Die Nahost-Verhandlungen stecken fest. Der Bau neuer israelischer Siedlungen in den seit 1967 besetzten Palästinensergebieten macht eine Zwei-Staaten-Lösung zunehmend unmöglich. Vor diesem Hintergrund findet heute Mittwoch in Genf eine Konferenz der 188 Unterzeichnerstaaten der Vierten Genfer Konvention von 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten statt.
Besserer Schutz der Zivilbevölkerung
Ziel der von der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen einberufenen Konferenz ist ein verbesserter Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten. Die UNO-Generalversammlung hatte die Schweiz 2009 beauftragt, Konsultationen über die Wünschbarkeit eines solchen Treffens zu führen. Aktueller Anlass war die damalige israelische Militäroperation «Gehärtetes Blei» im Gazastreifen. Dieses Jahr hat ein weiterer Waffengang zwischen den israelischen Streitkräften und dem militärischen Arm der Hamas-Bewegung mehrere Tausend Todesopfer gefordert und den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt.
Schweizer Diplomaten sondierten seit Juli bei den Mitgliedern der Genfer Konventionen die Ansichten hinsichtlich einer Zusammenkunft. Das Ergebnis war überwiegend zustimmend. Aussenminister Didier Burkhalter erklärte, dass die «kritische Masse» von Staaten, die ihre Teilnahme zusicherten, erreicht worden sei.
«Unser Ziel ist, das humanitäre Völkerrecht voranzubringen», erläuterte Burkhalter. Obwohl die Tagesordnung der Konferenz allgemein gefasst ist, stehen die Praktiken Israels in den besetzten Gebieten im Mittelpunkt der Beratungen. Israel boykottiert das Treffen und hat in den vergangenen Monaten alle Register gezogen, um andere Staaten auf seine Seite zu ziehen.
Israel verneint Anwendbarkeit der Genfer Konvention
Als Erfolg ihrer Bemühungen meldet die israelische Diplomatie, dass auch die USA, Kanada und Ruanda der Genfer Konferenz fernbleiben werden. Mit der Schweiz geht die israelische Regierung hart ins Gericht. In einer offiziellen Stellungnahme beschuldigt sie die Schweiz, von ihrer Rolle als neutraler und apolitischer Depositarstaat der Genfer Konventionen abzuweichen und einer Politisierung dieser Abkommen und des Kriegsrechts im allgemeinen Hand zu bieten. «Im Lichte dieses problematischen und schiefen Umgangs der Schweizer Regierung mit der Konferenz überprüft Israel jetzt seine Haltung gegenüber anderen Schweizer Initiativen hinsichtlich des humanitären Völkerrechts», droht das israelische Aussenministerium etwas geheimnisvoll.
Nach Ansicht Israels ist die Vierte Genfer Konvention in den während des Sechstagekriegs von 1967 eroberten Gebieten nicht anwendbar, weil es sich rechtlich nicht um besetztes Land handle. Die Regierung in Jerusalem begründet ihre These damit, dass es ja zuvor keine international anerkannten Grenzen zwischen Israel und dem arabischen Teil Palästinas gab. Die Israeli nennen die besetzten Gebiete daher offiziell «umstrittene Gebiete» (disputed areas). Diese Auslegung wird von keinem anderen Staat, auch nicht von den USA, geteilt.
Gegen Blockadepolitik der Netanjahu-Regierung
Im Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention heisst es: «Die Besatzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet transferieren.» Der Bau und die ständige Ausdehnung israelischer Siedlungen in der Westbank und in Ost-Jerusalem verstossen eindeutig gegen diese Bestimmung.
Praktisch alle Staaten, darunter die EU-Mitglieder, haben die Blockade der Nahost-Friedensverhandlungen durch die Netanjahu-Regierung (und auch die Hamas-Führung in Gaza) satt. Sie sehen in dem Genfer Treffen, das nur drei Stunden hinter verschlossenen Türen dauern und eine gemeinsame Resolution verabschieden soll, ein sanftes Druckmittel. Der in Ausarbeitung befindliche Text unterstreicht, dass die jüdischen Siedlungen, die ausserhalb der vor dem Sechstagekrieg geltenden Waffenstillstandslinie erbaut wurden, illegal sind. Der Hamas-Führung wiederum wird das Verbot, bei Kampfhandlungen Zivilisten als Schutzschilder zu benutzen, in Erinnerung gerufen.
Gleichzeitig geht die von Mahmud Abbas geleitete Palästinensische Behörde im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in die diplomatische Offensive. Palästina war 2012 von der UNO-Generalversammlung als Nichtmitgliedstaat mit Beobachterstatus anerkannt worden. Heute Mittwoch wird die Arabische Liga im Weltsicherheitsrat im Namen Palästinas einen Resolutionsentwurf einbringen, der einen Zeitplan für Verhandlungen mit Israel enthält und die vollständige Räumung der besetzten Gebiete bis Ende 2016 verlangt.