Zwei Jahre sind es her, seit die Bevölkerung der Initiative „Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen zugestimmt hat“. Zur Erinnerung: es ging darum, den Anteil dieser Wohnungen auf maximal 20% des Gesamtbestands einer Ortschaft zu beschränken. Seither erleben wir ein politisches Trauerspiel sondergleichen. Besonders der Ständerat hat im Herbst 2014 – weit kreativer als üblicherweise – den Volkswillen in einem Ausmass „uminterpretiert“, dass ein Rechtsprofessor der Universität Zürich gar von „Verfassungsbruch“ spricht.
Ohrfeige für die direkte Demokratie
Schon der bundesrätliche Entwurf zur Botschaft liess nichts Gutes erahnen. Seither sucht die Umweltkommission des Nationalrats (Urek) nach Möglichkeiten, die Initiative zu verdünnen.
Der Ständerat höhlte in der Herbstsession 2014 das Zweitwohnungsverbot weiter aus. Der Ausnahmekatalog wurde erweitert. Ginge es nach den Ideen der „Volksvertreter“, dürften trotz Zweitwohnungsverbot touristisch bewirtschaftete Wohnungen weiterhin gebaut werden. Voraussetzung wäre, dass sie „kurzzeitig zur Vermietung angeboten würden“. Brigit Wyss, Projektleiterin beim Initiativkomitee der Fondation Franz Weber kann es nicht fassen: „Bundesrat und Parlament arbeiten an einer Verwässerung der Initiative, wie das in dieser Dimension noch kaum je vorgekommen ist. Es ist, als hätten wir gar nie über die Initiative abgestimmt“.
Nun hängt alles davon ab, ob der Nationalrat dieses Spiel durchschaut und im März 2015 korrigierend einwirkt. Ansonsten dürfte das Referendum gegen die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative der Umweltverbände so gut wie sicher sein.
Doch schon zeichnet sich weiteres Ungemach ab. Geht es nach der vorberatenden Kommission des Nationalrats, will sie das Gesetz zur Umsetzung in einem Anflug von Kaltschnäuzigkeit für dringlich erklären. Im Klartext: es würde damit vor dem sich abzeichnenden Referendum in Kraft gesetzt.
Wie in der NZZ zu lesen war, soll das Gesetz zudem in weiteren zwei Punkten aufgeweicht werden. Hotels sollen „unter gewissen Bedingungen“ in Zweitwohnungsresidenzen umgebaut werden dürfen. Und altrechtliche Wohnungen um bis zu 30 Prozent ihrer Fläche erweitert werden dürfen.
Fröhlich weiterbauen
Sollte diesem Dringlichkeitsantrag zugestimmt werden, dürfte vorläufig munter weitergebaut werden. Wir mit offenen Augen durch Dörfer wandert, in denen die 20 Prozentlimite längst überschritten ist, weiss längst, dass allenthalben (auch im März 2015) laufend Zweitwohnungen neu erstellt und auf dem Immobilien-Markt als solche beworben werden. Offensichtlich haben clevere Unternehmer die entsprechenden Bewilligungen rechtzeitig eingeholt. So ist seit vielen Monaten etwa in Ascona zu lesen: „Letzte Zweitwohnungen“ zu verkaufen.
Verfassungsbruch?
Wir sind stolz auf unsere direkte Demokratie. Doch nicht zum ersten Mal müssen wir erleben, wie der Volkswille von Bundesrat und Parlament nach unbequemen Abstimmungsresultaten uminterpretiert wird. Man kann das mit Achselzucken zur Kenntnisnehmen. Doch nun meldet sich ein profilierter Staats- und Verwaltungsrechtler zu Wort. Alain Griffel, Professor an der Universität Zürich, zum Gesetzesentwurf: „Das Gesetz ist völlig darauf ausgerichtet, den Willen des Verfassungsgebers, also von Volk und Ständen, möglichst zu durchlöchern und mit Ausnahmen so auszugarnieren, dass sicher nicht das passiert, was man eigentlich wollte“ (DIE ZEIT, 5.2.2015).
Der Rechtsprofessor geht noch weiter. „Die Gesetze werden immer schlechter.“ Kurz und bündig will er damit sagen, dass dieses Gesetz handwerklich so miserabel gemacht sei, dass „es die Vollzugsbehörden in den Gemeinden schlicht nicht werden anwenden können.“ Das lässt aufhorchen. Nicht nur soll ein unliebsamer Verfassungsartikel ausgehebelt werden. Nein, letztlich steckt dahinter eine Erosion des Rechtsstaatsbewusstseins, beklagt dieser Spezialist für Raumplanung, Bauten und Umweltschutz.
