Silvia Bächli und Eric Hattan greifen mit ihrer Kunst in den historischen Kontext des Museums Langmatt ein. Der Komplex von Fragen und Widersprüchen, den sie auslösen, trifft auf die ungewisse Zukunftsperspektive des Hauses.
Die Villa Langmatt in Baden, 1900/1901 an der Römerstrasse erbaut von Karl Moser für Sidney und Jenny Brown, ist ein herrschaftlicher Repräsentationsbau in weitläufiger Parklandschaft. Die Villa gilt als Juwel und perfektes Zeugnis grossbürgerlich-industrieller Wohnkultur. Sidney Brown (1865–1941) ist als Konstrukteur massgeblich am weltweiten Erfolg der Firma BBC beteiligt, die sein Bruder Charles Brown zusammen mit Walter Boveri sen. im Jahr 1891 gründet.
Jenny Brown-Sulzer (1871–1968) ist nicht nur Tochter des Patrons der Winterthurer Firma Gebrüder Sulzer AG, sondern auch kunstsinnig. In jungen Jahren malt sie. 1896 kauft das Ehepaar in Paris erste Bilder. Die Sammlung wächst, ab 1908 mit Schwerpunkt auf französischer Malerei des Expressionismus und mit Werken von Künstlern wie Gauguin, Renoir, Pissarro, Monet, Sisley, Mary Cassatt und Cézanne. Von Cézanne kaufen sie 1908 ein um 1900 entstandenes Stillleben – das erste Cézanne-Werk in Schweizer Besitz. Sie erwerben auch erlesenes Kunsthandwerk wie Möbel, Teppiche, Silber, Porzellan, Chinesisches. Um alle die Kunstschätze unterzubringen, lassen die Browns – wiederum von Karl Moser – einen Galerieanbau errichten.
1990, nachdem der letzte der drei kinderlosen Söhne der Familie gestorben ist, gelangt die Langmatt an die Stadt Baden, die eine Stiftung errichtet. Die Villa wird ein Museum, das, geleitet von Markus Stegmann, nicht nur als Wohnmuseum den grossindustriellen Lifestyle dokumentieren und nicht nur Kunst alter Tage zeigen will. Das vornehme Ambiente soll auch Künstlerinnen und Künstlern unserer Tage ein Forum bieten und damit mitunter auch provokative Reibungen erzeugen.
Gegenwärtig findet eine Art Heimspiel statt: Stegmann lud Silvia Bächli (*1956), aufgewachsen in Baden, und Eric Hattan (*1959), aufgewachsen in Wettingen, zu Interventionen ein. Beide leben in Basel. Beide sind weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Beide zeichnet eine kompromisslose und selbstbewusste künstlerische Haltung aus.
Der grosse Atem im Galerieraum
Alte Fotografien zeigen den grossen Galerieraum der Langmatt mit üppigen Teppichen und schweren Sesseln. Die Wände sind dicht gedrängt voller Kunst. Jetzt ist der Saal leer. Silvia Bächli zeigt in scheinbar karger Präsentation an den Wänden bloss 17 Arbeiten auf Papier (Bild ganz oben). Sie sind einheitlich gross (102x72 cm) und lose an die mit einem dezent grauen Wollstoff bespannte Wand geheftet. «Farbfeld» ist ihr Titel. Breite, horizontal oder vertikal geführte Pinselstriche in Gouache bedecken diese Flächen meist bis an die Ränder. Das Weiss des Papiers scheint durch die in ruhig-bewegten Zügen aufgetragenen Farben und gibt ihnen hier und dort eine intensive Leuchtkraft.
Das ist man von Silvia Bächlis Arbeiten bisher nicht gewohnt. Meist waren ihre Werke von einem spontan aus den Körperbewegungen herausfliessenden Duktus schwarzer Linien geprägt. Ebenso ungewohnt ist in ihrem Schaffen die klare Reduktion auf Rechteckformen. Den sensibel rhythmisierten Umgang mit Zeichnungen in ihrer Beziehung zu Wandfläche und Raum allerdings kennt man von ihren früheren Präsentationen. Sie können, wie auch die Badener Arbeit, als Rauminstallationen gelesen werden, als Notate einer Choreographie oder als behutsames und von grossem ruhigem Atem begleitetes Spiel mit Farbflächen im Raum.
