Es begann mit dem syrischen Präsidenten Asad, der Schutz suchte. Weil die russische Luftwaffe, russische Berater, russische Sondertruppen und russische Söldner, die alle in Syrien eingesetzt wurden und weiter dort wirken, das Regime Asads gerettet haben, sind seither immer mehr nahöstliche Potentaten nach Moskau gepilgert.
Sie suchen entweder Hilfe von Putin oder „Koordination“ mit den russischen Militärs.
- Netanjahu erschien mehrmals; in gewissen Zeiten telefonierten die beiden fast täglich.
- Auch Netanjahus palästinensischer Gegenspieler, Mahmud Abbas, besuchte Moskau,
- ebenso Hassan Rohani, der iranische Präsident.
- Ajatollah Ali Chamenei, der politische und religiöse Führer Irans, entsandte letzte Woche seinen engsten Berater, Ali Akbar Velayaty, den ehemaligen Aussenminister, um mit Putin zu sprechen.
- Der libysche starke Mann, General Chalifa Haftar, musste sich mit einem Besuch auf einem russischen Kriegsschiff begnügen. Mit Banknoten, die in Moskau gedruckt wurden, kehrte er in den Osten Libyens zurück.
- Der amtierende irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi erschien im Mai 2015 in Moskau als der „Islamische Staat“ (IS) massiven Druck auf Bagdad ausübte. Moskau versprach ihm Waffenhilfe.
- Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan trifft Putin immer wieder und telefoniert ständig mit ihm.
Ein jeder mit seinen politischen Zielen. Die Gesprächspartner haben unterschiedliche Anliegen, oft widersprüchlicher Natur.
- Asad will ganz Syrien wieder unter seine Herrschaft bringen, genau wie vor 2011.
- Doch Erdoğan sucht mit militärischen Mitteln türkischen Einfluss in Nordsyrien. Dort will er kurdische Autonomiebestrebungen zunichte machen. Ferner strebt er wohl im Norden Syriens eine Sonder- und Schutzzone für die vielen syrischen Flüchtlinge an, die in die Türkei gelangt sind.
- Israel will mit allen Mitteln verhindern, dass sich Iran in Syrien militärisch festsetzt. Die Iraner versuchen, dies zu erreichen. Das Asad-Regime erklärt, es läge an ihm zu bestimmen, ob und wie lange seine iranischen Verbündeten in Syrien blieben.
Etwas für jeden?
Die russische Diplomatie ist darauf angewiesen, Kompromisse zwischen den gegensätzlichen Wünschen ihrer Verbündeten, Schützlinge und Freunde auszuarbeiten. Sie schlägt Kompromisse vor und setzt ihr Gewicht ein, um sie zu verwirklichen. Zum Beispiel hat Russland Israel offenbar zugesagt, es werde dafür sorgen, dass keine iranischen Truppen oder pro-iranische Milizen direkt an der Golan-Waffenstillstandslinie zu stehen kommen. Zuerst war die Rede davon, die Iraner dürften nicht näher als 20 Kilometer an die Waffenstillstandslinie heranrücken, später sprach man von 70 Kilometern.
Die Russen beteiligten sich zunächst an den heftigen Bombardierungen der verbliebenen Rebellengebiete im Süden Syriens. Doch dann trat Moskau als Vermittlerin auf, um den Abzug der Rebellen aus ihren südsyrischen Machtbereichen zu erwirken. Der Vorstoss der syrischen Armee an die jordanische Grenze wurde von russischen Panzern und Sondereinheiten begleitet – offenbar um einem Wunsch der Israeli und wohl auch der Jordanier nach Kontrolle zu entsprechen.
Ob sich die Israeli mit der so geschaffenen Sicherheitszone zufrieden geben werden, bleibt offen. Offiziell verlangt Israel die Entfernung der iranischen Militärs aus ganz Syrien. Die gegenwärtige Lösung, ob provisorisch oder nicht, stellt natürlich auch eine Konzession Asads an die russische Vermittlung dar.
Chaos in Nordsyrien
Auf der nördlichen Seite Syriens ist die Lage noch komplexer. Doch auch dort steht die russische Diplomatie im Zentrum aller Widersprüche. Ankara will die kurdischen Autonomiewünsche zunichte machen. Asad will seine Macht wie früher auf ganz Syrien ausdehnen.
