Das Festival Locarno lud Roman Polanski ein, um ihn für sein Lebenswerk zu ehren und eine Masterclass für den Filmnachwuchs leiten zu lassen. Dagegen erhob sich im Tessin aus politisch konservativen Kreisen Protest, weil den Regisseur eine vierzig Jahre zurückliegende Sexaffäre mit einer Minderjährigen belaste. Die Festivalleitung verteidigte die Einladung unter Verweis auf die künstlerische Freiheit. Polanski sagte nun seine Teilnahme wegen der um ihn entstandenen Kontroverse ab.
Die mückenhafte Episode geht leider als Elefäntchen in die Verlängerung.
Nach eigener Bekundung von Präsident Marco Solari war ihm und Direktor Carlo Chatrian die heikle Seite der Einladung bewusst. Die Proteste konnten nicht unerwartet sein. Sie erfolgten eine Weile vor dem Festival und flauten bis zu dessen Beginn ab. Anstatt klug zu schweigen, rechtfertigte Marco Solari an der Eröffnungsfeier den Entscheid weitschweifig und rüffelte die Kritiker. Damit war das Oel wieder im Feuer.
Anzurechnen ist dem Präsidenten die Unbeugsamkeit. Leider vergass er, dass ein auch im Namen der künstlerischen Freiheit getroffener Entscheid heftig bemängelt werden darf. Gerade ein Festival, das sich auf die Freiheit beruft, muss die freie Äusserung anderer Meinungen souverän ertragen. Pressionsversuche entfalten ihre Wirkung im Übrigen nur, wenn vor ihnen gezittert und an der Richtigkeit der eigenen Auffassung gezweifelt wird.
Auch Roman Polanski musste die Wirren voraussehen. Wenn er die Einladung dennoch annahm, wäre es fair gewesen, nach Locarno zu reisen. Mit seiner Abwesenheit stellt er seine Gastgeber bloss. Er gewährte den Gegnern, was das Festival ablehnte: den Kniefall.
Freunde und Gäste wählt man sich selber aus. Dazu hätte Selbstkritisches aus Locarno nicht schlecht gepasst.