Eine aus der Ruhe herauswachsende Bewegung im Raum kann als Essenz dieser Badener Arbeit Silvia Bächlis gelten. Bewegung zeigt sich im rhythmisierenden Aufteilen der einzelnen Blätter auf die grossen Wände des Saales, aber auch im Pinselauftrag der Farbe auf das Papier, der geprägt ist von zurückhaltender Emotionalität. Bewegung zeigt sich auch im Setzen der Farbakzente im Raum – hier zurückhaltend und dumpf, dort kräftig und aktiv.
Diese Akzente scheinen nicht einem intellektuell gefassten Konzept oder gar «Berechnungen» zu entspringen, sondern wirken spontan, selbstbewusst und kraftvoll. Wichtig ist dabei sicher auch das Farbklima, das Silvia Bächli im wohltuend leeren Raum vorfand und das wesentlich bestimmt wird vom warmen Klang des wunderbaren Mahagoni-Parketts. Auf der Basis der differenzierten Brauntöne dieses Parketts entwickelte Silvia Bächli ihre ausgewogene und harmonische Farbskala.
Die Galerie mit den Arbeiten Silvia Bächlis wirkt nach den üppigen Wohnräumen der Langmatt wie eine Befreiung. Sie gibt dem Atmen Raum. Aber die Konfrontation mit dem Wenigen ist fordernd. Nichts lenkt ab. Nichts hilft. Im genauen Hinhören aber ist im Kargen das Wesentliche spürbar – und unvermittelt kippt das scheinbar Zurückhaltende ins Opulente und Reichhaltige.
Das ist, bei aller wohlklingenden, ruhigen Schönheit, die Silvia Bächli in den Galerieraum zaubert, auch ein grundsätzliches Statement zur Kunst – abgegeben bewusst an einem Ort, den viele wegen den berühmten Künstlernamen als «Hotspot» der Kultur schätzen und dabei oft ausser Acht lassen, dass sich auch die Qualität der Werke Cézannes, Gaugins oder Monets erst in lang andauernder konzentrierter Begegnung erleben lässt. Vielleicht wird durch den Kontakt mit Silvia Bächlis Arbeiten mancher Besucherin und manchem Besucher bewusst, dass die vielen Nippes und Möbel des Wohnmuseums, so kostbar, edel und schön sie sind, diese Begegnung erschweren.
Eric Hattans Intrigieren
Eric Hattans Eingreifen ins Langmatt-Ambiente ist von anderer Natur. Er setzt seine Skulpturen oder Assemblagen ganz bewusst an neuralgische Punkte von zwölf Räumen der Villa und stellt so grundlegende Fragen – zum Beispiel nach dem Wert der Kunst. Neben ein zierliches Teegedeck stellt er sein Objekt «Obst und Gemüse» aus rohem Beton und zusammengekringelten Socken.
«Clara 135» nennt er eine Skulptur aus fein säuberlich zusammengebundenen beschichteten Presssplanplatten. Genau, als wäre es ein kostbares altes Kunstwerk, nennt er die Masse: 79x40x25 cm. Ist «Clara» ebenso Kunst und ebenso wertvoll wie das hübsche antike Möbel in der unmittelbaren Nachbarschaft? Was macht den Wert von Kunst aus, was adelt Kunst? Ist es Material, Stil, Ästhetik oder Kontext?
