Vor knapp einem Monat wurde der Vizepremier Mateusz Morawiecki neuer Premierminister Polens. Die Vorgängerin Beata Szydlo blieb allerdings im Kabinett, wie auch alle andern Minister. Das löste nicht nur in westlichen Medien, sondern auch in Polen Erstaunen aus. Allerdings wurde bereits damals mitgeteilt, dass im Januar eine grössere Regierungsumbildung bevorstehe. Diese ist nun gestern erfolgt, nachdem die PiS-Führung darüber entschieden hat. Das heisst konkret: ihr Chef Jaroslaw Kaczynski.
Morawiecki im Aufwind
Eine Regierungsumbildung war schon letztes Jahr lange im Gespräch (vgl. Journal 21, 18.11.2017). Dass Kaczynski diese in zwei Schritten durchgezogen hat, dürfte vor allem taktische Gründe haben. Er rechnete wohl damit, die in seiner eigenen Partei nicht unbestrittene Umbildung durch die Aufteilung besser abstützen zu können. Die Skepsis in der PiS gegen eine Ersetzung der recht populären Bergarbeitertochter Szydlo durch den Technokraten und Ex-Banker Morawiecki war ziemlich gross. Auch in den Meinungsumfragen genoss Szydlo stets mehr Vertrauen als Morawiecki, obwohl dieser in letzter Zeit aufholen konnte.
Morawiecki hat sich nun, noch als Chef des alten Kabinetts, recht gut etablieren können und auch in einer Umfrage deutlich zugelegt. Anfangs Januar lag er sogar mit dem sonst immer klar an erster Stelle rangierenden Präsidenten Andrzej Duda erstmals gleichauf. 47 Prozent sprachen ihm das Vertrauen aus, 18 Prozent mehr als im Vormonat. Das hängt mit seinem recht geschickten Auftreten zusammen. Er betonte Offenheit und Gesprächsbereitschaft, auch gegenüber der EU, ohne aber inhaltlich wirklich konkret zu werden.
Kaczynski hat nicht zuletzt auf den sprachgewandten Morawiecki gesetzt, um international besser agieren zu können. Zudem traut er ihm in den als prioritär erklärten Wirtschaftsfragen viel Kompetenz zu. Zudem soll Morawiecki vermehrt moderate Wähler ansprechen. Nicht umsonst wurde Morawiecki kurz vor der Durchpeitschung der umstrittenen Justizreformen ins Amt gehievt. In die gleiche Richtung weisen auch die Umbesetzungen im Kabinett.
Umstrittenste Minister entlassen
Besonders umstrittene und unbeliebte Minister wurden entlassen, selbst wenn sie in der PiS wichtige Führungsfiguren waren. So musste der Verteidigungsminister Antoni Macierewicz seinen Posten räumen. Er fiel nicht nur durch seinen arroganten und eigenmächtigen Stil auf, sondern hatte in vielen Dingen äusserst ungeschickt oder dilettantisch agiert, etwa in Personalfragen, Rüstungsgeschäften und Reformvorhaben. Entscheidend war, dass er dabei mit dem Präsidenten Andrzej Duda immer mehr in Clinch geriet. Von Insidern wurde gar spekuliert, Duda sei Kaczynski bei den im Dezember verabschiedeten Justizreformen entgegengekommen, um die Ablösung von Macierewicz fordern zu können.
Ein weiterer prominenter Abgänger war der Umweltminister Jan Szyszko. Er hatte sich neben sehr bescheidenen Ergebnissen im Umweltschutz vor allem mit den massiven Abholzungen im Bialowieza, dem letzten Naturwald Europas, in Misskredit gebracht. Dabei hatte er sich mit der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof angelegt und musste vor kurzem wegen drohenden hohen Geldstrafen zurückkrebsen. Ein weiterer entlassener Minister war der Aussenminister Witold Waszczykowski, der sich mit unbedachten bis unbedarften Sprüchen ins Abseits manövriert hatte und auch in der EU isoliert dastand.
Es ist auffallend, dass die drei entlassenen Minister nicht nur in Polen unbeliebt waren, sondern auch international alles andere als gute Figur machten. Das weist darauf hin, dass Kaczynski wieder eine Entspannung im internationalen Geschäft sucht. Denn sonst wurden nur noch der erfolglose Gesundheitsminister und die etwas zu aufmüpfige Digitalisierungsministerin freigestellt. Der Justizminister Zbigniew Ziobro, ein weiterer umstrittener Hardliner, blieb jedoch auf seinem Posten.
Die restlichen Regierungsumbildungen betrafen Positionswechsel und Umstrukturierungen von Ministerien, wobei mehr Wirtschaftsressorts geschaffen wurden. Die neu berufenen Minister sind meist politische Leichtgewichte und wenig bekannt. Sie gelten als moderat, wie der neue Aussenminister Prof. Jacek Czaputowicz, oder als eher technokratisch orientierte Experten.
PiS auf Erfolgskurs
Interessant ist ein Versuch, die Regierungsumbildung auf dem Hintergrund der Gesamtentwicklung und der strategischen Ziele der PiS und Kaczynskis einzuordnen. Die PiS kam im Herbst 2015 an die Macht und hat bereits in den ersten beiden Regierungsjahren viele ihrer Ziele erreichen können, so die schrittweise Usurpierung des Verfassungsgerichts, die Kontrolle der Staatsanwaltschaften und der staatlichen Medien, aber auch die breite Umbesetzung von Stellen im Staatsdienst und in den staatlichen Unternehmen. Dabei hat sie den Rückhalt in der Bevölkerung sogar etwas ausbauen können, vor allem wegen ihrer sozialen Reformen wie einem grosszügigen Kindergeld (vgl. Journal 21, 18.11.2017).
