Wir Schweizer beklagen uns oft, dass wir nur über Hühnermist abstimmen dürfen, aber nicht über wichtige Staatsgeschäfte. Aber dann stimmen wir masochistisch für Steuererhöhungen, was meine französischen Freunde mit ungläubigem Kopfschütteln kommentieren. Andere Länder, andere Sitten. Die einen haben eine Tradition von (zu vielen) obligatorischen Volksabstimmungen, die anderen von Zufällen opportunistischer Referenden von Regierungs Gnaden.
Wenn der ungarische Ministerpräsident Orban einen Triumph von etwa 98 Prozent für ein Immigrantenverbot verkündet, müssen wir 1. die Ungarnflüchtlinge von dazumal vergessen, 2. die Aufnahme Ungarns in die EU, 3. die ehrenhafte Enthaltung der Bevölkerungsmehrheit und 4. leider die Vermutung, dass andere EU-Länder und der schweizerische SVP-Gau gleich – wenn auch nicht gleich mit solchen altsowjetischen und sonstwie diktaturstaatlichen Ergebnissen – reagieren würde. Das zurzeit ungelöste Problem Eingesessene - Immigranten ist so nicht lösbar.
Der Missbrauch des Referendums ist dagegen offensichtlich im Fall Brexit. Der zurückgetretene Premierminister und Schwächling Cameron (seine Partei blieb am Ruder) wollte nicht aus der EU austreten, sondern nur seine rechtsextreme Konkurrenz in Verlegenheit bringen und englischen Atavismen nachgeben. Nichts war leichter, als die vielen und alten Ressentiments der Engländer (nicht der Schotten und Nordirländer) gegen den Kontinent und eines Teils des "business" zu aktivieren. Aber die Katerstimmung des "NO " hält an – siehe die britischen Verzögerungs- und Verwässerungsmanöver.
Im Fall von Kolumbien ist mangels Einsicht Nachsicht geboten. Etwas mehr Bedenkfrist für ein Referendum wäre sicher gut gewesen, aber das äusserst knappe Resultat zeigt den alten kolonialistischen Konflikt zwischen sehr reich und sehr arm auf. Aber auch , dass Gewalt und Terror von beiden Seiten und vor allem ein blinder Terror gegen die Zivilbevölkerung mit einer überalterten "marxistischen" Drogenmafia nicht zu gewinnen ist.