Der Monotheismus hat derzeit gewiss keine Konjunktur, besonders nicht in kritisch-aufgeklärten Kreisen. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Fundamentalistische Anhänger aller drei Buchreligionen inszenieren ihren Glauben in einer Weise, die durch bornierte Intoleranz die Erinnerung an alte Religionsgräuel heraufbeschwört. Vor diesem Hintergrund setzt nun der deutsche Religionsphilosoph Eckard Nordhofen (*1945) zu einer Rehabilitation an. Sein Buch «Corpora. Die anarchistische Kraft des Monotheismus» zielt darauf, die emanzipatorische Dimension freizulegen, die dem Glauben an den einen Gott innewohnt. Nordhofen folgt dabei dem originellen Ansatz, die Entwicklung des Monotheismus als eine Mediengeschichte zu beschreiben.
Instrumentalisierte Gottheiten
Am Anfang war das Bild, das die Gottheit repräsentiert, wenn nicht gar unmittelbar verkörpert. Dieses Götter- oder Götzenbild ist diesseitig, und es zieht letztlich auch die Gottheit in den Kreis des Menschlichen hinab, bindet sie nämlich ein in ein Tauschverhältnis: Der Mensch opfert einem Gott, um ihn zu einer spezifischen Gegenleistung – Regen, Kriegsglück, Fruchtbarkeit – zu bewegen.
Für Nordhofen ist die polytheistische Religion gekennzeichnet durch ein funktionalistisches Verhältnis zwischen den Menschen und ihren Göttern; erstere können die letzteren für ihre Zwecke in Regie nehmen. Das gilt auch insofern, als die Mächtigen die Götter vereinnahmen oder sich gleich selbst göttlichen Status zusprechen. Grundsätzlich lässt sich die im Bildnis vergegenwärtigte Gottheit instrumentalisieren; sie ist immer noch Teil einer magischen Praxis, eben ein Mittel, um Kontrolle über die Lebensumstände oder aber Macht zu gewinnen.
JHWH – der abwesend-anwesende Gott
Dieser Funktionalismus wird brüchig, als sich im jüdischen Monotheismus die Schrift an die Stelle des Bildes setzt. Denn durch das neue Medium verändert sich die Präsenz des Göttlichen von Grund auf: Es offenbart sich durch die Schrift, ohne in ihr selbst anwesend zu sein, und entzieht sich dadurch der Verfügbarkeit. Bezeichnend, dass JHWH das Bilderverbot erlässt und es auch untersagt, seinen Namen auszusprechen. Er ist da, aber nicht greifbar, zeigt sich also den Gläubigen in einem Modus, den Nordhofen als «Vorenthaltung» bezeichnet.
Was das bedeutet, macht das Buch Hiob klar, wo JHWH die Rechtsansprüche des Frommen zurückweist. Sein Ratschluss ist für die Menschen unerforschlich, und deshalb ist Wohlergehen nicht auf durchsichtige Weise durch Wohlverhalten zu erkaufen. Dieser Gott steht dem Menschen als das radikal Andere gegenüber; er ist über jegliche Planung hinaus und lässt sich darum auch von niemandem in Dienst nehmen. Auch nicht von den Mächtigen! Er wird im Gegenteil zu einer Instanz, in deren Namen der Prophet dem König entgegentreten kann und die – so Nordhofen – eine «eschatologische Gewaltenteilung» begründet.
Die endgültige Ausgestaltung findet der jüdische Schriftkult während der babylonischen Gefangenschaft im 6. vorchristlichen Jahrhundert, zu einem Zeitpunkt also, wo die Elite der Judäer in Geiselhaft genommen und damit von ihrem Land, ihrem Tempel sowie den althergebrachten Kulten abgeschnitten war. In dieser Lage bietet der jenseitige Gott den Exilanten das entscheidende Kennzeichen, über das sie in der Fremde ihre Identität aufrechterhalten können. Entsprechend setzen sie sich ab von der Religion der Babylonier und unterziehen deren Götzendienst einer Kritik, für die Nordhofen den Begriff «biblische Aufklärung» geprägt hat.
Dieser radikalisierte Monotheismus führt denn auch konsequent weg von einer instrumentellen Gottesauffassung, doch die Entwicklung verläuft keineswegs linear. Es gibt Rückfälle, in der Bibel etwa dokumentiert durch die Geschichte vom goldenen Kalb. Zudem halten die Juden nach der Rückkehr an alten Opferritualen fest, ebenso am funktionalistischen Erklärungsansatz, der das kollektive Unglück als verdiente Strafe deutet. Und dann ist in der «Grapholatrie», dem Schriftkult, eine weitere Verführung angelegt: der Glaube nämlich, über die Niederschrift der ganzen, ungeteilten und unveränderlichen Wahrheit zu verfügen, an deren Buchstaben man festhalten muss.
Über den Buchstaben hinaus: die Inkarnation
Das ist der Punkt, wo Jesus von Nazareth mit seiner Kritik einhakt. Ihm geht es darum, den lebendigen Gott aus der Fixierung an Schrift und erstarrte Regelwerke zu befreien. Nordhofen führt die Erzählung von der Ehebrecherin an (Joh. 7,53–8,11), in der die Schriftgelehrten Jesu Treue zum mosaischen Gesetz prüfen wollen. Die Pointe dieser Geschichte – und die Essenz des Neuen Testaments überhaupt – besteht darin, dass Jesus den Buchstaben des Gesetzes nicht in Frage stellt, wohl aber dessen automatisierte Umsetzung. Er verweigert den Moralisten die direkte Antwort. Ob sie die Frau nun steinigen sollen, hat jeder mit sich selbst auszumachen, auf der Basis einer Gewissenserforschung, die ihn vor die eigene Sündhaftigkeit stellt.