Oder: In einem der Salons, einst Raum für gesellschaftliche Auftritte in grosser Garderobe, steht ein trivialer Ständer aus gelochten Eisenstangen. Jemand hat da acht- und stillos einen Anzug samt Hemd (nicht die alleredelsten Stücke, aber immerhin stammen sie vom Designer Paul Smith) aufgehängt. Als «Calida» betitelt Eric Hattan das Ding. Wie soll man es nennen? Skulptur, da es sich hier um den Ort einer berühmten Kunstsammlung handelt? Wie hat der Störenfried den Salon verlassen? Im Streit vielleicht? Und wie denken wir uns den Raum jetzt, nach dieser Begegnung?
Im Obergeschoss werfen wir einen Blick ins raffiniert-moderne Bad der Familie Brown; am Boden liegen Kartoffeln. Im «Venedig-Zimmer» verstellt eine unförmige Sperrholzplatte, absurd mit allerlei Alltäglichem kombiniert, die Sicht auf die hübschen Venedig-Veduten aus dem 18. Jahrhundert («Self»). In einem mit Blumentapeten ausgekleideten Zimmer läuft Hattans Video «Niemand ist mehr da» von 1999, aufgenommen in einem verlassenen grossbürgerlichen Haus in Paris. Wände werden durchbrochen, alles zerfällt: Wer denkt da nicht an die Langmatt heute? Auch hier ist ja «niemand mehr da». Und: Wer würde nicht mitten in diesem trauten Paradies einer Industriellenfamilie plötzlich Kriegsbilder vor sich sehen!
Eric Hattan zeigt im grossbürgerlichen Alltagsmuseum seine Skulpturen aus Alltagsmaterialien unserer Tage. Das ist mutig, denn hier haben sie sich gegenüber den von den Browns gesammelten Kunstwerken und in ihrer Wohnkultur zu bewähren – und wohl auch gegenüber der Kritik jenes Publikums, das nostalgisch auf diese Wohnkultur blickt. Umgekehrt schärft er unseren kritischen Blick auf die Welt der Gründerzeit. Beides führt auf intrigierende Weise zu Rissen und Brüchen und zu grundsätzlichem Befragen des Stellenwertes von Kunst.
Die Villa ist krank
Eric Hattans Interventionen zielen mitten ins Grossindustriellen-Ambiente der Familie Brown-Sulzer. Auf den ersten Blick scheint alles prächtig. Doch die Langmatt ist so krank, dass nur eine Radikaltherapie helfen kann: Das Haus ist sanierungsbedürftig, Anpassungen an einen modernen Museumsbetrieb sind unerlässlich, ein Pavillonbau für Publikumsanlässe drängt sich auf. Das alles verursacht Kosten von insgesamt 18,8 Millionen Franken. Die Stadt Baden (19’000 Einwohner) soll zehn Millionen aufwenden, worüber am 18. Juni eine Volksabstimmung stattfinden wird. Der Kanton Aarau trägt aus dem Swisslos-Fonds sechs Millionen bei. Die Stiftung Langmatt selber rechnet mit Gönnerbeiträgen von 2,8 Millionen.
Damit nicht genug: Das Stiftungskapital, beinahe aufgebraucht, soll so aufgestockt werden, dass künftig der Museumsbetrieb finanzierbar ist. Dazu sind 40 Millionen nötig. Geplant ist, dies mit dem Verkauf einiger weniger Werke der Impressionistensammlung zu ermöglichen. Die Rede ist nicht von den Highlights. Gleichwohl rührt die Stiftung an ein Tabu: Erstens fusst die Verkaufsabsicht auf einer eher grosszügigen Interpretation des Stiftungszweckes, der den Erhalt der Sammlung ins Zentrum rückt. Zweitens widerspräche diese Praxis den Grundsätzen des internationalen Museumsrates ICOM. Allerdings sei, so ist aus Baden zu vernehmen, ein Überleben der Langmatt ohne diese umstrittene Mittelbeschaffung kaum möglich. Lehnt man diese Strategie ab: Was dann mit dem Badener Juwel Langmatt?
Villa Langmatt, Römerstrasse 30, Baden, bis 29. Mai
Zwei Publikationen mit Texten von Markus Stegmann, Hatje Cantz, je Fr. 19.80