Wenn der Sprayer von Zürich, Harald Nägeli, öffentlich in Erscheinung tritt, dann verwandelt sich die Stadt vorübergehend ins Kellersche Seldwyla und die Satire gelangt für eine kurze Weile an die Macht. Nägeli muss sich vor Gericht für seine auf Hausfassaden gesprayten Strichmännchen und -weibchen verantworten. Gleichzeitig soll er, in kirchlichem Auftrag, in einem der Grossmünstertürme einen Totentanz an die Wand sprayen. Kunst sagen die einen, möchten den Nägeli loben und preisen; Sachbeschädigung, schreien die andern, und sähen ihn am liebsten in einer Gefängniszelle schmoren. Der Richter im Prozess der städtischen Behörde, die auf den schönen Namen „Entsorgung und Recycling Zürich“ hört, versus Harald Nägeli hat ein salomonisch anmutendes Nichturteil gefällt und den Parteien empfohlen, sich aussergerichtlich zu arrangieren.
Was Kunst ist und was, als Sachbeschädigung definiert, weg kann, wo die Street Art anfängt und wo sie nur noch Un-art ist – darüber lässt sich ewig streiten. Weil sich ausgewiesene oder selbst ernannte Experten oft widersprechen und weil in der Sprayer-Welt jeder, der will, ein Fachmann sein kann, wird man in der Qualitätsfrage zu verbindlichen Übereinkünften nie kommen.
Wie wäre es, wenn man den Versuch unternähme, den Seldwyler Streit verbal zu entschärfen? Indem man sich zum Beispiel auf neue Sprachregelungen einigen könnte und Nägelis Wirken nicht Sachbeschädigung sondern Sachverschönerung nennen würde? Was zur Folge hätte, dass des Sprayers Beschäftigung mit der kahlen Fassade nicht zu einer Sachwertminderung, sondern zu einer Sachwertsteigerung – und natürlich zur Entkriminalisierung – führen müsste. Ob Nägeli ein Künstler ist oder ein Beschädiger, darüber wird dereinst die (Kunst)geschichte urteilen. Soll er doch in Frieden seine Skelette im Grossmünster tanzen lassen und den Seldwylern zeigen, was er drauf hat.