Mit der forcierten Durchpeitschung der Justizreformen ist ein weiteres wichtiges Etappenziel erreicht worden, um die staatlichen Institutionen möglichst umfassend kontrollieren zu können. Zwar dürfte es noch einige Zeit dauern, bis die Kontrolle wirklich greift, aber die Voraussetzungen dazu sind geschaffen. Zudem ist der offene Streit im PiS-Lager beigelegt, der sich nach den Vetos von Präsident Duda gegen die ursprünglichen Vorlagen aufgetan hatte.
Einen grossen Erfolg für die PiS und eine deftige Niederlage für die Opposition stellt auch der Fakt dar, dass grössere Proteste ausgeblieben sind. Zwar gab es in vielen Städten Protestkundgebungen, aber die Teilnehmerzahlen waren bescheiden, kein Vergleich zu den Massenprotesten vom Sommer. Auch jetzt nach den Feiertagen sind die Aktivitäten gering; sie beschränken sich auf Botschaften und Aufrufe im Netz. Selbst in der Wählergunst musste die PiS praktisch keine Verluste hinnehmen und würde Wahlen mit deutlich über 40 Prozent wieder gewinnen.
Die Regierungsumbildung ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Kaczynski machte hiermit, wie schon gehabt, einen Schlenker in Richtung „weicherer“ Kurs. Zudem musste er auch aus Effizienzgründen eine Veränderung vornehmen, vor allem die umstrittensten Minister aus dem Amt entfernen und flexiblere, international akzeptable Personen in die Regierung nehmen.
Wie geht es weiter?
Dass allerdings bald ein wirklicher Kurswechsel stattfinden wird, ist nicht zu erwarten. Der Stil dürfte sich zwar ändern, der Inhalt aber nur wenig. Das zeigte sich gestern auch beim abendlichen Treffen von Morawiecki mit EU-Kommissionspräsident Juncker in Brüssel. Allein das Treffen war schon eine Neuheit. Szydlo hatte sich nie mit Juncker getroffen. Der Ton war freundlich, und wenn man sich in der Sache auch nicht näher kam, vereinbarte man doch einen weiteren Gesprächstermin.
Polen wird die Empfehlungen der EU bezüglich Rechtsstaatlichkeit nicht oder nur in weniger wichtigen Details umsetzen. Das Verfahren dürfte also weitergehen; es wird aber Polens Regierung ausser dem nicht zu unterschätzenden Reputationsverlust nicht wirklich treffen. Denn dass Polen von allen Mitgliedsländern verurteilt würde, ist unwahrscheinlich.
Die Regierungsumbildung hatte auch eine klare innenpolitische Stossrichtung. Kaczynski visierte damit offensichtlich Wähler der Mitte an, auch wenn er damit einen Teil seiner eigenen Basis verärgerte. Jedenfalls erschienen heute in rechtskonservativen Zeitungen bereits kritische Berichte. Kaczynski rechnet wohl zu Recht damit, dass sich die aufbegehrenden PiS-Politiker und Sympathisanten schon wieder beruhigen würden. Er hat vor allem die nächsten Wahlen im Auge, die Gemeinde- und Regionalwahlen diesen Herbst und die Parlamentswahlen in knapp zwei Jahren.
Stolpersteine für die PiS
Allerdings sind da noch viele Stolpersteine im Wege. Schon heute beginnt der Sejm die Debatte über zwei Bürgerprojekte. Das eine will die ohnehin schon sehr restriktiven Abtreibungsgesetze weiter verschärfen, ein anderes möchte sie hingegen deutlich liberalisieren. Die PiS hat sich schon lange für eine gewisse Verschärfung ausgesprochen, insbesondere in Bezug auf Föten mit genetisch bedingten Krankheiten. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung ist aber gegen eine Verschärfung, eine wachsende Minderheit sogar für eine Liberalisierung.
Ein weiteres heikles Thema ist die anvisierte „Repolonisierung“ privater Medien, die bis jetzt eher neutral oder kritisch zum PiS- Regime eingestellt waren. Ein besonders heisses Eisen ist auch die Reform des schlecht funktionierenden Gesundheitssystems. Viele junge Ärzte weigern sich bereits, Überstunden zu übernehmen, nachdem Proteste im Herbst zu keiner Einigung geführt hatten.
Das eigentlich Grunddilemma von Kaczynskis PiS ist allerdings, dass sie eine Gesellschaftsvision anstrebt, die nur von einer Minderheit geteilt wird: einen starken Staat und eine Gesellschaft, die auf konservativen traditionell-polnischen Werten aufgebaut ist. Deshalb versucht Kaczynski auch angestrengt mit wirtschaftlich-sozialen Erfolgen zu punkten. Damit will er eine möglichst lange Regierungszeit herausholen, in welcher der angestrebte Mentalitätswandel erfolgen soll.
Ob diese Strategie allerdings aufgehen kann, ist fraglich. Die Polen sind aufgrund ihrer Geschichte nicht sehr staatsgläubig und ziemlich individualistisch orientiert. Allerdings müsste es der Opposition auch gelingen, eine glaubwürdige Alternative zu schaffen. Bis jetzt sieht es noch nicht danach aus.