Der Eurokurs von CHF 1.10 bewirkt, dass unsere Güter und Dienstleistungen für die Europäer unerschwinglich werden. Dabei ist Europa unser Haupthandelspartner. Die Lage ist katastrophal für den Tourismus, die Industrie und das Gewerbe, da diese in einem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis zu Unternehmen aus dem EU-Raum stehen.
Beharrt der Schweizer Franken auf dem aktuellen Niveau, wird die Schweiz in eine tiefen Rezession stürzen: mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit und eventuell einem Rückgang der Löhne, was die Inlandnachfrage schwächen würde. Es wäre volkswirtschaftlich und sozial verantwortungslos, einfach tatenlos zuzuwarten. Denn der Euro wird kaum selber an Wert zulegen, da die Europäische Zentralbank einen Teil der Staatsschuld zurückkaufen und deswegen die Geldmenge erweitern wird.
Fieber runter - Patient tot
Auf eine Verschärfung der Schweizer Rezession zu setzen, um eine Schwächung des Franken zu erreichen, scheint mir keine gangbare Option zu sein. Für viele Unternehmen würde es sozusagen bedeuten, dass man das Fieber senkt, indem man den Patienten sterben lässt.
Die Gefahr betrifft nicht bloss die Konjunktur. Dauert die Frankenüberbewertung mehr als ein Jahr an, riskiert die Schweiz einen schlimmen strukturellen Schwund in der Industrie. Denn es ist nicht realistisch, die Aufwertung des Frankens mit Produktionsgewinnen von 30 % in 2 Jahren wettzumachen. Die Reduktion der Margen kann für ein paar Monate helfen, ist aber auf längere Zeit nicht haltbar.
Es ist also zwingend, den Kurs des Schweizer Frankens zu senken und ihn auf einem Niveau zu stabilisieren, welches die Kaufkraftparität annähernd widerspiegelt. Dieses Niveau könnte bei CHF 1.30 oder 1.40 pro Euro liegen. Wie soll man das bewerkstelligen? Historisch gesehen ist es nicht das erste Mal, dass der Schweizer Franken als Wertrefugium fungiert. Solche Phasen haben eine Gemeinsamkeit: die Anleger kaufen Schweizer Franken unabhängig vom Zustand der Schweizer Wirtschaft. Diese wird in eine Art Geiselschaft genommen.
Die Folgen der geplatzten Spekulationsblase ausbaden Trotz dieser scheinbaren Konstanz haben sich die Umstände grundlegend geändert:
• Seit der Schaffung des Euro kann die Schweiz nicht mehr auf die divergierenden Entwicklungen der Nachbarwährungen setzen: Als die Lira einen Einbruch erlebte, konnte man auf die DM setzen. Diese Zeiten sind vorbei.
• Wegen des gewaltigen Grössenunterschieds zwischen dem Euroraum und der Schweiz erinnert das Verhältnis beider Währung an ein System von kommunizierenden Röhren zwischen einem Schwimmbad und einem kleinen Reagenzglas. Wird der Pegel des Schwimmbades leicht nach unten gedrückt, steigt das Niveau im Reagenzglas massiv an. Die für den Handel ungünstigen Yo-Yo-Bewegungen werden sich also fortsetzen.
• Die Welt wird noch mehrere Jahre lang die Folgen der 2007 geplatzten Spekulationsblase ausbaden. Die US-Schuldenwirtschaft behindert den Aufschwung. Das Zeitalter stetig steigender Börsenkurse und astronomischer Gewinne für den Finanzsektor ist weltweit vorbei. Das Vertrauen in die Finanzmärkte ist dauerhaft erschüttert.
• Dank der Personenfreizügigkeit und den anderen bilateralen Abkommen ist unsere Volkswirtschaft noch enger mit dem EU-Raum verknüpft. Der Aussenhandel mit der EU ist somit noch wichtiger geworden. Die rund 120 bilateralen Verträge haben mittlerweile eine hohe politische Tragweite.
