Alles kam zustande durch eine geradezu klassisch anmutende Eskalation zwischen Israeli und Ägyptern. Klassisch, weil es immer wieder so geht, ungezählte Male seit dem Beginn der zionistisch-palästinensischen Konfrontationen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Tödliche Zwischenfälle an der Grenze
Das Klima in Kairo war aufgeheizt seit dem 18. August, als die Israeli fünf ägyptische Grenzpolizisten erschossen. Wo, ist unklar; die Ägypter sagen auf ägyptischen Territorium, die Israeli auf israelischem. Jedenfalls war es im Grenzgebiet an der Sinai-Grenze, und die Israeli befanden sich auf Verfolgungsjagd. Zuvor, am gleichen Tage, waren acht Israeli von Terroristen an der gleichen Grenze erschossen worden.
Bei derartigen Terroristen handelt es sich um Leute, die vom ägyptischen Staat gesucht und scharf verfolgt werden.
Eine Schutzmauer wirkt provokativ
Weil die Empörung über den Zwischenfall in Kairo gross war und daraufhin Demonstrationen vor der israelischen Botschaft stattgefunden hatten, errichteten die ägyptischen Behörden eine Betonmauer um das Hochhaus herum, in dem sich die israelische Botschaft und ihr Konsulatsbüro befinden.
Dies sollte dem Schutz der Botschaft dienen, wirkte aber auch provokativ auf viele Ägypter, die von ihrer Regierung energische Gegenmassnahmen gegen die Erschiessung der ägyptischen Polizisten erwarteten und nicht einen Schutz der Botschaft, gewissermassen auf offener Strasse.
Die Regierung hatte die Erschiessung der Polizisten als "unakzeptabel" bezeichnet, jedoch weiter nichts getan - ausser eine Schutzmauer gebaut. Die Israeli hatten den Vorfall "bedauert", sich aber nicht dafür entschuldigt.
Im Rahmen einer Grossdemonstration
Auf Freitag war eine Grossdemonstration der revolutionären und laizistischen Kräfte in Kairo angesagt worden. Die Regierung und SCAF (der herrschende Militärrat) hatten ihr zugestimmt, jedoch auch gewarnt, Zerstörungen und Gewalt würden nicht geduldet. Der symbolische Tahrir-Platz war für die Demonstranten frei gegeben, die Polizei war von ihm abgezogen worden. Thema der Demonstration war der Ruf nach einer wirklichen Revolution, welche die Zustände in Ägypten grundlegend ändern solle.
Die Anliegen der Demokratie-Aktivisten
Dies war verbunden mit Kritik am SCAF und an der Regierung, die in den Augen der Aktivisten viel zu langsam vorgingen: nicht wirklich durchgriffen gegen Korruption und Privilegierte des bisherigen Regimes.
Auch der sensationelle aber wenig transparente Prozess gegen Mubarak (siehe Artikel unten) war Gegenstand der Kritik. Viele Dekrete und geplante Gesetzeserlasse der Militärjunta wurden von den Demonstranten oder einzelnen Gruppen von ihnen abgelehnt. Kritisiert werden vor allem die Militärgerichte, die weiterhin Tausende Zivilisten verurteilen. Die Militärs werfen ihnen vor, Unruhe zu striften oder die Streitkräfte anzuschwärzen. SCAF erklärt regelmässig, die Militärgerichte blieben zuständig, solange der Sonderzustand aufrecht erhalten bleibe, der im Land seit Jahrzehnten besteht.
Doch die Ereignisse vor der israelischen Botschaft haben nun das Gegenteil bewirkt: über den Sonderzustand hinaus wurde nun der Alarmzustand ausgerufen.
Abgezweigt von der Hauptdemonstration
Zu den Zwischenfällen vor der Botschaft kam es im Rahmen der geplanten Demonstrationen. Verschiedene Züge von Demonstranten zogen vom Tahrir-Platz aus in verschiedene Richtungen vor das Obergericht, vor das Innenministerium etc., um an Ort und Stelle ihre Kritik und Wünsche zu unterstreichen.
