«Der mörderische Monarch» titelt die «New York Times» ihren Leitartikel über die Veröffentlichung eines vom US-Kongress angeforderten Geheimdienstberichts. Der Report kommt zum Schluss, dass Mohammed bin Salman (MBS.) für die grausame Tötung von Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul verantwortlich ist: «Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman billigte eine Operation in Istanbul (Türkei), um den saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zu ergreifen oder zu töten.»
Der Kolumnist der «Washington Post» war unter einem Vorwand in die diplomatische Vertretung des Königreichs gelockt worden. Dort wartete ein 15-köpfiges Killerteam des 35-jährigen Thronfolgers auf den Journalisten, betäubte ihn, tötete ihn und zerstückelte die Leiche mit einer Knochensäge. Die sterblichen Überreste des Mordopfers sind bis heute nicht gefunden worden.
Es ist zu begrüssen, dass der Bericht, der seit über einem Jahr vorliegt, nun endlich publik geworden ist. Ex-Präsident Donald Trump, ein guter Freund von MBS., hatte den Report entgegen der Forderung des Kongresses zurückgehalten. Er wollte nichts auf die guten Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien kommen lassen, allein schon im Hinblick auf äusserst lukrative Waffengeschäfte.
Die Einhaltung von Menschenrechten kümmerte das Weisse Haus wenig. «Ich habe seinen Arsch gerettet», verriet Trump dem Journalisten Bob Woodward und meinte den saudischen Kronprinzen. Und auf die Mitschuld Mohammed bin Salmans angesprochen, antwortete der Ex-Präsident ausweichend: «Vielleicht hat er es getan, vielleicht aber auch nicht.»
Saudi-Arabien hat, wenig überraschend, die «negativen, falschen und inakzeptablen Schlussfolgerungen» des US-Geheimdienstberichts zurückgewiesen: «Das Königreich lehnt jegliche Massnahme ab, die seine Führung, seine Souveränität und die Unabhängigkeit seines Justizsystems betrifft.» Zwar haben die Saudis in einem Geheimverfahren elf ungenannte Agenten ihres Geheimdienstes wegen des Mordes in Istanbul zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt. Doch die Verurteilten gelten als Sündenböcke und die Drahtzieher am Hof in Riad sind nicht belangt worden. Der Einschätzung Saudi-Arabiens, wonach der fragliche Report lediglich üble Nachrede enthalte, schlossen sich die anderen Monarchen am Golf umgehend an – gemäss dem Motto: «Was nicht sein darf, kann nicht sein.»
Doch trotz des vernichtenden Berichts ihrer Geheimdienste hält sich die Reaktion der USA in Grenzen. Zwar hat Präsident Joe Biden, teils schon früher, verfügt, Saudi-Arabien keine Offensivwaffen mehr zu liefern und die Unterstützung des Königreichs beim zerstörerischen Krieg in Jemen einzustellen. Auch will das US-Aussenministerium künftig Personen die Einreise verweigern, die im Auftrag eines Staates Dissidente und Journalisten belästigen, festhalten oder zu Schaden kommen lassen. Vom sogenannten «Khashoggi ban» sind vorerst 76 Saudis betroffen.
Zu heikel aber erscheint es Joe Biden, der den künftigen König Saudi-Arabiens im Wahlkampf noch einen «Paria» nannte, direkt zu sanktionieren. Zu wichtig ist für Washington Saudi-Arabiens Einfluss auf dem internationalen Ölmarkt, dessen Funktion als Gegenspieler des Iran und möglicher Freund Israels sowie die Kooperation mit Riad in Sachen Terrorbekämpfung. «Die wichtigste Botschaft, die nicht nur an MBS und andere am saudischen Hof und in der Regierung, sondern auch andere Möchtegern-Killer von Journalisten weltweit gesandt werden sollte, ist die, dass für solche Verbrechen ein hoher Preis zu zahlen ist und es kein Verstecken gibt», sagt indes Agnes Callamard, die für die Vereinten Nationen den Mord an Jamal Khashoggi untersucht hat.
Die Meinung der Uno-Menschenrechtsexpertin teilt Nicholas Kristof, ein für sein Engagement in Sachen Unrecht bekannter Kolumnist der «New York Times». Der Kronprinz, schreibt er, habe seinen Freund getötet und die USA täten fast nichts, obwohl MBS alles, was er berühre, vergifte: «Er hat Libanons Premierminister gekidnappt. Er hat den Streit mit Katar vom Zaun gerissen. Er hat im Jemen die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt verursacht. Er hat Aktivistinnen für Frauenrechte eingekerkert. Er hat dem Ruf seines Landes viel stärker geschadet, als dies der Iran je könnte.»
Der Titel der «Times»-Kolumne? «Präsident Biden lässt einen saudischen Mörder laufen». Ein Indiz für den «fundamentalen» Wandel in den Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien, wie Joe Biden ihn im vergangenen Jahr versprochen hat, ist das nicht. Und auf keinen Fall eine schallende Ohrfeige, sondern nur ein sanfter Klaps auf die Hand, der MBS kaum dazu bringen wird, seinen diktatorischen Kurs zu ändern – schon gar nicht, wenn er dereinst König sein sollte.