Der Weg nach Jerusalem führe über Amman – mit diesem Slogan lösten einst Kämpfer der PLO und andere bewaffnete palästinensische Gruppen wiederholt bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen im Königreich Jordanien aus, und offizielle Stellen waren auf der Hut, dass „unterwegs nach Jerusalem“ ein Umsturz in Jordanien vorgenommen werden könnte. Schon allein deswegen, weil die Bevölkerung zu gut zwei Dritteln aus Palästinensern besteht, die aber gegenüber den (aus der Gegend von Mekka stammenden und nun in Amman herrschenden) Haschemiten klar im Nachteil waren. Und besonders der Geheimdienst war verrufen, weil er politische Meinungsverschiedenheiten nur allzu rasch mit Verhaftungen beantwortete.
Seit jenen Tagen ist viel geschehen in Jordanien. Noch unter König Hussein wurde das Land in vielen Bereichen modernisiert und auch liberalisiert. Aussenpolitisch war Jordanien der zweite arabische Staat, der (nach Ägypten) Frieden mit Israel schloss, und Amman übernahm dabei sogar offiziell die Aufsicht über die islamischen Heiligen Stätten im arabischen Teil Jerusalems – so wie es die Haschemiten vor Jahrhunderten bereits in Mekka und Medina getan hatten.
„Von ausländischen Kreisen angeregt“?
Und nun das: Der ehemalige Kronprinz Hamzeh liess über seinen Anwalt zwei Video-Aufnahmen der britischen BBC zukommen, in denen er mitteilte, er sei vom Geheimdienst aufgefordert worden, sein Haus nicht mehr zu verlassen. Und verschiedene Mitglieder der jordanischen Regierung liessen „durchblicken“ oder behaupteten auch sehr direkt und unverblümt, Hamzeh stehe unter dem Verdacht, an einer „auch von ausländischen Kreisen angeregten“ Umsturzaktion beteiligt gewesen zu sein. Insgesamt sollen nach inoffiziellen Angaben mindestens 25 Personen verhaftet oder unter Hausarrest gestellt worden sein.
Hamzeh bestreitet die Vorwürfe, er macht aber keinen Hehl daraus, König Abdullah II. und dessen Königshaus Inkompetenz und Korruption vorzuwerfen. Als Beweis hierfür muss wie in vielen anderen Ländern, so auch in Jordanien, die Unfähigkeit oder Machtlosigkeit der Herrscher herhalten, wirksame Massnahmen gegen die Corona-Pandemie zu ergreifen und die auch in Jordanien folgenschweren Begleiterscheinungen zu beheben. Als da vor allem wären: Arbeitslosigkeit und Armut.
Verhinderter Nachfolger Husseins
Hiermit steht Jordanien natürlich nicht alleine da – in der Region wie weltweit. Auch nicht mit der Flüchtlings-Problematik. Mit seinen 10 Millionen Einwohnern hat das Land fast 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen – besonders aus dem benachbarten Syrien, aber auch aus Staaten wie dem Irak. Hierbei ist Jordanien dringend auf internationale Hilfe angewiesen und erhält diese auch. Ohne allerdings damit die genannten Probleme lösen zu können. Es wäre deswegen abwegig, dem Königshaus in Amman vorzuwerfen, an den Missständen Schuld zu sein.
Auch Prinz Hamzeh dürfte dies wissen. Es ist deswegen anzunehmen, dass ihn auch noch andere Motive bewegen. Die Gründe hierfür stehen im Zusammenhang mit dem Machtwechsel 1999 nach dem Tod seines Vaters, König Hussein: Eigentlich hatte Hussein nämlich Hamzeh als Nachfolger ausersehen. Hamzeh war beim Tod seines Vaters aber erst 18 Jahre alt und in letzter Minute ernannte der todkranke König Abdullah zum Nachfolger. Der 37-Jährige war der Sohn der zweiten Frau Husseins, Muna, einer Britin, von der er sich nach zehn Jahren hatte scheiden lassen. Abdullah sollte Hamzeh als Kronprinzen übernehmen, daran hielt dieser sich aber nicht: 2009 erkannte er Hamzeh den Titel ab.
Pro-westliche Politik Jordaniens
Sicher Grund genug für Missstimmung im Königshaus. Aber noch lange kein Hinweis auf den Plan eines Machtwechsels. Auch die vermeintliche Einmischung ausländischer Kreise ist bislang nicht bewiesen. Nach der Festsetzung Hamzehs kamen im Gegenteil fast nur Worte der Unterstützung für König Abdullah aus dem Ausland: aus den USA und Europa, selbst aus Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Zumindest Saudis und Emiratis hatten sich wiederholt distanziert von bestimmten Schritten und Massnahmen Abdullahs, andere wiederum waren nicht einverstanden mit einer vermeintlich zu prowestlichen Politik Jordaniens auch unter dem Nachfolger Husseins. So wurden Nato-Flugzeuge während der Kämpfe gegen den IS in Syrien von der Türkei nach Jordanien verlegt und jordanisches Militär nahm am Einsatz in Afghanistan teil. In Jordanien waren allerdings Vorwürfe zu hören, Saudi-Arabien wolle Jordanien aus dessen Schutzrolle für die muslimischen Heiligen Stätten in Ostjerusalem verdrängen und ersetzen. Konkrete Beweise liegen hierfür allerdings bislang nicht vor.
So ist es durchaus möglich, dass die jordanischen Behörden wie auch die Gruppe um Prinz Hamzeh voreilig gehandelt haben: In Zeiten wachsender Unzufriedenheit von Bevölkerungen weltweit wird man „Pandemie“ unschwer als gemeinsamen Nenner ausmachen. Und die eingangs zitierten Zeiten, in denen der Weg nach Jerusalem über Amman führen sollte, dürften endgültig vorbei sein. Zumal dies ein palästinensischer Slogan war, in Amman aber weiterhin die nicht-palästinensischen Haschemiten an der Macht sind.