Bürochef, Claude Guéant, und einmal dem Innenminister persönlich übergeben. Einem Innenminister, der damals Nicolas Sarkozy hiess.
Majestätsbeleidigung
Als in der letzten TV-Debatte der sieben konservativen Kandidaten für die Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur diese Frage an Nicolas Sarkozy gestellt war, brummte ein anderer Kandidat, Sarkozys einstiger Premierminister Francois Fillon, ins offene Mikrophon: „Mais c'est pas vrai!“ – im Sinne von: Das darf doch wohl nicht wahr sein, wie kann er nur!
Innerhalb weniger Sekunden haben zwei französische Spitzenpolitiker im Jahr 2016 einem Fünfmillionen-Publikum ihre Einstellung zu Medien und ihr Verständnis von Pressefreiheit präsentiert mit dem Tenor: Wie kann man es nur wagen, dem ehemaligen Staatspräsidenten eine derartige Frage zu stellen! Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat gefälligst Hofberichterstatter und nichts anderes zu sein! Und jetzt übt doch da einer in einer Live-Sendung tatsächlich keinen vorauseilenden Gehorsam und begeht den professionellen Fehler, an diesem Tag diese Frage zu stellen! Ungehörig, unvorstellbar, skandalös!
Fünfzig Millionen?
Dabei gehen Frankreichs Medien diese Libyenaffäre ohnehin nur mit Glacée-Handschuhen und mit spitzen Fingern an. Gäbe es nicht das Internetportal „Mediapart“ und die Abendzeitung „Le Monde“, wäre das Thema überhaupt nicht in der Öffentlichkeit und Nicolas Sarkozy und seine langjährige rechte Hand, Claude Guéant – am Ende der Präsidentschaft Sarkozys gar Innenminister – könnten noch ruhiger schlafen. Denn diese Libyenaffäre mit einer Mischung aus Milliardengeschäften, Provisionen, schillernden Mittelsmännern, Geheimdienstagenten und Politikern hat das Zeug zu einer echten Staatsaffäre zu werden mit internationalen Verstrickungen.
Ende April 2012, zwischen den beiden Durchgängen der letzten Präsidentschaftswahl in Frankreich, war ein Dokument aus der Feder von Ghadhafis ehemaligem Geheimdienstchef Moussa Koussa aufgetaucht, in dem von einem Grundsatzübereinkommen zwischen Nicolas Sarkozy und Ghadhafi die Rede ist, welches am 6. Oktober 2006 bei einem Treffen in Anwesenheit von Sarkozys anderer rechten Hand, Brice Hortefeux und dem oben genannten Mittelsmann, Ziad Takiedine, erstellt worden sei und eine Geldsumme von 50 Millionen Euro in Aussicht stellte. Nicolas Sarkozy hatte gegen die Veröffentlichung dieses Dokuments geklagt mit dem Argument, es sei eine Fälschung. Ein Gericht hat vor wenigen Monaten die Echtheit des Dokuments bestätigt, ohne sich allerdings über seinen Inhalt zu äussern.
Wie bei John le Carré
Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Dokuments hat Frankreich am 3. Mai 2012 noch unter der Präsidentschaft Sarkozys den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Bachir Saleh, Ghadhafis ehemaligen Kabinettschef und Herrn über einen der libyschen Investment-Fonds, mit grossem Aufwand und so diskret wie möglich ausser Landes geschafft, mit persönlicher Hilfe des damaligen französischen Geheimdienstchefs, Bernard Squarcini.
Ein anderer dunkler Mittelsmann in Libyen- und Nahostgeschäften, der heute in Genf residierende und ebenfalls mit Haftbefehl gesuchte Alexander (Ahmed) Djouhrin, hatte damals seinen Privatjet zur Verfügung gestellt, um den von Interpol gesuchten ehemaligen Kabinettschef drei Tage vor der entscheidenden Stichwahl für das französische Präsidentenamt zunächst in den Niger ausfliegen zu lassen. Fünf Monate nach Ghadhafis Sturz hatte Saleh seelenruhig in den noblen Vierteln der französischen Hauptstadt residieren können und stand damals ganz offensichtlich unter Schutz der höchsten Stellen in Frankreich. Heute lebt er in Südafrika und schweigt.