In der nordsyrischen Stadt Idlib sollen die dorthin vertriebenen und evakuierten Widerstandskämpfer, die sich zum Teil gegenseitig bekämpfen, vertrieben werden. Pro-türkische Milizen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) kooperieren mit türkischen Militärs, die in der Provinz Idlib als „Beobachter“ stationiert sind.
Die Kurden, alleingelassen?
Östlich von einer von den Türken beherrschten Zone liegt ein Gebiet, das von den kurdischen YPG-Milizen kontrolliert wird. Bisher haben die Kurden amerikanische Unterstützung aus der Luft erhalten – vor allem, weil sie gegen den IS kämpften.
Der Sieg der türkischen Truppen und ihrer Hilfsmilizen der FSA über die YPG-Kurdenkämpfer im nordsyrischen Afrin hat deutlich gemacht, dass die Kurden den Kürzeren ziehen, wenn die amerikanische Luftunterstützung fehlt.
Was nun mit den weiten Territorien geschehen wird, welche die Kurden mit amerikanischer Hilfe vom IS befreit haben, hängt nun davon ab, ob die Amerikaner sich weiterhin hinter die Kurden stellen oder ob sie sie fallen lassen.
Ethnische Spannungen um die Jezira
Diese Gebiete östlich des Euphrats und bis hinab an die irakische Grenze sind im Norden überwiegend, aber nicht ausschliesslich, kurdisch besiedelt. Im südlichen Teil leben Araber. Alte Spannungen treten wieder hervor.
Es gibt eine lange Geschichte der „Arabisierung“ der kurdischen Bevölkerungsteile, die vom Baath-Regime al-Asads angestrebt wurde. Dann versuchten die Kurden, diese „Arabisierung“ rückgängig zu machen.
Noch komplizierter
Was die amerikanische Präsenz in Syrien betrifft, so hat die russische Diplomatie klar Stellung genommen. Die Anwesenheit der Amerikaner, so urteilt sie, sei „illegal“, weil – im Gegensatz zu der russischen Präsenz – nicht von der „legalen“ Asad-Regierung angefordert.
Für Putin hat sich die Lage in Syrien mit dem nahenden Ende des Bürgerkrieges kompliziert. Anfänglich, Ende September 2015, als die Russen ihre Luftwaffenbasis in Khmeinim aufbauten, gab es ein klares Ziel. Dieses war: das Asad-Regime zu retten. Doch nun, da sich die russische Macht über Syrien ausbreitet, wird Russland zum Gesprächspartner aller Nachbarländer Syriens und sieht sich gezwungen, zwischen den widersprüchlichen Interessen und Zielen dieser Nachbarn zu vermitteln und zu manövrieren.
Radikalisierung in Iran?
Verkompliziert wird die Lage auch noch, weil die USA jetzt versuchen, wirtschaftlichen Druck auf Iran auszuüben, mit dem Ziel, einen Regimewechsel in Teheran zu erzwingen. Dies wird zu einer Radikalisierung in Iran führen. Die Revolutionswächter werden an Macht gewinnen. Teheran wird auch versuchen, mit unkonventionellen Mitteln zurückzuschlagen.
Zu den Feinden Irans gehören Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Anderseits werden die Iraner Unterstützung von Asad erhalten, ebenso von der libanesischen Hizbullah und teilweise von irakischen bewaffneten und politischen Kräften.
Die USA sind keine Gegenspieler mehr
All diese Gegensätze sollen unter einen Hut gebracht werden. Dies gibt der russischen Nahostdiplomatie neue Chancen, ihren Einfluss zu verstärken. Vermutlich ist es nach wie vor das Hauptziel der Russen, Syrien zu beruhigen und das Asad-Regime zu stärken. Will Russland seinen Einfluss auch über die syrischen Grenzen hinaus ausdehnen? Eine russische Hegemonie, wie es einst eine amerikanische Hegemonie im gesamten nahöstlichen Raum gab, würde Moskau wohl überfordern. Wahrscheinlich ist sich Putin dessen bewusst und tritt als Vermittler und nicht als Anwärter auf Vormacht über alle auf.
Die Amerikaner waren bisher der stetige Gegenspieler der sowjetischen und der russischen Nahostdiplomatie. Doch sind sie es noch? Trump kam nach Helsinki, um Putin zu treffen. Er will ihn sogar nach Washington einladen. Doch er kam nicht als Gegenspieler, sondern vielmehr, um seiner unüberwindlichen Eitelkeit eine Bühne zu schaffen. Putin kann ungestört weiter vermitteln, manövrieren und disponieren.