Die neu ins Museum gekommene Werkgruppe gibt einen ausgezeichneten Einblick in das Schaffen des Schweizer Künstlers Rémy Zaugg (1943-2005), der wie kaum ein anderer mit missionarischer Hartnäckigkeit Grundfragen der visuellen Wahrnehmung, der Kunst und auch ihrer Präsentation in Museum und Öffentlichkeit erforschte. Er bediente sich dabei ganz unterschiedlicher Medien: der Malerei und der Zeichnung, aber auch des knappen Wortes und des ausführlich argumentierenden theoretischen Textes. Allen diesen Arbeiten gemeinsam ist ein ausgeprägtes Bewusstsein für die akribische Genauigkeit.
Newman und Cézanne als Anfang
Am Anfang steht Barnett Newmans 1951 entstandenes Werk „Day Before One“, das 1959 ins Kunstmuseum Basel gelangte – ein monochrom in Dunkelblau bemaltes über drei Meter hohes und schmales Rechteck mit feinen hellen Streifen oben und unten. Die Malerei erregte Aufsehen. Leo Lachenmeier, Grossrat und Malermeister, sagte, das könne er auch, und lieferte gleich den Beweis dazu. Der 20jährige Rémy Zaugg, eben aus dem Jura, wo er aufwuchs, nach Basel gekommen, war fasziniert und fassungslos, griff aber nicht zum Pinsel, sondern, um sich kundig zu machen, zu einer Geschichte der Malerei und stiess da auf eine Abbildung von Cézannes 1873 entstandenem Bild „La maison du pendu“.
Was nun begann, ist für Rémy Zaugg signifikant: Langsam, intensiv und mit Ausdauer beschäftigte er sich während fünf Jahren mit diesem Werk und setzte jedes Detail, das er auf der Leinwand entdeckte, in Sprache um. „Entstehung eines Bildwerkes. Perzeptive Skizzen“ ist das Ergebnis dieser Recherche betitelt, ein Konvolut von 48 Blättern. Es fand 1991 Eingang in die Sammlung von Hans und Monika Furer und gelangte mit der Schenkung ins Kunstmuseum Basel. Nun ist es im Neubau in der vier Räume umfassenden Ausstellung „Schau, ich bin blind, schau – Von Rémy Zaugg bis John Baldessari. Die Sammlung Hans und Monika Furer“ zu sehen.
Erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit und Gründlichkeit sich der junge Zaugg während Jahren der selbst auferlegten Aufgabe stellte. Damit legte er den Grundstein für sein ganzes Schaffen, in dem er die selbst entwickelten und höchst komplexen Theorien der Wahrnehmung und, damit verbunden, auch seine eigenen Theorien über Macht und Ohnmacht des Bildes darlegte. Ebenso erstaunlich: Die sorgfältige Umsetzung und damit die künstlerische Praxis ist wesentlicher Teil von Zauggs theoretischer Forschung, wird jedoch stets zum eminent sinnlichen visuellen Ereignis. Dessen Wahrnehmung erfordert aber Zeit und vielleicht gar Hingabe. Das schmälert Zauggs Renommee und seine Bedeutung im Kunstumfeld seiner Zeit nicht, verhindert aber, dass er – wie Jean Tinguely oder Fischli/Weiss – zum populären Künstler wird.
„Schau, ich bin blind, schau“
Als Beispiel für Zauggs Vorgehen dient die Serie „Schau, ich bin blind, schau“ von 1997/1998. Sechs der Tafeln (Aluminium, gespritzter Lack, Siebdruck) gehören zur Schenkung. Sie alle zeigen, in halbfetten Versal-Buchstaben in Adrian Frutigers Univers-Schrift, den gleichen irritierenden Text mit dem Antagonismus „blind – schau“ und mit dem bewussten Verschleiern der Grenze zwischen Bild und Betrachter: Wer ist „ich“? Das Bild? Wer fordert wen auf, zu schauen? Irritierend sind ebenso die Farbkontraste zwischen Buchstaben und Hintergrund. Die Kontraste gehorchen keinem System, aber in ihrer Härte schmerzen sie das Auge. Sie stören, auch wenn vom Schauen die Rede ist, unsere visuelle Wahrnehmung.
In anderen Arbeiten reduzierte Rémy Zaugg den Kontrast bis zum kaum mehr Wahrnehmbaren. Ein Beispiel: Auf hellbeigem Grund stehen die Buchstaben (wiederum Frutigers Univers, Zauggs Standard-Schrift) „VOIR MORT“. Wir nehmen zwei Wörter wahr, einen Infinitiv und ein Adjektiv, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Wirklich? Wer sieht? Wer ist tot? Wer sieht tot, also nichts, und ist damit blind? So klar und präzis die Buchstaben sind – 1991 leuchteten sie als Neon-Objekte an der Skulpturenausstellung in Biel und aussen am Kunstmuseum Luzern – so unklar ist ihr Sinn, den zu erschliessen Zaugg uns überlässt: Ein an die Betrachtenden gerichteter Imperativ.
Die Schenkung umfasst noch sehr viele weitere Werke Zauggs und ebenso seine Publikationen. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Ausstellung zeigt das Museum Werke der amerikanischen Nachkriegskunst – darunter eben Barnet Newmans „Day Before One“.
Die Sammlung als Umfeld
Das Kunstmuseum Basel zeigt die ihm geschenkten Werke Zauggs verbunden mit einem Blick auf die Sammlung Hans und Monika Furer. Teils werden so enge Beziehungen zwischen den Beständen deutlich – am eindrücklichsten, wenn eine neue Fotoarbeit Thomas Ruffs einen Blick in jenes Buch mit der Abbildung von Cézannes „La Maison du pendu“ zeigt, wie es Zaugg 1963 für sein Studium der Malerei vorlag. Ruff ist in der Sammlung Furer breit vertreten, zum Beispiel mit einem 1987 entstandenen und 240 auf 185 cm messenden Gross-Porträt der Künstlerin Pia Fries, deren Malereien sich gleich mehrfach in der Sammlung Furer befinden. In der Ausstellung sind denn auch dieses Porträt und, gleich daneben, ihr Werk „maserzug 1“ von 2008 zu sehen.
Enge Beziehungen ergeben sich auch zwischen Rémy Zauggs Schaffen und Arbeiten von On Kawara, Ian Hamilton Finlay, Lawrence Weiner oder Robert Barry. Wichtige weitere Namen sind: Sol LeWitt, Alighiero e Boetti oder Mapplethorpe. Kaum irgendwelche Brücken lassen sich allerdings schlagen von Rémy Zaugg zu Stephan Balkenhol, Rainer Fetting oder Jean-Charles Blais. Die Ausstellung zeigt auch, dass Hans und Monika Furer sich in ihrer Sammlertätigkeit vor allem von ihren oft freundschaftlichen Beziehungen zu Künstlern leiten liessen. Inspirierend wirkten für sie aber ebenso die Tätigkeit der Kunsthalle und des Kunstmuseums Basel sowie die Programme einzelner Galerien, zum Beispiel Mai 36 (Zürich) oder Stampa (Basel).
Kunstmuseum Basel, Neubau, bis 1. Dezember 2019. Publikation zur Sammlung Hans und Monika Furer (29 Franken)