Fünf Millionen
Jetzt, vier Jahre später, kommen die 2013 eingeleiteten gerichtlichen Voruntersuchungen über eine mögliche illegale Wahlkampffinanzierung für Sarkozy mit libyschen Geldern offensichtlich voran, dank zweier Aussagen vor Richtern und einem Dokument. Zum einen ist da die schon erwähnte Aussage des libanesichen Mittelsmanns, Ziad Takiedine, der sich in den Jahren 2005 und 2006 ein gutes Dutzend Mal im Auftrag von Sarkozy oder Sarkozys Umfeld in Libyen aufgehalten hatte um Kontakte zu pflegen, Geschäfte einzufädeln und – wie nun zumindest er behauptet – Gelder nach Paris zu transportieren.
Zum anderen verfügen die französischen Untersuchungsrichter seit wenigen Wochen über eine andere Aussage eines ehemaligen Ghadhafi-Vertrauten, die bislang unbekannt war. Ghadhafis enger Vertrauter und Schwager, Abdallah Senoussi, hat sie 2012 in einem libyschen Gefängnis vor einem Richter des Internationalen Strafgerichtshofs gemacht und dabei zu Protokoll gegeben, dass er persönlich in den Jahren 2006 und 2007 die Lieferung von fünf Millionen Euro für den Wahlkampf Sarkozys überwacht habe. Diese Aussage des ehemaligen Ghadhafi-Vetrauten aus dem Jahr 2012 ist erst in den letzten Tagen bekannt geworden und erst nachdem Mittelsmann Takiedine in Paris von ebenfalls fünf Millionen Euro in bar gesprochen hatte.
Tot in der Donau
Und schliesslich ist da noch das Dokument, dessen Existenz auch erst in den letzten Wochen bekannt wurde und das derzeit von den französischen Untersuchungsrichtern ausgewertet wird. Es ist ein Notizbuch, das Shukri Ghanem gehört haben soll, der 2003 bis 2006 libyscher Ministerpräsident und 2006 bis 2011 Gaddafis mächtiger Ölminister gewesen war und sich nach Beginn der westlichen Militärschläge gegen Ghadhafi aus Libyen abgesetzt hatte.
Am 29. April 2012 fand man in Wien in der Donau seine Leiche. Ertrunken und ohne Fremdverschulden, laut den österreichischen Ermittlern. Sein jetzt aufgetauchtes Notizbuch hatte er bei seinem Tod im Donauwasser offensichtlich nicht bei sich. Ghanem hat darin angeblich Buch geführt über Geldlieferungen an Sarkozy: Der oben genannte Bachir Saleh habe 1,5 Millionen gezahlt, einer von Ghadhafis Söhnen drei Millionen und der ebenfalls schon erwähnte Schwager Ghadhafis, Abdallah Senoussi, zwei Millionen.
Warum der Innenminister?
Noch steht in den Sternen, ob in dieser Affäre irgendwann eine Anklage gegen Sarkozy erhoben wird. Für Fragen der Journalisten an den Ex-Präsidenten gibt es allerdings genügend Anlass. Und grundsätzlich steht seit Jahren die Frage im Raum: Warum kümmerten sich in den Jahren 2006 und 2007 ausgerechnet der französische Innenminister Sarkozy und seine beiden rechten Hände, Claude Guéant und Brice Hortefeux sehr diskret, aber intensivst um neue Beziehungen und Grossgeschäfte mit Ghadhafi? Was tat Präsident Chirac? Wozu gab es in jener Zeit, da Sarkozys Adjutanten bei Ghadhafis Vertrauten ein und aus gingen, in Frankreich einen Aussen- und einen Wirtschaftsminister und den Staatssekretär für Aussenhandel?
Mehr als nur eine böse Zunge meint in Frankreich, Sarkozy habe vor allem noch einmal Präsident werden wollen, weil er dann wieder Immunität genossen hätte und die Justiz ihm erst in fünf Jahren wieder auf die Pelle hätte rücken können. Und das wohl nicht nur in der Libyenaffäre.