• Wegen dieser hohen Handelsdichte wäre die Umsetzung einer Kontrolle der Kapitalflüsse zwischen dem EU-Raum und der Schweiz sehr schwer durchzuführen.
• Es ist unklar, ob sich in der Praxis negative Zinssätze durchsetzen liessen: Dieses Instrument war eher gangbar unter dem Regime der Kapitalkontrolle, zu Zeiten also, als die Ausländer ihre Schweizer Franken in Schweizer Banken hielten.
Finanzsektor verliert an Wichtigkeit
Die grundlegenden Veränderungen haben meines Erachtens zwei Konsequenzen. Erstens wird der Finanzsektor im Vergleich zur „Realwirtschaft“ (hier als „alle andere Sektoren“ definiert) an Wichtigkeit verlieren. Die Realwirtschaft wird wichtiger. Somit wird auch der Wechselkurs mit den Nachbarländern noch ausschlaggebender als früher.
Zweites werden homöopathische, punktuelle oder verbale Massnahmen bei so grossen Mengen und Kräften auf die Finanzmärkte kaum einen Einfluss haben. Dies gilt umso mehr, als der Zinsspielraum schon ausgeschöpft ist.
SNB soll nachhaltigen Wechselkurs festlege
Um einen vernünftigen Wechselkurs zu bewirken gibt es nicht tausend Wege. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) muss Devisen kaufen und im Gegenzug grosse Mengen an Franken emittieren. Sie macht das schon, aber ohne explizites Kursziel. Leider reicht diese Mässigungspolitik nicht aus, um unser Land und unsere Volkswirtschaft vor Spekulationsangriffen zu schützen. Daher soll die SNB einen nachhaltigen Wechselkurs präzis festlegen. Dieser könnte bei 1 Euro = CHF 1.35 liegen, allenfalls mit einem engen Schwankungspotential.
Mit anderen Worten: Die SNB soll den Schweizer Franken einmalig abwerten und den neuen Kurs mit allen Mittel verteidigen, insbesondere, indem sie so viele Schweizer Franken auf den Markt wirft, wie dieser wünscht. Im Wissen um den starken und präzisen Willen unseres Geldinstitutes werden die Marktakteure bald aufhören, auf eine Erhöhung des Franken zu setzen. Die neue Politik orientiert sich an Dänemark, welche sein Krone an den Euro angebunden hat. Die dänische Zentralbank lässt nicht den geringsten Spielraum für Spekulationen.
Die anfängliche Abwertung wäre brutal
Im Endeffekt könnte die Festlegung eines präzisen Wechselkurses weniger Geldemissionen benötigen als die aktuelle Mässigungspolitik. Die anfängliche Abwertung ist eindeutig brutal. Aber eine Stabilisierung beim aktuellen Niveau wäre unsinnig. Für den Fall, dass der Schweizer Franken spontan bis CHF 1.35 pro Euro zurückginge, wäre die anfängliche Abwertung nicht mehr notwendig.
Die Anlehnung des Schweizer Frankens an den Euro wird eine ähnliche Teuerung wie in der Eurozone bewirken, da beide Währungen liiert sind. Wegen der aktuellen monetären Expansion in der Eurozone ist ein gewisser inflationärer Schub zu erwarten.
Da die Verteidigung des festen Wechselkurses anfänglich die Emission vieler Franken benötigen wird, kann man sich fragen, ob dadurch die Schweiz - im Vergleich zu Europa - eine höhere Teuerung riskiert. Diese Gefahr scheint mir begrenzt, da diese zusätzlich grosse Menge an Schweizer Franken im Ausland als Reserve gehortet wird und nur begrenzt im inländischen Kreislauf zirkuliert. Sollte aber später der Euro wieder an Attraktivität gewinnen und daher diese Schweizer Franken in die Schweiz zurückfliessen, würde sich die inflationäre Bedrohung zuspitzen. In diesem Fall müsste die SNB Schweizer Franken zurückkaufen, sowohl um die Teuerung einzudämmen, als auch um den Wechselkurs zu verteidigen.
