Gegenwärtig hat das Parlament seine Arbeiten eingestellt. Die Regierung wird heftig kritisiert und antwortet hitzig auf die Kritik. Die Verfassungskommission ist aufgelöst. Regeln werden diskutiert, wie eine neue gebildet werden soll und von wem. Dies sollte eigentlich zwischen den politischen Parteien und der Militärregierung abgesprochen werden. Doch die beiden reden nicht mehr miteinander, und die angesagte Entscheidungssitzung fand nicht statt.
Brutale Gewalt gegen die Salafisten
Es gab 20 Tote und gegen 120 Verwundete bei Demonstrationen vor dem Verteidigungsministerium, weil die dortigen Demonstranten von Schlägern angegriffen wurden, von denen die Regierung und die militärische Überregierung behaupten, sie hätten sie nicht organisiert und sie wüssten nicht, wer sie seien. Ihre Opfer sind sich jedoch sicher, dass es sich um jene Art von Schlägern handelte, welche die Polizei mobilisieren und einsetzen kann.
Seit Tagen hatten Anhänger des ausgeschiedenen salafistischen Kandidaten, des charismatischen Fernsehpredigers Hazen Abu Ismail, vor dem Verteidigungsministerium demonstriert. Sie forderten die Wiederzulassung ihres Kandidaten. Er war entfernt worden, weil seine verstorbene Mutter einen amerikanischen Pass besessen haben soll, und der empörte Kandidat hatte daraufhin eine "islamische Revolution" angekündigt.
"Sit-in" vor der Hochburg der Offiziere
Die Demonstranten hatten sich zu einem Dauer "Sit-in" vor dem Verteidigungsministerium niedergelassen. Sie forderten den sofortigen Rücktritt der Militärjunta. Die Offiziere hatten sie aufgefordert, auf den Tahrir Platz zu ziehen, dem Zentrum früherer Demonstrationen. Doch sie wollten vor dem Armeeministerium bleiben, und sie forderten in immer drastischeren Ausdrücken den sofortigen Rücktritt der Offiziersführung. Diese fühlte sich, nach ihren eigenen Aussagen, "beständig beleidigt".
Am 2. Mai kam es dann zu einem Angriff von "Unbekannten", die Steine, Messer, Gas, Feuerbomben und Gewehrschüsse einsetzten. Demonstranten der kampfgewohnten Revolutionäre kamen den Salafisten zu Hilfe, als diese in Massen zurückwichen. Doch auch sie fielen den Waffen der Berufsschläger zum Opfer. Nach sechs Stunden der Kämpfe griffen die Truppen mit ihren Tanks ein und trennten die Streitenden. Zuvor hatten sie den Ereignissen untätig zugeschaut.
Blockierung zwischen Parlament und Regierung
Unter dem Eindruck dieses Blutbades haben die meisten Präsidentschaftskandidaten ihre Kampagne eingestellt. Die Offiziere kündeten eine Pressekonferenz an, auf der sie ihre Sicht der Ereignisse darlegen wollen. Sie erklärten einmal mehr, sie würden gewiss zurücktreten. Gerüchte gingen um, die Offiziersführung überlege sich, ob sie schon nach dem ersten Wahlgang der Präsidentenwahl zurücktreten könne, falls dieser die Entscheidung bringe und kein zweiter notwenig würde. Dies wäre schon nach dem 24. Mai statt Anfang Juli, wie sie es bisher versprochen hatten. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein zweiter Wahlgang notwendig werden.
Das Parlament hatte schon vor diesen blutigen Unruhen seine Arbeiten auf sechs Tage unterbrochen, um dagegen zu protestieren, dass die Regierung Ganzouri, eingesetzt von den Militärs, im Amt blieb, obwohl das Parlament für ihre Entlassung gestimmt hatte. Die Militärs wollen sie beibehalten. Doch liessen sie nach dem "Streik" der Parlamentarier auch vernehmen, möglicherweise könne eine Umbildung der Regierung stattfinden. Diese wird nun erwartet.
Die Salafisten für Dr. Abdel Futuh
Auch im Präsidialrennen gab es eine wichtige Neuentwicklung: Die Salafisten, ihres eigenen Kandidaten beraubt, beschlossen, ihre Stimmen Dr. Abdel Futuh zuzuwenden, und mehrere kleinere islamische und sogar revolutionäre Parteien schlossen sich ihnen an. Dr. Abdel Futuh ist der ehemalige Muslimbruder, der aus der Bruderschaft entlassen wurde, weil er für die Präsidentschaft zu kandidieren gedachte. Er gehörte zum liberalen Flügel der Bruderschaft.
Dr. Abdel Futuh wurde ausgestossen, als die Bruderschaft der Meinung war, sie wolle keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Doch sie hat diese Meinung im Vorfeld der Wahl geändert. Ihr ursprünglicher Kandidat, Khairat al-Shatir, wurde von der Wahlkommission disqualifiziert. Ihr Ersatzkandidat, der nun im Rennen steht, Muhammed Morsi, bisher Präsident der Partei der Muslimbrüder, ist nicht sehr bekannt und wenig charismatisch. Im Gegensatz zu Dr. Abdel Futuh, der diese beiden Vorzüge besitzt. Morsi gehört zum konservativen Flügel der Brüder.
Drei Hauptkandidaten
Der Zuzug der Salafisten steigert die Chancen seines Rivalen, Abdul Futuh, so sehr, dass nun drei Namen als die der aussichtsreichsten Kandidaten gelten: Morsi und Abdul Futuh dürften sich in die Stimmen der Islamisten teilen: Brüder, Salafisten und andere islamische Gruppierungen, die in den Parlamentswahlen zusammen mehr als drei Viertel der Stimmen erhielten. Amr Musa, der einstige Aussenminister und Generalsekretär der Arabischen Liga, gilt als der aussichtsreichste Kandidat der säkularen Gruppen. Den zehn weiteren Kandidaten werden kaum reelle Chancen eingeräumt.
Die Wahlen werden wohl durchgeführt werden, trotz der politischen Lähmung, die gegenwärtig alle politischen Institutionen Ägyptens umfasst. Den Offizieren wird immer deutlicher, dass sie aus der Frontlinie der Politik zurücktreten müssen, wenn sie das Ansehen, das sie und die Armee in Ägypten bisher besassen, nicht gänzlich verlieren wollen.
Dass sie über die ihnen hörige Wahlkommission versuchen könnten, diese Wahlen ihren Wünschen entsprechend "zu richten", kann man nicht ganz ausschliessen. Es wird aber immer unwahrscheinlicher und immer schwieriger zu bewerkstelligen, je mehr sie sich im direkten Rampenlicht der Kritik und des Zorns aller Politiker wiederfinden und je klarer die Erfolgsaussichten der drei Hauptkandidaten schon heute zutage treten.