Am 8. Dezember 2021 wurde Olaf Scholz deutscher Bundeskanzler. Er hat die Farblosigkeit zu seinem Markenzeichen gemacht. Und wenn er spricht, welken alle Mikrophone. Er ist ein Meister der Tonlosigkeit.
Es geht ihm ersichtlich nie um das, was er sagen will, sondern nur darum, bloss nichts Falsches zu sagen. Es geht ihm auch nie um eine Sache, sondern nur um deren Abarbeitung. Und schon gar nicht geht es ihm darum, Zuhörer zu begeistern oder zu provozieren. Er möchte nur, dass sie ihm nach seiner Rede höflich applaudieren und ihn wieder gehen lassen.
Es gibt viele wie Olaf Scholz. Politische Ideen haben sie nicht ergriffen. Sie simulieren statt dessen Politik. Denn politische Leidenschaften und Konzepte sind ihnen fremd. Sie betreten als Sachbearbeiter die Bühnen. Wofür sie bei dieser Gelegenheit oder bei anderen ähnlichen Auftritten vorbereitete Texte vortragen, ist ihnen im Grunde zutiefst gleichgültig. Morgen ist auch noch ein Tag, und wer weiss, was dann schon wieder anfällt. Also ist man am besten gewappnet, wenn man brav seine tagesaktuellen Aufträge erledigt, nicht aneckt und morgen wieder am selben Platz sitzt. Am selben Platz: Allein das ist wichtig. Kein anderer soll ihn einnehmen.
In Sachbearbeitern wie Olaf Scholz ist die Bürokratie ganz oben angekommen. Sachbearbeiter wie er machen klar, dass Politik nichts mehr mit Ideen oder Leidenschaften zu tun hat. Es geht um Verwaltung, um nicht mehr und um nicht weniger. Kein leidenschaftlicher Politiker könnte diesen Sachbearbeitern als Konkurrent gefährlich werden, höchstens einer, von dem die Wähler annehmen, dass er der bessere Verwalter ist.
Entsprechend wird Politik simuliert, nicht leidenschaftlich erkämpft, vertreten und durchgesetzt. Schon lange gibt es keine kämpferischen Parolen mehr. Politiker lernen statt dessen Slogans auswendig, von denen ihnen die Werbestrategen sagen, dass sie gerade beim Publikum gut ankommen.
Der amerikanische Soziologe Paul Felix Lazarsfeld hat 1940 in einer Studie zu amerikanischen Wahlkämpfen nachgewiesen, dass sie zunehmend unter Gesichtspunkten der Werbung geführt werden. Das hat ihn zutiefst irritiert. Heute wäre man schon froh, wenn den Strategen wenigstens pfiffige Werbebotschaften einfielen. Aber eines muss man den Amerikanern lassen: Man kann die Protagonisten der aktuellen Politik und Wahlkämpfe kritisieren und auf der rechten, populistischen Seite mit nur zu grossem Recht ablehnen, aber niemand wirkt so gesichtslos wie irgendein Sachbearbeiter auf deutschen politischen Bühnen.
Scholz verkörpert die ganze deutsche Trostlosigkeit. Er verwechselt Politik mit der Verteilung von finanziellen Entlastungen und Beihilfen. Man glaubt ihm sofort, dass er Amtskollegen wie Emmanuel Macron, seiner Premierministerin Élisabeth Borne oder Joe Biden mitsamt seinen entschieden auftretenden Ministern fassungslos gegenüber steht. Denn die haben neben dem ganzen administrativen Kleinkram noch Ideen. Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen ist inzwischen aber auch am Nullpunkt von Scholz angekommen.
Auch Habeck ist im Politikbetrieb des vergangenen Jahres grauer geworden. Dennoch gibt es einen grossen Unterschied zwischen ihm und Scholz: Habeck merkt man an, wie er im Politikbetrieb zermahlen wurde und wird, bei Scholz aber gab es nichts zum Zermahlen. Er war schon immer so. Als er vor langen, langen Jahren als Generalsekretär der SPD fungierte, nannten ihn seine Parteifreunde den «Scholzomaten».
Aber es geht nicht um Scholz allein. Es geht um die Verkommenheit der deutschen Politik. Nach und nach begreift man, in welche Probleme der Opportunismus Angela Merkels Deutschland geführt hat. Sie wusste immer, woher und wohin der Wind weht, und sie konnte ihn optimal ausnutzen. Dazu verwendete sie, wie der «Spiegel» einmal ausführlich darlegte, wie kein anderer Politiker das Instrument der Meinungsumfragen. Für Scholz wäre dieses Instrument eher frustrierend. Denn dort könnte er nachlesen, wie gering seine Beliebtheit ist.
Aber das muss er gar nicht. Allein seine Stimme beziehungsweise Stimmführung signalisieren, dass es ihm nicht auf Ausstrahlung ankommt. Er weiss genau, dass ihn niemand freiwillig zu einem Abendessen einladen würde, weil er der grösste Langweiler am Tisch wäre. Aber, und da lacht er sich wohl heimlich ins Fäustchen, niemand kommt an ihm vorbei.