Ein Zug marschierte gegen die israelische Botschaft, obwohl diese nicht von den Organisatoren der Demonstrationen als Ziel bestimmt worden war. Unter den Demonstranten befanden sich, viel beachtet, die sogenannten Fussball-Ultras, eigentlich Tifosi der beiden wichtigsten Fussballmannschaften von Kairo, die sich schon oft durch Gewalt auf den Strassen hervorgetan hatten. Die Ultras hatten am Tage zuvor im Stadion von Kairo der Polizei eine stundenlange, blutige Schlacht geliefert. Sie waren aus diesem Grund aufgebracht gegen die Polizei.
Niederbrechen der Mauer, "wie in Berlin"
Viele Demonstranten, die vor die israelische Botschaft zogen, hatten Hämmer und Brecheisen mitgebracht, mit dem Ziel, etwas gegen die Betonmauer vor der Botschaft zu unternehmen. Die Mauer wurde am Spätnachmittag des Freitags durchbrochen, die Polizei schritt zunächst nicht energisch ein. Sie hatte offenbar den Befehl erhalten, Todesopfer unbedingt zu vermeiden.
Gewalt einer Minderheit
Nachdem die Mauer durchbrochen war, drangen etwa 30 Personen in die Büros des Konsulats ein. Die höher gelegenen Räume der eigentlichen Botschaft blieben unbehelligt. Sieben israelische Diplomaten und Beamte waren dort blockiert. Sie wurden durch ägyptische Kommandoeinheiten befreit und später mit allen Angehörigen der Botschaft und deren Familien vom Flughafen Kairo aus nach Israel geflogen.
Niemand kam zu Schaden, doch das Büro des Konsulates wurde verwüstet und brannte aus. Vor der Botschaft kam es zu einer lange dauernden Strassenschlacht zwischen der Polizei und den Demonstranten. Dabei soll es 450 Verletzte und drei Tote gegeben haben.
Der Alarmzustand, Ende des Demokratie-Aktivismus?
Am nächsten Morgen trat SCAF zusammen. Die Regierung soll über ihren möglichen Rücktritt beraten haben. Der Alarmzustand bedeutet jedenfalls, dass nun Strassenversammlungen und Demonstrationen verboten werden. Wie lange der Ausnahmezustand aufrecht erhalten wird, weiss man noch nicht. Wahlen können unter dem Alarmzustand nicht durchgeführt werden.
Ein Rückschlag für die Demokratiebewegung
Vor allem mit Demonstrationen wollten jene Gruppen, die eine echte Demokratie und die notwendigenden tiefgreifenden Veränderungen des Sozialgefüges verlangten, ihr Ziel erreichen. Das jetzt verhängte Demonstrationsverbot ist deshalb ein schwerer Schlag für sie. Die Demonstranten haben sich selbst am meisten geschadet.
Dieser Schaden entstand, wie immer wieder seit beinahe einem Jahrhundert, wegen der gewaltigen Emotionen, welche die Israel-Frage immer auslöst. Diese Emotionen brechen immer wieder neu auf. Das hat zur Folge, dass beide Seiten hart auftreten und die Sicht der Gegenseite ignorieren.
Wer erweist sich als unversöhnlich?
Allerdings ist dabei ein Unterschied zu verzeichnen. Das harte Auftreten auf der israelischen Seite kommt von der Regierung und dem Machtappart des Staates. Es hat einen politischen Zweck, nämlich die Inbesitznahme der besetzten palästinensischen Gebiete. Mit den vom Staat geförderten Siedlungen sollen "Fakten" geschaffen werden.
In Ägypten hingegen ist es die Bevölkerung und nicht der Staat, die auf Konfronation geht. Die Demonstration sind sich schlechterdings nicht bewusst, das sie mit ihren Aktionen bewirken. Sie können daher auch nicht begreifen, dass sie sich selbst am meisten schaden und darüber hinaus den politischen Zielen der israelischen Rechtsregierung weiteren Vorschub leisten.