Griffel äusserte sich schon im Oktober 2014 in der NZZ kritisch zum Verhalten des Ständerats. Seine These: In der Schweiz wäre das Parlament oberster Hüter der Verfassung und damit Träger einer grossen Verantwortung. „Der Ständerat nimmt diese offenbar nur noch von Fall zu Fall wahr, wie die Beratung des Zweitwohnungsgesetzes gezeigt hat.“
Umsetzungsprobleme bei Initiativen
Die Initianten um Franz Weber haben ein berechtigtes Anliegen der Bevölkerung aufgenommen. Doch muss man kritisieren, dass sie wohl zu wenig bedachten, wie gross in der Praxis die Umsetzungsprobleme sein würden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Alpenlobby erfolgreich für einen Strauss von Ausnahmen lobbyiert. Wie weit es sich dabei um Existenzängste der Bevölkerung oder Einzelinteressen der Baubranche in gewissen Berggebieten handelt, bleibe dahingestellt.
Ein interessanter Vergleich an dieser Stelle: Während die SVP bei ihrer Masseneinwanderungsinitiative seit Monaten deren sofortige Umsetzung fordert, schweigt sie vielsagend im Fall Zweitwohnungsinitiative.
Wenn, wie eingangs erwähnt, schon der Bundesrat mit seinem Entwurf an die Grenze des verfassungsrechtlich Vertretbaren ging, verdient der Ständerat für Übertretung der Spielregeln die rote Karte. Dessen „kreative“ Auslegung ist nicht akzeptabel.
Baustopp wofür?
Die vom Volk angenommene Initiative sieht also für Gemeinden, deren Zweitwohnungsanteil 20 Prozent überschritten hat, einen Baustopp vor. Da setzt die Kreativität der Lobbyisten ein. Das Ausführungsgesetz müsste definieren, was damit gemeint ist. Geht es nach den Wortführern involvierter Gemeinden und Ständeräte, sollen jetzt „kommerziell bewirtschaftete Vertriebsplattformen“ Ausnahmen und weitere Bautätigkeit erlauben. Dazu genügt es, diese Objekte im Internet zur Miete auszuschreiben. Nicht nur Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, stört sich daran gewaltig. Er spricht von einem Schmierfleck im Gesetz.
Offensichtlich arbeiten die Lobbyisten der betroffenen Gebiete unermüdlich daran, dass Tourismus und Bauwirtschaft weiter operieren können wie vor der Abstimmung. Sie wollen sich doch von den Unterländern nicht dreinreden lassen. Dass diese Initiative tatsächlich einschneidende Massnahmen und Eingriffe in private Eigentumsverhältnisse nach sich zieht, ist nicht in Abrede zu stellen. Die vom Ständerat beschlossenen Ausnahmebestimmungen sind aber deshalb fragwürdig, da sie das Kernanliegen der Initiative pulverisieren und der Verfassungstext toter Buchstabe bliebe.
Auch der Freiburger Rechtsprofessor Bernhard Waldmann spricht in der NZZ Klartext, was das Verhalten des Ständerats betrifft: „Die Vorlage widerspricht dem Wortlaut und dem Zweck der Initiative. Es gibt rote Linien, die nicht zu überschreiten sind.“ Das ist definitiv zu viel Rot. Rote Linie überschritten, rote Karte als Folge. Was hiesse das im Fall Ständerat?
Wie es euch beliebt!
Noch gelten die Übergangsregeln. Darin verbot der Bundesrat vor zwei Jahren 570 Gemeinden – jenen, mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent - weiterhin „kalte Betten“ zu erstellen. Inzwischen ist diese Zahl gemäss Bundesamt für Raumentwicklung ((ARE) auf mirakulöse Weise um 130 geschmolzen. Wie ist sowas möglich? Ganz einfach. In unserer föderalistischen Schweiz können die Gemeinden ihre Zweitwohnungsanteile letztlich selber deklarieren.
Besonders kreative Behörden haben zudem entdeckt, dass Gemeindefusionen attraktiv werden. Wehrten sich viele (wohlhabende) Gemeinden erst noch vehement gegen Fusionsideen mit (ärmeren) Nachbargemeinden, haben sie realisiert, dass solche Zusammenschlüsse aufregende Zukunftsperspektiven eröffnen. Plötzlich entsteht – als Rechenbespiel – aus einer reichen (mit über 20% Zweitwohnungsanteil) und sechs weniger begüterten Gemeinden mit weit unter 20% eine einzige neue. Damit ist die unbeliebte Zweitwohnungsinitiative auf legalem Weg ausgetrickst.
Helvetische Minderheiten im Parlament
Es wiederholt sich in diesen Tagen ein Spielchen, das wir aus der Vergangenheit kennen. Minderheiten schliessen sich im Parlament zusammen mit anderen Minderheiten. Sie versprechen sich gegenseitig: Wie du mir, so ich dir! Hilfst du mir heute, helfe ich dir morgen. Solche „Päckli“ sind nicht verboten. Das Resultat: Immer wieder obsiegen Minderheiten, und hebeln so die Mehrheit des Volkes elegant aus.
Sie mögen sich in der Wandelhalle oder im nahegelegenen Restaurant verschmitzt die Hände reiben. Ihr Erfolg ist allerdings keiner zeitgemässen Demokratie würdig.