Damit verschiebt sich der Ort der Offenbarung von der Schrift ins Herz der Menschen. Das Wort ist Fleisch geworden in Gestalt des Menschensohnes; er ist das neue Gottesmedium, und indem er seinen Leib in der Kommunion mit den Gläubigen teilt, lässt er sie teilhaben am lebendigen Geist, den er verkörpert. Nordhofen zufolge sah Jesus sich auch keineswegs als Begründer einer neuen Religion; er versuchte nur JHWHs radikalen Anspruch auf Unfasslichkeit zu erneuern, und dies gegen Zeitgenossen, die insofern der «Grapholatrie» verfallen waren, als sie, die Schriftbesitzer, sich im Besitz der Wahrheit wähnten. Indem Jesus den Ort der Offenbarung auf ein neues Medium verschiebt, hofft er jenem Irrglauben die Grundlage zu entziehen.
Utopie und Wirklichkeit
Nordhofen arbeitet am Monotheismus ein emanzipatorisches Moment heraus. Er sieht darin den Versuch, die Instrumentalisierung des Göttlichen zurückzudrängen, um so menschliche Macht zu begrenzen. Der Gott, der ganz anders ist, stellt jegliches Handeln, jede irdische Ordnung in Frage und wird so zur Verkörperung der Alternative schlechthin. In seinem Namen lässt sich stets Einspruch erheben gegen bestehende Verhältnisse; insofern begründet er – der Abwesende – die Möglichkeit von Utopie.
Dabei behauptet Nordhofen keineswegs, dass jenes emanzipatorische Moment die Wirklichkeit der monotheistischen Religionen bestimme. Zu offensichtlich ist deren Missbrauch im Dienst der Macht, und zwar über alle Zeiten hinweg. Es geht dem Religionsphilosophen nur darum, den Monotheismus gegen die Reduktion auf jenen Missbrauch zu verteidigen, indem er zeigt, dass da stets auch Gegenkräfte wirksam waren, gewissermassen Potentiale des Widerstands. Der Gott der «Vorenthaltung» war zunächst einmal auf der Seite der Schwächeren: Er verbündete sich mit dem kleinen Stamm der Juden und war im frühen Christentum ausdrücklich Schutzpatron der Armen. Die Mächtigen dagegen – Pharaonen, babylonische Könige und römische Kaiser – hatten allen Grund, ihn zu fürchten.
Einfluss der Kritischen Theorie
Im Grunde spannt Nordhofen seine Geschichte der Gottesmedien über einem Gegensatz auf, den Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung entfaltet haben: Es ist die Opposition zwischen einer verfügend-repressiven – eben der technischen – Vernunft und dem Konzept einer Rationalität, in der das Subjekt auf die gewaltsame Unterwerfung des Anderen verzichtet. Bei Nordhofen steht der Polytheismus mit seinen Opferpraktiken und Götzenbildern auf der Seite der instrumentellen Vernunft, während im Monotheismus die Utopie eines Denkens angelegt ist, das sich darauf versteht, die eigene Macht zu beschränken. Dabei sind diese beiden Pole natürlich nie sauber geschieden; sie durchdringen sich vielmehr unauflöslich, wie ja auch in der Dialektik der Aufklärung das emanzipatorische Moment an das instrumentelle gefesselt bleibt.
Auch die monotheistischen Religionen versuchen in ihrer Praxis, Gott in die Karten zu schauen und seine Entscheidungen zu beeinflussen; ganz abgesehen davon, dass sie in seinem Namen immer wieder Machtmissbrauch gerechtfertigt haben. Und dennoch: Der Gott der «Vorenthaltung», wie er im jüdischen Monotheismus aufscheint, reisst eine Perspektive auf, die über die Regelkreise der Verfügung hinausweist und damit die Ahnung von einem Leben vermittelt, das frei wäre von Willkür und Gewalt.
Eine letzte Pointe liefert Nordhofen am Ende des Buches: Da weist er darauf hin, dass sich die kritische Kraft des Monotheismus auch dem umfassenden Funktionalismus entgegensetzen liesse, der die modernen Gesellschaften überzieht. Die Utopie der Unverfügbarkeit könnte als Stachel gegen das technokratische Welt- und Menschenbild gewendet werden und damit aktuelle Herrschaftsformen in Frage stellen, die ihre Autorität aus dem Schein reiner Sachlichkeit beziehen.
Im Grunde plädiert Nordhofen dafür, unsere religiöse Tradition nicht vorschnell als erledigt anzusehen. Sein Buch ist äusserst anregend, lesenswert auf jeden Fall für alle, die mit Kirchen und Dogmatik ihre Mühe, aber deswegen noch lange nicht mit der Religion im Ganzen abgeschlossen haben.
Eckhard Nordhofen: Corpora. Die anarchistische Kraft des Monotheismus. Freiburg: Herder, 2018, 336 S.