Konkret würde Sie die gewaltigen Devisenreserven verkaufen, die in den letzten Monaten geäufnet wurden. Unproblematisch. Bei den Zinsen könnte eine Differenz weiterbestehen, wie sie übrigens auch innerhalb der Eurozone selbst besteht.
Nichts hindert den Bundesrat, Unterstützung für eine neue Geldpolitik zu signalisieren
Eine positive Nebenwirkung eines stabilen Wechselkurses betrifft die Einfuhren, denn die Schwankungsgewinne der Importeure werden nicht lange im aktuellen Ausmass weiter Bestand haben. Der Wettbewerb wird besser spielen.
Es stellt sich die Frage der Verfassungsmässigkeit einer freiwilligen Anbindungen an den Euro. Die Verfassung besagt: „Die Schweizerische Nationalbank führt als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes dient“.
Solange unser Geldinstitut diese Wahl unabhängig trifft, ohne durch ein internationales Abkommen oder einen Regierungsbeschluss gezwungen zu sein, ist die Unabhängigkeit gewährt. Nichts hindert aber den Bundesrat, seine Unterstützung für diese neue Geldpolitik zu signalisieren, um die Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit der SNB zu untermauern. Die Frage der Verfassungsmässigkeit ist so oder so theoretischer Natur, denn es wäre unmöglich, eine Debatte zu einer Verfassungsänderung zu führen, ohne während 2 Jahren eine gewaltige Spekulationsphase auszulösen. Allenfalls müsste man zum Notrecht greifen.
Monetäres Verhältnis zu Europa stabilisieren
Die neue Geldpolitik hat zum Ziel, die Unternehmen der Realwirtschaft zu unterstützen. Im Gegenzug müssten diese alles tun, um Entlassungen zu vermeiden und die Kaufkraft zu wahren, indem sie mindestens den Ausgleich der Teuerung gewährleisten.
Selbstverständlich ändert diese neue Geldpolitik die Gewohnheiten. Sie leitet sich aber logisch aus der Tatsache her, dass wir eng im Leben unseres Kontinents eingebunden sind. Unsere Volkswirtschaft und unser Arbeitsmarkt sind eng mit Europa verflochten. In allen Bereichen wenden wir immer mehr Regeln des europäischen Rechts an, und zwar bis zum Bankgeheimnis. Es ist unter diesen Umständen nichts als logisch, auch unsers monetäres Verhältnis zu Europa zu stabilisieren.
In einer kleinen und offenen Volkswirtschaft ist es äusserst schwierig, die Konjunktur über die Geldpolitik zu steuern, denn der Gang des Aussenhandels ist fast der grössere Einflussfaktor. Im Falle der Schweiz ist die Übungsanlage noch schwieriger, da der Status als Reservewährung zu enormen Schwankungen des Wechselkurs führt, die einen grossen Effekt auf die Konjunktur haben.
Unter diesen Voraussetzungen ist es wohl zweckmässiger, einen festen Wechselkurs anzustreben. Die Schweiz muss sich für die Realwirtschaft entscheiden und auf die kostspielige Strategie der Reservewährung verzichten - trotz den gegenteiligen Meinungen gewisser nationalistischer oder finanzwirtschaftlicher Kreise.
Grundsätzlich ist die Schweiz mit ihrem europäischen Schicksal konfrontiert. Sie stellt fest, dass die Fiktion einer wohlhabenden Insel mitten in einem Ozean von Finanzschwierigkeiten kaum am Leben zu erhalten ist.
Es ist bloss eine narzisstische, nationalistische Illusion. Die nächste Frage, die sich stellen wird, ist politischer Natur: Ist es bei einer so engen wirtschaftlichen, rechtlichen und monetären Integration noch immer möglich, unsere Interessen zu verteidigen, ohne in den Beschlussgremien der Europäischen Union mitzuwirken? Die Antwort scheint mir klar.
Roger Nordmann, Nationalrat SP, Lausanne